Herbert Blomstedt ist ein Ausnahmekünstler und musikalischer Weltbürger. Als Kind schwedischer Eltern in den USA geboren, hat er die besten Orchester dirigiert. Auch mit 95 steht er noch am Pult.
Der Dirigent Herbert Blomstedt feiert seinen 95. Gebuertstag.
Der Dirigent Herbert Blomstedt feiert seinen 95. Gebuertstag. - Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild/dpa

Von der Fachwelt gepriesen, von Musikern verehrt und vom Publikum geliebt: Die Lobeshymnen auf Maestro Herbert Blomstedt klingen überall ähnlich. Er gilt als dienstältester Spitzendirigent der Welt und ist dennoch mit seinen Interpretationen jung geblieben.

«Herbert Blomstedt widerlegt in vielerlei Hinsicht die gängigen Klischeevorstellungen eines Dirigenten. Er ist das Gegenteil des eitlen Pultmagiers - und strahlt doch in seiner zutiefst sachhaltigen Kontrolliertheit auf dem Podium ein ganz eigenes, stilles Charisma aus», würdigen die Bamberger Symphoniker ihren Ehrendirigenten. Am 11. Juli wird er 95 Jahre alt.

Eine Ausnahmeerscheinung

Diesen Tag wollte er eigentlich in Leipzig verbringen: Das Gewandhausorchester, dessen Kapellmeister Blomstedt von 1998 bis 2005 war, hatte eine Festwoche inklusive Dankgottesdienst und Open-air-Konzerte geplant. Doch der Jubilar muss sich von den Folgen eines Sturzes erholen und kann nicht anreisen. «Herbert Blomstedt ist als Mensch, Musiker und Dirigent eine Ausnahmeerscheinung», sagt Gewandhausdirektor Andreas Schulz. Er habe in seiner Leipziger Amtszeit nicht nur das Gewandhausorchester essenziell erneuert, sondern auch intensiv am Orchesterklang sowie der Klangkultur gearbeitet und das Repertoire entscheidend erweitert.

Blomstedt kam 1927 als Sohn schwedischer Eltern in den USA zur Welt. Seine Mutter war Pianistin, sein Vater Prediger. Die Mutter gab ihm ersten Musikunterricht. Im Kindesalter wäre er nach eigenem Bekunden am liebsten Lokführer geworden. Als Abiturient hatten es ihm Fächer wie Mathematik, Geschichte, Geografie und Sprachen angetan. Auf den Spuren seines Vaters hätte er auch Theologie studieren können. Doch schliesslich entschied sich Blomstedt für die Musik, studierte in Stockholm Geige, später auch Dirigieren unter anderem bei Leonard Bernstein. 1954 debütierte er als Dirigent bei den Stockholmer Philharmonikern.

Er kennt Selbstzweifel nur zu gut

«Ich bin für alles dankbar, für mein ganzes Leben. Ich hatte wunderbare Eltern, einen strengen geradlinigen Vater, der mir gute Lebensweisheiten weitergab. Meine Mutter war ein wunderbarer Kontrast zu ihm - weich, freundlich, gesellig und eine wunderbare Musikerin», hat Blomstedt einmal gesagt. Er sei für seinen Bruder dankbar, von dem er viel gelernt habe: «Er war ein Menschenfreund und völlig selbstlos. Solche Menschen sind selten.» Und er sei dankbar für seine Frau, die perfekt zu ihm gepasst habe und mit der er vier Töchter hat. Waltraud Blomstedt starb 2003.

Erste Chefpositionen nahm Blomstedt beim Orchester in Norrköping, bei der Osloer Philharmonie und dem Dänischen Radio-Sinfonieorchester ein. 1969 folgte das Debüt bei der Staatskapelle Dresden, die von 1975 an für zehn Jahre seine künstlerische Heimat wurde. Danach machte Blomstedt das San Francisco Symphony Orchestra zu einem führenden Klangkörper der USA. Von 1996 bis 1998 war er Chef des NDR- Sinfonieorchesters, dann folgte Leipzig. «Ich habe nie im Leben eine Chefposition gesucht oder mich dafür beworben. Sie sind immer zu mir gekommen. Das stimuliert das Selbstgefühl», verriet Blomstedt.

«Ich war immer geprägt von Selbstzweifeln. Ich habe mir stets die Frage gestellt, ob ich gut genug bin, um ein Orchester anzuführen. Das war immer mein erster Gedanke», räumte er schon vor Jahren ein. Sein Amtsverständnis hat er erst kürzlich in einem Interview so formuliert: «Unsere Funktion als Dirigent ist es, den Komponisten zu Gehör zu bringen. Wir sind seine Anwälte. Ich respektiere auch das Orchester. Wir Dirigenten sind nicht dazu da, damit wir uns in die Sonne stellen.»

Ein Wesenszug Blomstedts ist zweifellos seine Disziplin. Noch heute beginnt er jeden Tag mit einem Studium von Partituren. Das scheint so etwas wie Frühsport für den Maestro zu sein. Bernward Gruner, Cellist der Dresdner Staatskapelle, vergleicht es mit einem «Morgengebet». «Blomstedts Disziplin und Hingabe suchen ihresgleichen.» Gruner durfte gleich nach seinem Einstieg bei der Staatskapelle Dresden 1979 mit Blomstedt auf eine USA-Tournee gehen. Wochenlang fuhr man mit dem Bus kreuz und quer durchs Land. Der Chef wollte keine Privilegien, sondern sass wie alle anderen Musiker im Bus.

Er erneuert sich geistig mit der Musik

Auch nach seinem Abschied als Chefdirigent der Staatskapelle hat Gruner Blomstedt bei Gastspielen immer wieder erleben dürfen. «Blomstedt hat nie nachgelassen zu arbeiten. Er hat sich im Lauf seines Lebens immer weiter verbessert.» Es gebe ganz unterschiedliche Arten, wie Dirigenten alt werden. «Manche verblassen, andere bleiben bis zum Schluss fit, machen aber immer wieder dasselbe. Bei Blomstedt lässt sich die Entwicklung bis ins hohe Alter verfolgen. Ich erlebe das Geheimnis seines Alters so, dass er sich immer wieder geistig erneuert. Das ist die Quelle seiner Vitalität.»

Blomstedt hat sich selbst keine Grenze gesetzt, wann er den Taktstock aus der Hand legt. «Aber irgendwann kann man nicht mehr. So ist das Leben», sagte er schon vor langer Zeit. «Wenn ich nicht mehr gut hören kann, dann macht das wenig Sinn. Da kann man nicht mehr koordinieren. Oder wenn ich ein physisches Gebrechen habe und ich mich nicht gut fühle. Das alles kann passieren. Solange das Orchester Freude hat, mit mir zu musizieren, werde ich das machen. Ich möchte nicht irgendwann das Gefühl haben, dass die Freude nur auf meiner Seite ist.»

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