«Nicht von hier»
Das Wichtigste in Kürze
- Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
- Reda El Arbi erlangte als Blogger und Journalist Bekanntheit.
- Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
- Er lebt mit Frau und zwei Hunden in Stein am Rhein SH.
Es begann eigentlich schon bevor ich richtig sprechen konnte: «Der ist aber schnusig! Diese Locken! Mischlinge sind so herzig! Woher kommt denn dein Papi? Dudududu. Woher ist denn der Papi von diesem kleinen Chruselkopf?» Eine unverfängliche, wirklich nett gemeinte Frage. Sicher kein Rassismus. Die ersten Menschen, deren Worte ich verstand, sahen mich als hübsches exotisches Etwas. Anders als die anderen.
In Kindergarten und Schule gings dann weiter. «Woher kommst du denn? Ich meine wirklich?» Und «Wo fühlst du dich denn Zuhause, wo ist dein Herz?» Auch nach dem dritten Mal «Züri» insistierte mein Gegenüber, dass ich doch eigentlich, so ganz wirklich, nicht von hier sein könne.
Später, als Jugendlicher, bei jeder Party, bei jeder neuen Begegnung, ist eine der ersten drei Fragen «Woher kommst du? Also so ursprünglich?». Bei einem neuen Job, je nach Firmengrösse zwischen 10 und 50 Mal die gleiche Frage in den ersten drei Tagen.
Ich weiss, viele werden jetzt anmerken, dass dies doch verständliche Neugierde ist, und sicher eher Zuwendung und Interesse als Rassismus zeigt. Ja, das stimmt. Nur weil jemand fragt, woher man kommt, ist er sicher kein Rassist. Aber es ist eben auch eine sehr egozentrische Sichtweise der Frage. Kehren wir doch die Perspektive mal um.
Stellen Sie sich vor, Sie würden als Kind oder Jugendlicher mehrmals täglich gefragt, woher Sie denn kommen. In Ihrer Heimatstadt, in ihrem Geburtsland, in Ihrem Quartier, in Ihrem Wohnhaus. 10 000 Mal während sich Ihre Persönlichkeit bildet. Denken Sie, dass dies keinen Einfluss auf Ihr Selbstbild hat? Sie sind nicht von hier. Sonst würden ja nicht alle fragen.
Als Jugendlicher hatte ich stark das Gefühl, nicht dazuzugehören, anders zu sein. Natürlich hat das jeder Jugendliche irgendwann. Aber mir und vielen anderen wurde das auch noch täglich bestätigt. Man hat zwei Möglichkeiten, damit umzugehen. Entweder man versucht, sich mit Überanpassung noch stärker einzufügen, oder man gibt, wie ich, einen feuchten Dreck darauf, und entwickelt einen Stolz auf seine Andersartigkeit. Beides prägt die Persönlichkeitsentwicklung in jungen Jahren extrem. Man wird eine andere Person.
Und wieder kommt dann «Aber ich interessiere mich halt für fremde, exotische Länder! Ich bewundere (wahlweise) arabische/afrikanische Kultur. Das ist nett, auch wenn es keine «afrikanische» oder «arabische» Kultur gibt, da sich Ägypten von Saudi-Arabien, oder Mauretanien von Südafrika etwa so unterscheiden wie Schweden von Italien. Der Punkt ist, dass die Schweiz meine Kultur geprägt hat. Und ich kann nicht mehr über nordafrikanische Kultur erzählen, als man in zwei Wochen Ferien in Tunesien oder in 10 Minuten Wikipedia erfährt.
Ich hab die Frage nach dem «Woher» so oft gehört, und das, obwohl ich weiss bin, und mein Äusseres nicht mehr so klar als «fremd» zu erkennen ist, wie in meiner Kindheit. Ich beantworte die Frage inzwischen auch mal, indem ich einfach eine Geschichte erzähle, damit es nicht so langweilig wird: Der illegitime Sohn eines Sheiks aus der Wüste. Das «El» in meinem Namen beweist ja die adelige Herkunft. Sohn eines geheimnisvollen Tuareg, der eine Weisse entführt und in sein Harem gesperrt hat. Macht Spass und gibt meinem Gegenüber gleichviel Information über meine «Kultur» wie jede andere Antwort. Bei Leuten, die insistieren, erlaube ich mir auch mal darauf hinzuweisen, dass ich meinen Familienstammbaum effektiv bis zur Schlacht von Sempach zurückverfolgen kann. Und dass es imfall auch Familien gäbe, bei denen Mutter und Vater keine Geschwister seien und aus verschiedenen Familien stammen können. Und die Familie meiner Mutter ist nachweislich «von hier».
Sie sehen, Ihre Frage ist in bester Absicht gestellt, ohne einen einzigen abwertenden Gedanken - sie sagt aber dem Gefragten in erster Linie eines: «Du bist nicht von hier».
Das ist nicht schwierig, wenn das hin und wieder geschieht. Wenn man aber sein Leben lang diese Frage täglich, und meist in den ersten drei Sätzen des Gegenübers hört, hat das einen Impact.
Und das wären ja nur die lieb gemeinten Ausgrenzungen. Dazu kommen dann auch noch die häufigen wirklichen rassistischen Angriffe wie «Geh doch dahin, wo du herkommst!», «Verpiss dich, Kameltreiber!» oder «Wärst du doch in der Wüste geblieben, du Sandne*er!».
Ich kann inzwischen ganz gut damit leben, als «anders» wahrgenommen zu werden. Aber ich hab auch ein Ego von der Grösse eines russischen Panzers. Doch nicht jede und jeder ist so robust wie ich, schon gar nicht in der Kindheit und Jugend.
Also, wenn Sie das nächste Mal diese Frage stellen wollen, überlegen Sie kurz eine Sekunde, ob Sie an diesem Tag wohl der erste sind, der diese Frage stellt, ob die Frage an diesem Punkt wirklich wichtig ist, und ob Sie nicht warten wollen, bevor Sie jemanden nach intimen Details des Familienlebens (Flucht, Scheidung, Krieg, Adoption etc.) fragen.
Das wäre ein kleines Zeichen von Respekt. Nicht für die «fremde Kultur», aber für die Person, die gerade vor Ihnen steht.
Herzlichen Dank.
Mehr zum Thema auf der Seite mirsindvoda.ch
Anmerkung: Natürlich werden sich jetzt wieder jede Menge «Ich bin ja kein Rassist, aber ...»-Leute tummeln, die sich keine drei Sekunden Zeit genommen haben, über den Text nachzudenken und gleich ihren Hass loswerden wollen. Sorry, ihr werdet kommentarlos einfach gelöscht. Ihr könnt euch die Zeit zum Schreiben sparen, da eure Kommentare nicht länger als ein paar Sekunden online sein werden.
Zum Autor: Reda El Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.