Es sind Wahlen 2023 und alle U30 sind Duzis mit Alain Berset
Bundespräsident Alain Berset ruft junge Stimmberechtigte dazu auf, am 22. Oktober wählen zu gehen. Das ist gut, aber schräg. Ein Kommentar.

Das Wichtigste in Kürze
- Mehr Junge sollen bei den Wahlen 2023 wählen, dazu ruft Bundespräsident Alain Berset auf.
- Beziehungsweise: Er meldet sich via WhatsApp. Wirklich wahr.
- Kannst Du sehen, Du U30, auf dieser Website wo sich so Sachen bewegen. Ein Kommentar.
Wir sind uns einig: Es sollten möglichst viele Stimmberechtigte bei den Wahlen 2023 teilnehmen. Nicht nur knapp die Hälfte, wie 2019. Also braucht es mehr Tankstelleshopmitarbeiter, frischgebackene Mütter, Lebensmitteltechnologie-Studenten, Juniorentrainer, Mittelstreifenfahrerinnen, Facility Manager, Arbeitslose, Hobbygärtner und Profi-Kaffeekränzlerinnen der oberen Mittelklasse, die sich einen Ruck geben.

Weil eine Demokratie ohne Stimmen keine Demokratie ist, sondern eine Oligarchie oder sonst irgendein griechischer Buchstabe, von dem wir bislang noch nie gehört haben. Deshalb macht es Sinn, dass der Bundespräsident eine ausgesuchte Personengruppe dazu aufruft, nebst allen Bürgerpflichten die -rechte nicht zu vergessen. Schliesslich geht es irgendwann dann auch um Eure Kinderabzüge, Trottoirverlängerungen, Strompreise und die immerwährende Neutralität.
Jetzt geht schon wählen!
Die ausgesuchte Personengruppe sind die unter 30-Jährigen. Denn die gehen noch weniger oft wählen als andere. Sie sollen wohl etwas ein Gegengewicht bilden zu denjenigen abgelöschten Typen, die nur noch reflexartig diejenigen wählen, die auf den Wahlplakaten «noch ganz nett» dreinschauen und auch schon einmal im Fernsehen waren. Wobei man dann nicht mehr genau weiss, was das Thema war und ob die Netten nun Linke oder Rechte sind.

Die Aktion, initiiert von den Lokalmedien «Tsüri.ch», «Bajour» und «Hauptstadt», darf man darum ungeniert als lobenswert bezeichnen. Originell auch der Ansatz: Wer sich angesprochen fühlt und sagt, «ja, ich will (wählen)», meldet sich per WhatsApp. Daraufhin erhält man Reminder-Sprachnachrichten von Bundespräsident Alain Berset höchstpersönlich.
00:00 / 00:00
Logisch, schliesslich muss man ja auch junge Leute ansprechen. Die nutzen heutzutage ja diese Telefone, oder Smartphones, wie man auf Neudeutsch sagt. Dieses Bevölkerungssegment will sich angesprochen fühlen und mit stieren Botschaften über den jeden Lebensinhalt durchdringenden Einfluss der Politik holt man niemanden hinter dem Ofen hervor, wie man früher so schön sagte. Als es noch freistehende Öfen gab.
Wie alt ist «jung»?
Mit der Ofenfreiständigkeit ist es ja aber vorbei, also braucht es eine ansprechende Website mit animierten Grafiken. Politik macht Spass! Da tickert die stilisierte LED-Laufschrift oben durch und verkündet «wähl mal!». So wie sonst LED-Laufschriften seit den 90er-Jahren für Toto, Lotto und Lose werben.
Trendy ist der Button für «Jetzt anmelden», denn so sehen Buttons heutzutage aus im Internet. Vor allem diejenigen, die man nicht aus Versehen klicken sollte, weil sie versteckte Werbung sind und man nachher ganz viel Kleingebäck ablädt. Oder Cookies downloadet, wie man als U30 sagt (ich kenn mich da ein bisschen aus). Lustig ruckelt auch die, sagen wir mal, «Wählscheibe» im Kreis herum, und wenn Sie jetzt diese Anspielung verstanden haben, gehören Sie schon mal nicht zur Zielgruppe.

Sondern erinnern sich an die Zeit, als die Generation U30 gerade erst geboren wurde. Und 30 Jahre später eine lustige Website vorgesetzt erhält, als seien sie entweder immer noch schulpflichtig oder schon so alt, dass sie sich noch an die Zeit erinnern, als LED-Laufschriften der neuste Schrei waren.
Wir Alten wissen eben genau, wie diese Jungen so sind
Die Zeit, als Computerspiele noch nicht «Games» hiessen und «ploingploing» machten. Manchmal auch «didelideldüüü-diridiridring», aber nur beim Superbonus. Nur gibt es diesmal nichts zu gewinnen, dabei sein ist alles, doch der Alain schickt Bonus-Sprachnachrichten. Darf man ruhig auch weitersagen: «Deine Friends brauchen auch einen Reminder für die Wahlen?», frägt der virtuelle Bundespräsident via WhatsApp.
Weil diese jungen Leute doch dauernd mit ihren «Friends» abhängen. Fragen Sie ruhig mal rum: Jeder 20-Jährige wird ihnen bestätigen, dass die Leute das sagen, die jünger sind als er. Also so in dem Alter, wo man sie als Erwachsener auch noch duzt. Und sie nicht stimmberechtigt sind.
Also ich, ich hab mich angemeldet. Irgendwer muss ja etwas ein Gegengewicht bilden zu denjenigen abgelöschten Typen, die nur noch reflexartig wählen, weil sie gerade eine lustige Website gesehen haben.