Gemäss einer neuen Studie wollen Schweizer künftig vermehrt auf ein eigenes Auto verzichten. Braucht es deshalb den geplanten Autobahn-Ausbau gar nicht?
Ausbau Autobahn A1 Gubristtunnel
Die 3. Röhre des Gubristtunnels Ost, Ausbau Nordumfahrung Zürich in Regensdorf am Donnerstag, 29. Juli 2021. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Bundesrat und Parlament wollen die Autobahn A1 auf sechs Spuren ausbauen.
  • Gemäss einer Studie wollen Schweizer künftig vermehrt auf ein eigenes Auto verzichten.
  • Braucht es den Ausbau dann gar nicht? Grüne und SVP ordnen ein.
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Verkehrsminister Albert Rösti, aber auch National- und Ständerat wollen die A1 auf sechs Spuren ausbauen. Aber: Gemäss einer neuen Studie des Beratungsunternehmens Deloitte hat die Schweizer Bevölkerung die Absicht, künftig auf ein eigenes Auto zu verzichten. Die Resultate haben potenziell weitreichende Auswirkungen: Sollten die Prognosen zutreffen, würde die absolute Anzahl Privatautos künftig abnehmen – trotz Bevölkerungswachstum.

Die Resultate der Studie sind – gemäss Studienautoren – mit Vorsicht zu geniessen: Gerade in den ländlichen Regionen scheint der Trend noch immer in gegenteiliger Richtung zu verlaufen.

Autobahn A1 sechs Spuren
Lastwagen und Personenwagen stehen im Stau auf der Autobahn A1 vor dem Gubristtunnel, aufgenommen am 27. April 2023 in Zürich-Seebach. - keystone

In weniger dicht besiedelten Gebieten sei der ÖV kaum in der Lage, einen mit Städten vergleichbaren Takt anzubieten. Dies schmälere dessen Attraktivität und lasse den Motorisierungsgrad weiterhin zunehmen.

«Eigenes Auto nicht mehr selbstverständlich»

Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter erklärt auf Anfrage von Nau.ch, dass sie die Studienergebnisse durchaus für plausibel halte. Gleichzeitig betont die Zürcherin, dass sich die Studienautoren primär auf die Absichten der Befragten fokussierten: «Das scheint mir die Essenz der Studie: Ein eigenes Auto ist nicht mehr für alle Menschen selbstverständlich.»

Ausbau Autobahn A1 Mobilität
Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter ist überzeugt: «Ein eigenes Auto ist nicht mehr für alle Menschen selbstverständlich.» (Archivbild) - keystone

Schlatter ist überzeugt, dass sich im heutigen Kontext viele Menschen vorstellen könnten, mit anderen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein: «Das sollte die Politik unbedingt berücksichtigen!»

Erich Hess spricht von «Wunschdenken»

Erich Hess, SVP-Nationalrat und Motionär des geplanten Ausbaus der A1 auf sechs Spuren, ist anderer Ansicht. Ähnlich wie die Studienautoren und Ratskollegin Schlatter verweist auch Hess darauf, dass die Studie lediglich auf Absichten der Befragten fokussiere.

Ausbau Autobahn A1 Mobilität
SVP-Nationalrat Erich Hess ist anderer Ansicht: «Fakt ist, dass die A1 schon heute ständig überlastet ist. Den Ausbau brauchen wir auch bei gleichbleibender Anzahl Fahrzeuge!» (Archivbild) - keystone

In diesem Zusammenhang spricht Hess von «Wunschdenken»: «Ausserhalb der Zentren ist das Auto viel praktischer als die öffentlichen Verkehrsmittel.»

Hinzu komme, dass sich am geplanten Ausbau der Strasseninfrastruktur ohnehin nichts ändern sollte – Studie hin oder her: «Fakt ist nämlich, dass die A1 schon heute ständig überlastet ist. Den Ausbau brauchen wir auch bei gleichbleibender Anzahl Fahrzeuge!»

Referendum gegen Autobahnausbau?

Dem hält Schlatter entgegen, der Autobahnausbau sei nicht nur vor diesem Hintergrund, sondern «ganz grundsätzlich» infrage zu stellen: «Sind Autobahnen tatsächlich die Infrastrukturen, die wir für die Mobilität der Zukunft brauchen?»

Werden Sie gegen den geplanten Ausbau der Schweizer Autobahnen stimmen?

Die Zürcherin gibt zu bedenken, dass das Nationalstrassennetz seit 1970 im Vergleich zum Bahnnetz massiv angewachsen sei: «In den letzten 50 Jahren wurde voll aufs Auto gesetzt. Da muss man sich nicht wundern, dass prozentual mehr Leute auf dieses Verkehrsmittel setzen», erklärt Schlatter. Hinzu komme die Preisentwicklung: Während Autofahren heute günstiger sei, als vor 15 Jahren, sei Zugfahren fast ein Viertel teurer.

Ausbau Autobahn A1 Mobilität
SP und Grüne stellen den Autobahnausbau grundsätzlich infrage: Sie haben das Referendum gegen den Ausbau ergriffen. (Symbolbild)
Ausbau Autobahn A1 Mobilität
Jährlich geben Bund, Kantone und Gemeinden rund 11 Milliarden Franken für den Strassenverkehr aus. (Symbolbild)
Ausbau Autobahn A1 Mobilität
Im Bereich des Schienenverkehrs sind es wiederum 4,2 Milliarden pro Jahr. (Symbolbild)
Ausbau Autobahn A1 Mobilität
Der Strassenverkehr macht dabei mehr als vier Fünftel der gesamten Leistung im Landverkehr aus. (Symbolbild)

Für Schlatter steht fest: Der Bund würde die für den Ausbau der Autobahninfrastruktur vorgesehenen Gelder besser anderweitig investieren. «Beispielsweise in den Ausbau von ÖV-Infrastruktur, Fuss- und Velowegen oder die Förderung von Carsharing-Angeboten.»

Tatsächlich hat eine breite Allianz aus Grünen, SP und Umweltverbänden gegen den geplanten Ausbau der Schweizer Autobahnen das Referendum ergriffen. Der Ausbau für rund 5,3 Milliarden Franken sei «übertrieben, überholt und überteuert» – im Strassenbau sei ein «Marschhalt» angezeigt. Die Sammelfrist für das Referendum läuft noch bis zum 18. Januar 2024.

Zweckgebundene Ausgaben für Strasse und Schiene

Auch hier ist Hess anderer Meinung als seine Ratskollegin: «Das sind zwei unterschiedliche Kässeli: Der Strassenverkehr finanziert sich grossmehrheitlich selbst und nicht aus dem allgemeinen Bundeshaushalt.» Entsprechend könne man diese zweckgebundenen Ausgaben auch nicht einfach umleiten, erklärt der Berner.

Jährlich geben Bund, Kantone und Gemeinden rund 11 Milliarden Franken für den Strassenverkehr aus. Im Bereich des Schienenverkehrs sind es wiederum 4,2 Milliarden pro Jahr.

Ausbau Autobahn A1 Mobilität
Die gesamten Verkehrsleistungen im Personen-Landverkehr in der Schweiz. - Bundesamt für Statistik

An dieser Stelle bleibt allerdings zu erwähnen, dass der Strassenverkehr mehr als vier Fünftel der gesamten Leistung im Landverkehr ausmacht: Von 122,7 Milliarden Personenkilometern werden nur 19,3 Milliarden auf der Schiene zurückgelegt – was deutlich über dem europäischen Mittel liegt. Im Güterverkehr beträgt der Schienen-Anteil wiederum 38 Prozent.

Schiene und Strasse müssen koexistieren

Zwar gehe er davon aus, dass Rot-Grün noch alle Register ziehen werde, um den Ausbau gewisser Teilabschnitte bestmöglich zu verzögern. Hier gibt der Berner zu bedenken: «Wir wissen seit der Römerzeit: Je besser die Strasseninfrastruktur, desto besser läuft die Wirtschaft!» Davon müsse auch die Bevölkerung überzeugt werden.

Schlatter erwidert, dass gut ein Drittel der Bevölkerung gegenwärtig keinen guten Zugang zum öffentlichen Verkehr habe. «Deshalb braucht es hier einen Ausbau!» Hier komme Rot-Grün die Verantwortung zu, aufzuzeigen, was mit diesen rund zehn Milliarden Franken alles realisiert werden könnte.

Ausbau Autobahn A1 Mobilität
Schiene und Strasse – die Zukunft der Mobilität gehört auch in der Schweiz einer friedlichen Koexistenz beider Verkehrsträger. (Symbolbild) - keystone

Darüber hinaus müsse der Bevölkerung klar werden, dass die Dekarbonisierung alleine nicht ausreiche, um die Mobilität «auf Klimakurs» zu bringen. «Die Dekarbonisierung löst weder das Platz-, noch das Energie- und auch das Lärmproblem nicht», so Schlatter.

Ob sich Herr und Frau Schweizer schliesslich für das Referendum gegen den geplanten Autobahnausbau entscheiden werden, wird die Zukunft weisen. Ebenso ist unklar, ob die Prognosen aus der Deloitte-Studie eintreffen werden. Sollte das Referendum zustande kommen, wird das Stimmvolk darüber wohl im Sommer abstimmen.

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