Ursula Eichenberger: «Der Frontalunterricht gewinnt an Wichtigkeit»
Seit einem Monat haben die Schulen wieder geöffnet. Nau hat mit Ursula Eichenberger, Lehrerin der 4. Klasse an der Primarschule Hertimatt 2 in Seon, gesprochen.

Nau.ch: Ursula Eichenberger, wie hat Ihr Alltag während des Lockdowns ausgesehen?
Ursula Eichenberger: Grundsätzlich sehr verschieden zum Alltag des Unterrichtens. Ich habe viel Zeit damit verbracht, geeignetes Lernmaterial in Papierform zusammenzustellen, das von den Schülern auch bewältigt werden konnte. Immer wieder bekamen die Schüler auch Aufträge, die sie am Computer erledigen mussten.
Ich sass viele Stunden am Laptop, habe Nachrichten meist über WhatsApp empfangen und beantwortet. Meine Schüler haben einige ihrer Arbeiten fotografiert, welche ich kommentiert oder korrigiert habe. Zwischendurch gab es ungewohnte Pausen, doch die Arbeit ging dann in den Abendstunden häufig weiter.

Während des Fernunterrichts war ich mehrmals in der Woche im Schulzimmer anzutreffen. Regelmässig haben meine Kollegin und ich die Schüler/innen empfangen, Material ausgehändigt, ihnen den Wochenplan erläutert und nach ihrem Befinden gefragt. Die Schüler sind wie in einem Taktfahrplan im Schulzimmer erschienen. Das hat prima funktioniert.
Nau.ch: Wie haben Sie sich auf die Öffnung der Schule am 11. Mai vorbereitet?
Wir haben in einer Teamsitzung besprochen, welche Regeln für unsere SuS gelten sollen. Da ich meine Schüler auch während des Fernunterrichts immer wieder sah, waren sie mir gar nie fremd geworden.

In der ersten Lektion forderte ich die Kinder auf, sich Gedanken zu den vergangenen acht Wochen zu machen. Ich spürte schnell, dass sie sich eigentlich jetzt einfach nach normalem Unterricht sehnten. So legten wir auch gleich los. Ich kann glücklicherweise an dem in den acht Wochen selbst erarbeiteten und gelernten Schulstoff anknüpfen.
Um die Abstandsregeln einhalten zu können, klebte ich am Boden Markierungen an und auch mein Pult hat nun mehr Distanz zu den Schülerpulten. Beim Eintritt ins Schulzimmer wird ausgiebig Hände gewaschen und auch vor dem Nachhausegehen gilt diese Regel.

Nau.ch: Kam die Öffnung aus Ihrer Sicht zu früh – evtl. Angst vor Ansteckung – oder sind Sie froh, wieder vor Ort unterrichten zu können?
Ich persönlich bin sehr froh, wieder ‹normal› unterrichten zu können. Allerdings hatten wir zu wenig Zeit, uns perfekt auf den Präsenzunterricht mit Abstand vorbereiten zu können. Die Plexiglasscheiben für die Lehrerpulte sind aus Zeitgründen noch nicht überall montiert. Für Lehrpersonen mit Vorerkrankung sieht die Situation etwas anders aus; ich kann eine gewisse Skepsis gegenüber der allgemeinen Schulöffnung nachvollziehen. Trotzdem bin ich froh, nicht gleichzeitig Fern- und Präsenzunterricht erteilen zu müssen.

Nau.ch: Wie haben Sie die ersten Wochen nun erlebt?
Der Frontalunterricht gewinnt gerade an Wichtigkeit. Im Werken arbeiten meine Schüler nach einem Plan, sodass ich die Distanz einigermassen einhalten kann. Manchmal ist es schon umständlich, wenn ich einem Schüler etwas erklären möchte.
Die Klasse ist friedlich und wir sind alle froh, dass es wieder einen gewohnten Alltag gibt mit unterrichten, Pausen, Freunde sehen, singen, gemeinsame Spiele machen usw. Eben das, was Schule ausmacht! Auch wenn man Abstand halten muss, gelingt das mit etwas Einfallsreichtum.

Nau.ch: Wie gut können die Sicherheitsmassnahmen umgesetzt werden? Halten sich die Schüler an diese?
Meine Schüler machen das mit dem Abstand einhalten zur Lehrerin sehr gut. Zwischendurch weise ich wieder darauf hin. Grundsätzlich haben sich die Regeln aber eingespielt. Natürlich vergisst man sich selber mal und kommt sich zu nahe beim Erklären oder Zuhören. Auch im Lehrerteam bemüht man sich, die Abstände einzuhalten. Doch die Distanz von zwei Metern ist schon viel und kann nicht in jeder Situation eingehalten werden.

Nau.ch: Was nehmen Sie aus der Zeit des Lockdowns mit?
Gerne legen Schüler mit Fragen los, bevor sie überhaupt eine Aufgabe richtig gelesen und darüber nachgedacht haben. Nun wurden sie gezwungen, selbstständiger zu arbeiten. Einigen ist das gut gelungen.
Sicherlich hatten die Schüler auch mehr freie Zeit zur Verfügung. Einige haben diese Zeit sehr sinnvoll genutzt. Ein Schüler hat zum Beispiel berichtet, sie hätten gemeinsam einen Teich im Garten angelegt.
Grundsätzlich habe ich viele Leute in meinem nahen Umfeld entspannter erlebt, weil sich die Welt etwas langsamer drehte. Allerdings sind das nicht Menschen, die Angst um ihren Job haben müssen.

Zur Person
Ursula Eichenberger ist seit 1987 als Lehrerin tätig. Die 55-Jährige unterrichtet die 4. Klasse am Primarschulhaus Hertimatt 2 in Seon. Ursula Eichenberger hat eine erwachsene Tochter und widmet sich in ihrer Freizeit gerne dem Garten, der Natur, der Handarbeit oder dem Velofahren.