Vom Meisterdieb zum Bestsellerautor: Die Lebensgeschichte von Karl-Heinz Jäger alias Henry Jaeger ist unglaublich - und selbst in seiner Heimatstadt Frankfurt fast vergessen. Ein Roman erinnert jetzt an die schillernde Persönlichkeit, die zwei Mal weltberühmt war.
Jakob Stein mit seinem Roman «Der Gröschaz» und der Reproduktion eines Fotos mit Mitgliedern der Jägerbande in Frankfurt. Foto: Arne Detert
Jakob Stein mit seinem Roman «Der Gröschaz» und der Reproduktion eines Fotos mit Mitgliedern der Jägerbande in Frankfurt. Foto: Arne Detert - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Auftritt auf der Frankfurter Buchmesse war spektakulär: Der Autor hatte das Buch in einer Gefängniszelle geschrieben, auf Toilettenpapier, mit Hilfe des Gefängnisgeistlichen wurde es herausgeschmuggelt.

Polizisten begleiteten den Strafgefangenen 1962 zum Verlagsstand. Der Mann war kein Unbekannter in Frankfurt: Karl-Heinz Jäger war der Kopf einer berüchtigten Einbrecherbande. Als Henry Jaeger wurde er später ein international erfolgreicher Schriftsteller.

Ein Buch erzählt jetzt diese unglaubliche Lebensgeschichte. «Der Gröschaz» heisst die Mischung aus Roman und Biografie, Ende August erscheint es im Frankfurter B3 Verlag. Es ist die Kurzform für «den grössten Schriftsteller aller Zeiten», als der Jaeger sich selbst sah. Bescheidenheit war seine Sache nicht, weder als Unterweltgrösse in Frankfurt in den 1950ern, noch als Mitglied der Künstlerszene von Ascona in den 1970ern.

«Seine Lebensgeschichte hat mich von Anfang an fasziniert», sagt der Biograf und B3-Verleger Norbert Rojan, der sich als Autor Jakob Stein nennt. «Er ist ein grossartiger Erzähler, der zu Unrecht in Vergessenheit geriet.» Der 54-Jährige hat gründlich recherchiert, grub Gerichtsakten aus, interviewte Jaegers Sohn, las die vielen Artikel, die über die beiden Leben seiner Hauptfigur geschrieben wurden.

Sein Buch ist Krimi und Psychogramm, verbindet Zeit- und Literaturgeschichte. Der Autor lässt Jägers/Jaegers Freund und Anwalt sprechen, der rückblickend dessen Geschichte erzählt. 1927 wurde er als Kind armer Leute in der Fechenheimer Strasse in Frankfurt-Bornheim geboren. Nach dem Zweiten Weltkrieg fühlte er sich seiner Zukunft beraubt, mit Betrügereien holte er sich in seinem Selbstverständis von der Gesellschaft zurück, was diese ihm verwehrt hatte.

In den 50ern war er Kopf einer berüchtigten Einbrecherbande, die der «Spiegel» als «die klügste und raffinierteste der jungen Bundesrepublik» bezeichnete. Er war eine Unterweltgrösse, die im Luxus schwelgte. Doch dann ging der Überfall auf eine Rentenkasse am Frankfurter Oederweg schief, die Jägerbande wurde verhaftet, der Chef zu zwölf Jahren Gefängnis verurteilt. In Einzelhaft - bei Rede- und Schreibverbot und Schweigepflicht beim Hofgang - kam die Wende.

Nicht seine Lebensgeschichte schrieb er heimlich auf Klopapier, sondern einen Roman über Vertriebene, die in der neuen Bundesrepublik nicht Fuss fassen können. «Die Festung» erschien 1962, war bei Publikum und Kritik ein grosser Erfolg und wurde später mit Martin Held und Hildegard Knef verfilmt. «Was ich an seinen Büchern schätze» sagt Stein, «ist die unglaubliche Intensität, die emotionale Bindung zu den Figuren, und dass er auch immer wieder versucht hat, neue Formen des Erzählens zu finden.»

Bei seinem Auftritt auf der Buchmesse lernte Jaeger Erich Maria Remarque kennen, beide hatten den selben Verlag. Der berühmte Kollege holte Jaeger nach dessen Begnadigung nach Ascona, wo er als Mitglied der dortigen Künstlerkolonie erneut zu den Reichen und Schönen gehörte und im Luxus schwelgte. Seine frühen Titel hatten Millionenauflagen, erschienen in mehr als 30 Ländern.

Seine kriminelle Vergangenheit war die Eintrittskarte in den Literaturbetrieb, später wurde sie zum Hemmschuh, als Autor ernst genommen zu werden, glaubt Stein. Jaeger scheitert auch in seinem zweiten Leben: Seine Ehe zerbricht, er trinkt, hat Schulden, erleidet einen Schlaganfall, verwahrlost und stirbt völlig verarmt in Ascona, wo er begraben liegt.

Dass Stein überhaupt auf das Thema aufmerksam wurde, liegt an Peter Zingler. Seine Vita ist der Jägers/Jaegers nicht unähnlich. Auch Zingler war Einbrecher, sass im Gefängnis und wurde dort zum Autor, als Drehbuchautor wurde er später mit dem Grimme-Preis geehrt. Stein arbeitete an einer Anthologie über das Frankfurter Bahnhofsviertel, als Zingler sagte, Jaeger dürfe darin auf keinen Fall fehlen.

«Ich sehe ihn als einen vielfach gescheiterten Menschen», sagt Stein: «als einen an sich selbst gescheiterten Menschen und als immer wieder an den Umständen gescheiterten Menschen.» Dass es in Frankfurt nicht mal eine Gedenktafel gibt - das will Stein nicht akzeptieren. Zum 20. Todestag im Februar 2020 will er den Jaeger als Autor wieder bekannt machen. Seit August bietet er auch Stadtführungen an, damit diese unglaubliche Geschichte nicht dem Vergessen anheim fällt.

- Jakob Stein: Der Gröschaz, Verlag B3, Frankfurt, 360 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3-943-75864-1.

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