Der Ukraine-Krieg verbreitet auch im Kosovo Angst. Doch die Menschen geben die Hoffnung auf Frieden nicht auf, wie Kolumnistin Shqipe Sylejmani berichtet.
Ukraine Krieg
Shqipe Sylejmani berichtet für Nau.ch aus Pristina. - Nau.ch

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Ukraine-Krieg erschüttert derzeit die ganze Welt.
  • Im Kosovo werden dabei auch alte Erinnerungen wach.
  • Nau.ch-Kolumnistin Shqipe Sylejmani berichtet aus Pristina.
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Jeden Tag erreichen uns neue Nachrichten zum Krieg in der Ukraine. Der Konflikt, der ganz Europa und die Welt erschüttert, hat ein weitaus grösseres Spektrum: in einigen Orten im Balkan wecken die Bilder aus dem Norden nicht nur alte, schreckliche Erinnerungen, sondern lassen vielerorts auch den Atem stocken: könnte der Krieg weiterziehen bis in den Balkan? Nau-Kolumnistin Shqipe Sylejmani ist im Kosovo und berichtet von den Wahrnehmungen vor Ort.

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Statue der Mutter Theresa am gleichnamigen Platz. - zvg

Auf den ersten Blick scheint alles seiner gewohnten Ordnung nachzugehen: die Buchhändler am Mutter-Teresa-Platz in Prishtina füllen die Regale mit den neuesten Literaturwerken, die Taxifahrer haben sich am üblichen Treffpunkt beim Hotel Grand versammelt und die Mitarbeiter der etlichen Restaurants öffnen bereits die Türen.

Furcht und Hoffnung gehen Hand in Hand

Genau dort, an den Tischen an denen der Zigarettenrauch der Fumoirs die Sicht benebelt, wird bereits in der Frühe diskutiert. Hat man die neuesten Meldungen bereits gehört? Was macht Putin nun? Und was passiert, wenn er gewinnt?

Furcht und Hoffnung gehen hier Hand in Hand, die Menschen in Kosovo haben schon viele Krisen überstanden und man spürt, dass selbst die Angst, die in der Luft liegt, keinen Platz bekommen soll.

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Prishtina mit dem Jugend- und Sportzentrum. - zvg

In einem Café spreche ich eine Männerrunde an und frage, was ihnen am meisten Sorgen bereitet: «Die Ausschreitungen in Bosnien Anfang Januar haben gezeigt, dass im Balkan noch immer keine Ruhe eingekehrt ist. Und wenn es dort brodelt, dann kocht irgendwann der ganze Kessel. Wir leiden mit der Ukraine mit, denn wir wissen selbst, wie viel ein solcher Krieg zerstört», sagt einer der älteren Männer am Tisch.

Fotografieren lassen will sich keiner: die Erinnerung an eine Zeit, in der solche Aussagen in der Öffentlichkeit zu Verfolgungen geführt hatten, sitzen noch zu tief, erklärt er dafür.

Gute Miene zum bösen Spiel

Seit einiger Zeit wurden auch im Kosovo, wie in der Schweiz, die meisten Coronamassnahmen aufgehoben und die Bevölkerung, die in den letzten zwei Jahren besonders hart getroffen wurde (ein Viertel der Bevölkerung lebt seit der Pandemie in Armut), findet langsam zurück in den Alltag.

Auch Clubs und Bars dürfen wieder ohne Sperrstunde ihren Betrieb eröffnen. Die Betreiber sind froh, ihr Geschäft wieder ankurbeln zu können.

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Der «Sheshi Nene Tereza», der Mutter Theresa Platz, in Prishtina. - zvg

Die jungen Generationen sehen der Gefahr angespannt hingegen. «Einerseits haben wir noch immer viele Sicherheitskräfte hier, es ist kaum vorstellbar, dass sich der Krieg bis zu uns hinziehen würde. Doch man weiss nie, wie es hier kommt. Viele vertrauen darauf, dass die Amerikaner einen erneuten Angriff auf Kosovo nicht zulassen würden, doch auch das ist nur eine Hoffnung», sagt D. H.*, ein junger Mann, der kurz vor der Pandemie seine Bar eröffnete.

«Wir versuchen nicht schwarz zu sehen, besonders nach dieser Pandemie nicht. Hoffnung ist das, was die Menschen jetzt brauchen – aber vor allem die Ruhe zu bewahren.»

Nicht mehr das Land von damals

Im Taxi eröffnet der Fahrer das Gespräch: «Was sollen wir schon tun? Solche Dinge werden von weitaus wichtigeren Figuren besprochen – wir sind nur die Bauern in einem Schachspiel der Weltmächte», erklärt er. Täglich sehe er junge Menschen aus dem Land reisen, um in eine bessere Zukunft zu finden und gleichzeitig Menschen der Diaspora, die zurückkehren, um im Land etwas aufzubauen.

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Taxifahrer an einem der Treffpunkte beim Hotel Grand. - zvg

«Meine Hoffnung schwankt daher hin- und her. Ich denke, dass wir vielleicht auch weniger Informationen erhalten als diejenigen im Ausland. Und solange diese noch hierhin reisen, mache ich mir keine Sorgen.», erzählt er während der Fahrt und erwähnt, dass er es bereut, damals als Flüchtling in der Schweiz selbst wieder zurückgekehrt zu sein.

«Wir wünschen uns Frieden»

«Ich befasse mich sonst nicht mit Politik», sagt auch die junge Moderatorin, die ich bei einem Interview kennenlerne, «und natürlich berichten wir neutral über die Geschehnisse, die in den letzten Tagen, als wieder Stimmen laut wurden, der Krieg könnte zu uns finden. Plötzlich brach eine leichte Panik aus, die Menschen kauften die Regale leer und die Preise stiegen an – ein Liter Öl kostete fast das Dreifache. Einige Tage dauerte dies an, bis Politiker einschritten, die Bevölkerung zur Ruhe ermahnte und die Preise wieder senken liessen.»

Ich frage, wie sie als Teil der Medien die Gefahr einschätzt. «Wir wünschen uns den Frieden, für den wir schon vor über 20 Jahren demonstriert haben. Was in Zukunft auch kommen mag, wir sind nicht mehr das Land, das damals im Krieg überfallen wurden. Wir haben heute einen Staat, eine Führung und Rechte. Darin setze ich meine Hoffnung.»

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Das NEWBORN-Monument vor dem «Jugend- und Sportzentrum» in Prishtina. - zvg

Vor dem «Jugend- und Sportzentrum» der Stadt steht seit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos am 17. Februar 2008 das NEWBORN-Monument.

Das Denkmal gehört zu den bekanntesten Prishtinas und repräsentiert den Geist der Hauptstadt: «Neues Leben ist geboren», «Neue Zukunft ist geboren», «Neues Land ist geboren» und «Neue Hoffnung ist geboren». Vor allem an Letzterem tragen die Bewohner des Landes in diesen Tagen mit.

Macht Ihnen der Ukraine-Krieg Angst?

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