Die letzte «Arena» vor dem Abstimmungssonntag handelt von Abstimmungskämpfen und der aggressiven Debattenkultur.
«Arena»
Politik 2021 – Aggressiv wie nie? Darüber diskutierten Barbara Steinemann (SVP), Markus Somm (Journalist), Marianne Binder-Keller (Die Mitte) und Tamara Funiciello (SP) am Freitagabend in der «Arena». - SRF/Screenshot
Ad

Das Wichtigste in Kürze

  • Am Sonntag stimmt die Schweiz über fünf Vorlagen ab.
  • Die letzte Arena vor der Abstimmung will den Umgangston während der Kampagne besprechen.

Abstimmungs- und Wahlkampagnen bringen einen rauen Ton mit sich. Während der aktuellen Kampagne eskalierte es jedoch mehrmals. Abstimmungsmaterial, vor allem von den Agrar-Initiativen, wurden beschädigt. Ein Wagen der Nein-Kampagne wurde sogar in Brand gesteckt.

Die Initiantin der Trinkwasser-Initiative, Franziska Herren, erhielt Morddrohungen, ebenso Kilian Baumann (Grüne/BE), Befürworter der Pestizid-Initiative. Beide sagten deswegen öffentliche Auftritte ab. Doch auch bei anderen Vorlagen verlief der Abstimmungskampf nicht immer nett: Beim Covid-Gesetz musste etwa der Bundesrat immer wieder hinhalten.

Herren gegen SVP
Franziska Herren, Initiantin der Trinkwasser-Initiative, sagte wegen Morddrohungen einen öffentlichen Auftritt ab. - Keystone

Um darüber zu diskutieren, woher diese aggressive Debattenkultur stammt und was dagegen getan werden kann, organisierte SRF flugs eine «Arena». Zum einen war am Freitagabend Tamara Funiciello, SP-Nationalrätin (BE) anwesend. Auch aus dem Nationalrat waren SVP-Vertreterin Barbara Steinemann (ZH) und Marianne Binder-Keller (Mitte/AG) im Studio.

Markus Somm, Historiker und Chefredaktor des «Nebelspalters» sorgte für den geschichtlichen und medialen Hintergrund. Politikwissenschaftler Claude Longchamp für den wissenschaftlichen.

Gleich zu Beginn der «Arena» lieferte letzterer eine spannende Einleitung: «Politik war immer heftig, dieses Jahr aber besonders, da wir wegen Corona alle ein bisschen gereizt sind!»

Zurückhaltende Debatte zu Beginn der «Arena»

Die Debatte in der «Arena» wirkte zu Beginn aber alles andere als gereizt. Es sah eher danach aus, als ob sich die Politikerinnen und Politiker für eine zweite Runde warm machen würden. SP-Nationalrätin Tamara Funiciello, die bekanntlich schon einiges an Online-Hate einstecken musste, meinte etwa: «Ich bin mir nicht wirklich sicher, ob der Ton in der Politik heute tatsächlich aggressiver ist, habe mich aber bei meinen älteren Genossinnen umgehört und diese meinten, dass es so sei.»

«Arena»
«Die offizielle Politik hat mit strafbaren Handlungen nichts zu tun», sagte SVP-Nationalrätin Barbara Steinemann in der «Arena». - SRF/Screenshot

Barbara Steinemann sagte, es sei schon immer mit harten Bandagen gekämpft worden – und es habe auch im Wahlkampf schon immer strafbare Handlungen gegeben. Früher sei am Stammtisch über die Politik ausgerufen worden – heute im Internet, so die SVP-Vertreterin.

Marianne Binder-Keller von der Mitte sagte klar: «Die radikalisierten Debatten, die dann auch Strafhandlungen zur Folge haben, muss man schon sehr ernst nehmen.» Ihr sei aber auch aufgefallen, dass die Debatte emotionaler geworden sei und eine Moralisierung stattfinde. «Es gibt nur noch hier gut und da böse, das stört mich sehr.»

Marianne Binder-Keller
Marianne Binder-Keller, Nationalrätin «Die Mitte» findet, dass in der Schweiz eine «Moralisierung» stattfindet. - SRF/Screenshots

Journalist Markus Somm vertrat den Standpunkt, dass es immer «Schwankungen» gegeben habe. «Mal ist es heftiger, mal weniger. Wenn ich die Lage als Journalist einordne, waren die 90er-Jahre sicherlich heftiger.» Somm meinte zudem, dass Streiten etwas Gutes sei und das solle man den Leuten wieder klar machen. «Wir müssen das auch besser aushalten, ich denke, wir sind schon sehr empfindlich geworden.»

Funiciello und Somm sorgten für Emotionen

Schliesslich erhöhte Funiciello etwas das Tempo und brachte einen wichtigen Punkt ins Spiel: «Zwei Personen haben in diesem Wahlkampf wegen Drohungen gesagt, sie wollen sich nicht mehr äussern. Wenn sich jemand fürchtet, sich zu äussern, dann haben wir in dieser Demokratie ein Problem.»

Sie gab daraufhin auch noch ein persönliches Beispiel: «Ich habe öfters mal den Hate, der mir entgegenschlägt, veröffentlicht. Dann kam eine junge Juso-Frau auf mich zu und bat darum, ihren Namen nicht in einer Medienmitteilung zu erwähnen.» Die Hater hätten also zwar nicht sie selbst, aber eine andere junge Frau zum Schweigen gebracht und das sei problematisch.

«Arena»
SP-Nationalrätin Tamara Funiciello sprach in der «Arena» von ihren eigenen Erfahrungen. - SRF/Screenshot

Funiciello wurde daraufhin von den Sendungsmachern gefragt, ob sie sich zweimal überlegt habe, in die Sendung zu kommen. «Ich habe es mir dreimal überlegt, aber mich dazu entschieden, weil die Diskussion wichtig ist», antwortete sie.

Somm meinte, man müsse zwischen politischer Debatte und politischer Gewalt unterscheiden können. «Es gibt kriminelle Leute, die nicht damit umgehen können, wenn jemand eine andere Meinung hat und diese Leute muss man verfolgen.»

Der Mitinhaber des «Nebelspalters» gab sich in der «Arena» als Verteidiger der Meinungsfreiheit. Dass diese so funktioniert wie in der Schweiz, sei in der heutigen Welt fast eine «Ausnahme». «Ich finde jede Diskussion über Grenzen und Anstand richtig, aber es gibt meistens auch eine Agenda dahinter. Es geht nämlich darum, die Meinungsfreiheit zu untergraben.»

Markus Somm «Arena»
Journalist Markus Somm gab sich in der «Arena» als der grosse Verteidiger der Meinungsfreiheit. - SRF/Screenshot

Wichtig sei es, dass die Debatte weiter gehe, so Somm. Man müsse Personen, die die Grenzen überschreiten, zeigen, dass man mit Menschen unterschiedlicher Meinung diskutieren könne, «ohne einander an die Gurgel zu gehen». «Deshalb ist es so wichtig, dass alles erlaubt ist – ausgenommen natürlich die strafbaren Handlungen.»

Analysen von Longchamp waren erfrischende Abwechslung

Nach den Aussagen von Funiciello und Somm war die Debatte lanciert und die «Arena» verwandelte sich in die gewohnte Polit-Sendung in der sich Links und Rechts Vorwürfe machen und sich die Mitte darüber beschwert, dass sie zu wenig Beachtung erhält. Bei dieser Konstellation waren die Analysen von Claude Longchamp eine erfrischende Abwechslung.

Der Politik-Wissenschaftler erwähnte etwa, dass Corona einen grossen Einfluss auf die Debattenkultur hatte. «Es war das zentrale Thema der letzten 15 Monate, es hat uns alle aufgewühlt. Heute scheint es aber auch viel darum zu gehen, einfach Dampf abzulassen – und das ist nicht konstruktiv.»

Claude Longchamp «Arena»
Claude Longchamp sorgte mit seinen gelungenen Analysen für erfrischende Abwechslung in der «Arena». - Srf/Screenshot

Der 64-Jährige meinte aber auch, es gebe durchaus Dinge, die sich in der Politik verbessert hätten. «Im Vergleich zu den 90er-Jahren ist etwa das Interesse der Bevölkerung gestiegen», so Longchamp und fügte an: «Das hat viel damit zu tun, dass die Auseinandersetzungen polarisierter geworden sind, was nicht nur negativ ist sondern auch etwas positives hat. Die Standpunkte kommen heute besser zum Ausdruck, das Meinungsspektrum ist breiter geworden.»

Als das grosse Aber, oder in seinen Worten «der grosse Nachteil», bezeichnete Longchamp, dass heutzutage eine «extreme Polarisierung der Personen» stattfinde. Es gehe nicht mehr um die Inhalte, sondern es gehe einfach darum jemanden «fertigzumachen» – «und das ist glaube ich die Unkultur unserer Gegenwart.»

Spannende Diskussion im Netz

Bei einer «Arena» über die politische Debattenkultur, darf natürlich zum Schluss auch der Blick ins Netz nicht fehlen. Wie sind die Reaktionen zur Sendung auf Twitter ausgefallen? Auf einer der Plattformen, auf der bei einer politische Debatte schnell mal zur politischen Gewalt aufgerufen wird? Vorausgeschickt: Spannend!

Eine Person analysierte die Aussagen der Politikerinnen und Politiker zu Beginn der Sendung und schrieb: «Früher seis nicht anders, sprich besser gewesen, sagen jetzt alle. Aber warum brauchten die Politiker früher keinen Polizeischutz?»

Ist die Politik aggressiver geworden?

Ein anderer Nutzer meinte: «Hetze ist keine Meinungsfreiheit... Hr. Somm», während eine Person feststellte: «Während in der Arena um Debattenkultur und Hetze geredet wird, hetzten hier die ‹bewährten› Twitterer weiter. Der Mensch war, ist und bleibt unverbesserlich.»

Und eine Person wiederholte die wohl bedeutendste Aussage des Abends: «Polarisierung ist nicht nur negativ. (...) Aber andere fertigmachen ist die Unkultur von heute» und meinte dazu: «Damit ist für heute (fast) alles gesagt.»

Ad
Ad

Mehr zum Thema:

Trinkwasser-InitiativePestizid-InitiativeTamara FunicielloNationalratBundesratWahlkampfInternetTwitterGesetzGewaltCoronavirusJusoSVPSRFSP«Arena»