Verbraucherschützer fordern grundlegende Reform der Lebensmittelüberwachung
Nach dem Skandal um keimbelastete Wurst der Firma Wilke haben Verbraucherschützer eine grundlegende Reform der Lebensmittelüberwachung angemahnt.

Das Wichtigste in Kürze
- Klöckner berät mit Ländern über Konsequenzen aus Wurstskandal bei Wilke.
Die Organisation Foodwatch forderte in jedem Bundesland eine einzige «politisch unabhängige Landesanstalt», der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) verlangte die Veröffentlichung aller Kontrollberichte der Behörden. Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) traf sich in Berlin mit Ländervertretern, um über Schwachstellen bei der Lebensmittelüberwachung zu sprechen und Skandale wie bei Wilke künftig zu vermeiden.
Foodwatch kritisierte, kommunale Behörden und Landesregierungen seien in einem «permanenten Interessenkonflikt», denn sie müssten die regionale Wirtschaft fördern und Arbeitsplätze sichern - und zugleich das Lebensmittelrecht in den Unternehmen durchsetzen. Damit habe die Lebensmittelüberwachung in Deutschland ein «System-Problem». Wenn sie nicht bundesweit neu aufgestellt werde, sei «der nächste Lebensmittelskandal nur eine Frage der Zeit», warnte Foodwatch.
Kommunen und Landesregierungen müsse die Zuständigkeit für die Lebensmittelüberwachung entzogen werden, forderte die Organisation. Neue eigenständige Landesanstalten sollten dann für alle Betriebe eines Bundeslandes zuständig sein und müssten ohne die Fachaufsicht durch übergeordnete Landesverbraucherministerien eingerichtet werden. Auch konsequentere Lebensmittelrückrufe und eine lückenlose Rückverfolgbarkeit seien entscheidend, damit im Krisenfall nicht «400 Behörden gleichzeitig den Verbleib zurückgerufener Produkte recherchieren müssen».
Der vzbv äusserte sich ähnlich. Die am Freitag beschlossenen Massnahmen, etwa den Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern zu verbessern und interdisziplinäre Kontrollteams einzusetzen, seien «richtig», lösten aber die Grundprobleme nicht und verhinderten auch «nicht den nächsten Lebensmittelskandal», erklärte vzbv-Chef Klaus Müller. Nötig sei ein grosser Wurf: Die Verantwortung für die Überwachung müsse auf Landesebene statt bei den Kommunen angesiedelt werden. Ausserdem müssten die Behörden verpflichtet werden, alle Kontrollberichte einschliesslich einer zusammenfassenden Bewertung zu veröffentlichen.
Klöckner sagte nach dem Treffen am Freitag, es müssten Fragen gestellt werden, wo es Lücken bei der Überwachung gebe und welche Verbesserungen nötig seien. In erster Linie hätten die Lebensmittelunternehmen die Pflicht, dafür zu sorgen, «dass die Lebensmittel sicher sind». Die Ministerin forderte zudem die Länder auf, die Lebensmittelkontrolle so zu organisieren, «dass es keine Interessenkonflikte gibt».
Klöckner schlug zugleich vor, «interdisziplinäre Kontrolleinheiten» für die Lebensmittelüberwachung in den Ländern einzusetzen. Diese zusammengesetzten Teams von Experten unterschiedlicher Bereiche sollten gegebenenfalls aus anderen Länder-Behörden unterstützt werden, dies beuge auch Interessenkonflikten vor.
Der FDP-Agrarexperte Gero Hocker warf Klöckner ein «Ablenkungsmanöver» vor. Es bleibe die Frage, weshalb Informationen nicht schneller weitergegeben wurden. Nötig sei nun, den nationalen Kontrollplan wirksamer auszugestalten, «damit vorsorglich die Verbraucher besser geschützt werden».
Die Grünen-Verbraucherschutzexpertin Renate Künast sprach sich dafür aus, dass Kontrollen stets unangekündigt stattfinden müssten, insbesondere bei einem Verdacht. Danach müsse die Bevölkerung über die Erkenntnisse informiert werden, sagte sie der «Augsburger Allgemeinen».
Der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure hält die Zahl der Hygienekontrollen in Deutschland für unzureichend. So hätten im vergangenen Jahr nur 43 Prozent der zu kontrollierenden Betriebe auch tatsächlich aufgesucht werden können, sagte die Verbandsvorsitzende Anja Tittes der «Neuen Osnabrücker Zeitung». Es mangele vor allem an Personal.
In Wurstwaren von Wilke waren bereits im März schädliche Bakterien, sogenannte Listerien, festgestellt worden. Drei ältere Todesfälle werden mittlerweile damit in Verbindung gebracht. Im zuständigen hessischen Ministerium wurde nach eigenen Angaben erst Mitte September durch das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit sowie durch das Robert-Koch-Institut klar, dass es einen Zusammenhang zwischen an Listerien Erkrankten und der Firma Wilke gebe.