Das vergangene Jahr war geprägt von Krieg und Krisen. Amnesty Schweiz will im Wahljahr 2023 auch Akzente auf Asylpolitik setzen, aber nicht nur. Ein Interview.
Alexandra Karle Amnesty Schweiz
Alexandra Karle ist seit 2020 Geschäftsleiterin der Schweizer Sektion von Amnesty International. - Amnesty Schweiz
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Das Wichtigste in Kürze

  • 2022 war menschenrechtlich gesehen ein schwieriges Jahr.
  • Im Interview blickt Amnesty-Schweiz-Direktorin Alexandra Karle zurück, aber auch voraus.
  • Ob Asyl oder Sexualstrafrecht: Justizministerin Baume-Schneider stehe vor grossen Aufgaben

Nau.ch: Frau Karle, bevor wir auf 2023 zu sprechen kommen: Welche Bilanz zieht Amnesty Schweiz aus 2022?

Alexandra Karle: Es war aus unserer Sicht ein schwieriges Jahr, das mit dem Einmarsch der russischen Streitkräfte in die Ukraine angefangen hat. Dann im Herbst die Demonstrationen im Iran, wo die Sicherheitskräfte Demonstrierende töten, einsperren oder hinrichten. Zudem werden Menschenrechte weltweit immer mehr infrage gestellt und Aktivisten eingeschüchtert, inhaftiert oder getötet.

Sexualstrafrecht Amnesty
Eine Protestaktion von Amnesty Schweiz für das «Nur Ja heisst Ja»-Prinzip im Sexualstrafrecht auf dem Bundesplatz, 30. Mai 2022. - Keystone

Aber wir haben auch ein paar Erfolge gefeiert, zum Beispiel in der Schweiz: Etwa die Revision des Sexualstrafrechts, als der Nationalrat im Dezember der «Nur Ja heisst Ja»-Lösung zugestimmt hat.

Nau.ch: 2023 feiert die schweizerische Eidgenossenschaft 175 Jahre Bestehen: Welche Schwerpunkte möchte Amnesty in diesem besonderen Jahr innenpolitisch setzen?

Alexandra Karle: Das Sexualstrafrecht bleibt ein Schwerpunkt. Wir hoffen, dass die Bundesversammlung im Frühling die Zustimmungslösung verabschiedet. Wichtig bleibt auch die Klimagerechtigkeit, wir werden uns auf jeden Fall für das Klimaschutzgesetz, gegen das die SVP das Referendum ergriffen hat, einsetzen. Die Schweiz muss sich ausserdem stärker im Ausland positionieren und die Menschenrechte verteidigen.

Flüchtlinge Ukraine Krieg Bundesasylzentrum
Geflüchtete vom Ukraine-Krieg vor dem Eingang des Bundesasylzentrum in Chiasso TI, 17. März 2022. - Keystone

Nau.ch: Apropos SVP: Es ist ein Wahljahr und sie setzt wieder voll auf das Thema Einwanderung. Wie ist es bei Ihnen, werden Sie auch über Asyl- und Migrationsthemen diskutieren?

Alexandra Karle: Die Gleichbehandlung der Geflüchteten ist für uns sicherlich ein grosses Thema. Es war gut, wie die Schweiz geflüchtete Menschen aus der Ukraine aufgenommen hat. Aber das muss auch mit Flüchtenden möglich sein, die aus anderen Ländern kommen.

Nau.ch: Was erhoffen Sie sich von der neuen Justizministerin, Elisabeth Baume-Schneider?

Alexandra Karle: Wir haben uns über die Wahl von Frau Baume-Schneider gefreut. Sie steht aber vor einer Wahnsinns-Aufgabe: 2022 sind 90'000 Menschen in die Schweiz geflüchtet, das war eine grosse Herausforderung. Bundesasylzentren und kantonale Unterkünfte waren voll, es fehlte an Betreuungspersonen.

EJPD Baume-Schneider
Elisabeth Baume-Schneider (links) ersetzt Karin Keller-Sutter als Vorsteherin des Justiz- und Polizeidepartements (EJPD). - Keystone

Wir hoffen, dass sich Bundesrätin Baume-Schneider für sichere Fluchtrouten, die nicht über das Mittelmeer führen, einsetzen wird; zum Beispiel mehr humanitäre Visa und leichtere Familienzusammenführungen.

Nau.ch: Ausserhalb der Grenze ist auch viel los und Sie haben es schon erwähnt: Die Schweiz soll sich international stärker positionieren. Zum Beispiel über den UNO-Sicherheitsrat?

Alexandra Karle: Genau, das wäre möglich. Wir sehen eine Diskrepanz zwischen dem Bekenntnis zum weltweiten Schutz von Menschenrechten und den Handlungen in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Obwohl der Bund viel auf die «guten Dienste» und Diplomatie setzt, sollte es möglich sein, schneller und klarer Menschenrechtsverletzungen zu verurteilen.

Ignazio Cassis UNO-Sicherheitsrat
Aussenminister Ignazio Cassis spricht während einer Sitzung des UNO-Sicherheitsrats in New York, 12. Januar 2023. - Keystone

Nau.ch: Wie etwa im Falle des Iran?

Alexandra Karle: Ja. Es ist im Iran mittlerweile so schlimm, dass junge Menschen hingerichtet werden, um die Demonstrierenden abzuschrecken. Fast 20'000 Menschen wurden bisher verhaftet: Gerade hier könnte sich die Schweiz positionieren. Unser Schutzmachtmandat für die USA darf nicht als Feigenblatt fungieren. Zudem sollten wir Geflüchteten aus dem Iran Asyl gewähren.

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