Bei ihrem Treffen in Amsterdam hat die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag die Weichen für ein Ende der Negativzinsen gestellt.
EZB-Präsidentin Lagarde in Amsterdam
EZB-Präsidentin Lagarde in Amsterdam - AFP
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Das Wichtigste in Kürze

  • Netto-Anleihekäufe sollen zum Monatsende beendet werden.

Zum ersten Mal seit über zehn Jahren sollen beim nächsten Treffen am 21. Juli die Zinssätze um 0,25 Prozentpunkte angehoben werden. Die Netto-Anleihekäufe unter dem Anleihekaufprogramm APP sollen bis Ende Juni eingestellt werden. Im September sei möglicherweise auch «ein grösserer Zinsschritt angemessen».

«Wir legen einen Weg fest, auf dem die Treffen im Juli und dann im September die nächsten Schritte in Richtung Zinserhöhung sind», sagte EZB-Präsidentin Christine Lagarde im Anschluss an die Ratssitzung am Donnerstag. Die Zinserhöhung erfolge nicht «in nur einem Schritt», es handele sich um eine «Reise», sagte Lagarde weiter.

Vorerst beliess die EZB ihre Leitzinsen jedoch auf ihrem historischen Tiefstand. Der Hauptrefinanzierungssatz, den Banken zahlen müssen, wenn sie sich Geld bei der EZB leihen wollen, blieb bei null Prozent.

Grund für die unerwartet präzise Ankündigung der Zinserhöhung ist die hohe Inflationsrate im Euroraum. Laut neuen EZB-Prognosen steigt die Inflationsrate im Jahr 2022 auf durchschnittlich 6,8 Prozent und liegt damit deutlich über dem EZB-Ziel von zwei Prozent. Preistreibend wirkten sich demnach insbesondere Energie- und Lebensmittelpreise aus. Ohne diese würde die Inflation im Jahr 2022 im Schnitt 3,3 Prozent betragen. Für das kommende Jahr rechnet die EZB mit einem Rückgang der Inflation auf 3,5 Prozent und im Jahr 2024 mit einer Teuerungsrate von 2,1 Prozent.

Dass sich die geplante Zinserhöhung zeitnahe auf die Inflationsrate auswirken werde, sei nicht zu erwarten, sagte Lagarde weiter. «Elf Jahre lang gab es keine Erhöhung der Leitzinsen mehr», sagte Lagarde. «Meist haben geldpolitische Entscheidung erst auf lange Sicht einen Einfluss auf die Inflation». Die EZB müsse deshalb «den Kurs halten, entschlossen sein und unser Ziel von zwei Prozent Inflation im Blick behalten».

Für viele Analysten war der nun angekündigte Schritt der EZB allerdings nicht entschlossen genug. Der Zeitplan der EZB sei «immer noch zu zögerlich», kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands deutscher Banken, Christian Ossig. «Das fundamental geänderte Preisumfeld rechtfertigt einen negativen Leitzins bis in den Herbst hinein nicht mehr». Ossig forderte deshalb eine Zinserhöhung von 0,5 Prozentpunkten in einem einzigen Schritt. Dies wäre ein «deutliches und dringend notwendiges Signal an Verbraucher, Unternehmen und Tarifparteien».

Auch der Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel, Stefan Kooths, bezeichnete die Ankündigung als einen «überfälligen Anfang, aber eben auch nur das». Dass die EZB bei ihrem Treffen am Donnerstag von einer Zinserhöhung abgesehen habe, «erhöht die geldpolitischen Risiken unnötig». Er forderte weitere Schritte zur Normalisierung der Geldpolitik, ansonsten sei die Glaubwürdigkeit der EZB in Gefahr.

Eine sofortige Erhöhung der Leitzinsen forderte auch der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher. «Ein starkes Signal für einen entschiedenen Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik ist essenziell für die EZB, um die Inflationserwartungen fest zu verankern und damit ihre Glaubwürdigkeit zu schützen», erklärte Fratzscher. Zwar hätte eine Zinserhöhung zu Unruhe an den Finanzmärkten führen können. «Dies wäre jedoch ein deutlich geringeres Übel als ein zu starker Anstieg der Inflationserwartungen».

Die Geldpolitik-Expertin der Hans-Böckler-Stiftung, Silke Tober, bezeichnete die EZB-Entscheidung hingegen als «nicht zögerlich, sondern angemessen». «Wichtig ist, dass sich die EZB ihre Flexibilität bewahrt, um zügig auf Veränderungen der Rahmenbedingungen reagieren zu können und eine reibungslose Transmission der Geldpolitik zu gewährleisten», erklärte Tober. Eine deutlichere Zinserhöhung sei nur dann nötig, wenn sich auch überhöhte Lohnsteigerungen abzeichneten - dies sei aktuell jedoch nicht der Fall.

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