Diese Woche blockierten Aktivisten von Extinction Rebellion Zürich. Die Polizei nahm mehrere Aktivisten fest. Nina schildert in eigenen Worten die Zeit in Haft.
Extinction Rebellion
Menschen der Klimaorganisation «Extinction Rebellion» blockieren die Strasse in der Zürcher Innenstadt, aufgenommen am Montag, 4. Oktober 2021 in Zürich. - keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Klima-Aktivisten blockierten diese Woche den Verkehr in der Stadt Zürich.-
  • Mehrere Aktivisten von Extinction Rebellion wurden festgenommen.
  • Nina schildert im Gastbeitrag mit eigenen Worten, was ihr in der Haft durch den Kopf ging.

Ich bin allein mit der weissen Wand und meinem Sch***verstand

Ich sitze allein in einer Zelle und starre die Wand vor mir an. Mein Sch***verstand dreht sich im Kreis. Ich weiss nicht mehr, wo oben und unten ist. Irgendwann fange ich an zu singen.

Wie bin ich bloss hier gelandet?

Ich weiss nur, wofür ich kämpfe. Zukunft.

Diesen Sommer hat der Hochwasser-Pegel des Bielersees einen neuen Rekordwert erreicht, im Kanton Schaffhausen wurden drei Gemeinden durch angeschwollene Bäche überschwemmt und eine meterhohe Flut füllte Keller, riss Fahrzeuge mit und zerstörte kleinere Brücken und das Hochwasser der Aare in Bern reichte bis zu den Häusern der unteren Quartiere.

Bielersee
Der Bielersee in Nidau BE tritt über die Ufer. - Keystone

Die Wetterextreme zeigen klar, was wir schon lange wissen: die Klimakrise ist in der Schweiz angekommen und Menschen leiden bereits unter den Konsequenzen. Hier. Jetzt. In diesem Moment.

Wieso passiert also nichts? Wo bleibt die Politik? Wo die Menschen, die die Macht haben, etwas zu verändern? Wieso handelt kein Mensch?

Ein Aktivist äussert sich zu seiner Festnahme bei einer Sitzblockade von Extinction Rebellion in Zürich. - Nau.ch/Drone-Air-Media

Ich bin keiner von denen, die weiterwissen, ehrlich gesagt krieg ich selber nie was geschissen

singe ich die Wand an und denke dabei, dass wohl kaum ein anderer Songtext so gut zu meiner Situation passt wie dieser. Ich weiss nicht, wie weiter, ich weiss nicht, was tun, ich weiss nur, dass gehandelt werden muss. Und zwar jetzt. Wir können es uns nicht leisten, zu warten und auf Veränderung zu hoffen.

Das letzte Mittel, das mir an diesem bewölkten Montag in den Strassen von Zürich bleibt, bin ich. Mein kleiner Körper und die Macht, ihn der Politik in den Weg zu stellen. Die Möglichkeit, mit anderen Menschen mitten auf der Strasse auf den Boden zu sitzen und mich zu weigern, wegzugehen, bis endlich etwas in Bewegung gesetzt wird. Sei das Zeichen noch so klein, besser eines als keines. Das ist ziviler Ungehorsam.

Kein Zeitgefühl und keine Kontrolle

Wenn unsere Notsituation und die Dringlichkeit des Handelns schon nur in zwei weiteren Köpfen ankommt, dann entsteht dort ein neues Bewusstsein, wodurch Dialog aufkeimt, der wiederum weitere Menschen erreichen kann und schlussendlich hoffentlich Veränderung entfacht.

Weisst du Mann, ich bin jung und weiss in ‘nem reichen Land

hallt meine Stimme durch die Zelle. Seit ich hier bin habe ich kein Zeitgefühl mehr, keine Beschäftigungsmöglichkeit, keine Kontrolle darüber, was mit mir gemacht wird. Nur komplette Isolation zur Aussenwelt und die weisse Wand, die mich anstarrt. Und doch darf nicht vergessen werden, dass auch ziviler Ungehorsam als Aktivismus direkt mit Privilegien in Verbindung steht.

Extinction Rebellion Zürich
Polizisten tragen am 20. Juni 2020 eine Aktivistin von Extinction Rebellion von der Quaibrücke in Zürich. - Keystone

Ich bin weiss, habe einen Schweizer-Pass und somit genug Privilegien, mich dem Risiko einer Verhaftung auszusetzen, ohne Angst davor zu haben, ausgeschafft oder aufgrund meiner Hautfarbe diskriminiert zu werden.

Natürlich heisst das nicht, dass der Prozess einfach ist oder ich keiner Repression ausgesetzt bin, aber ich werde nicht durch weitere Diskriminierungsstrukturen behindert und verängstigt.

46 Stunden in Haft

Ausserdem lebe ich in einem Land, das zwar die Konsequenzen der Klimakrise bereits spürt, dies jedoch in keinem Verhältnis zu anderen Orten auf der Welt, genauer gesagt zu MAPAs (most affected people and areas), steht.

Während der Schweizer Finanzplatz jährlich 2% der weltweiten Emissionen ausstösst, tragen MAPA am wenigsten zur Klimakrise bei, leiden jedoch am stärksten unter den Folgen. Diese Fakten sind unanfechtbar und müssen als Voraussetzung für eine wirkliche Veränderung angeschaut werden. Genau deswegen fordert der Klimastreik (nebst anderen Forderungen wie zum Beispiel Netto null Treibhausgas-Ausstoss bis 2030) die Klimagerechtigkeit.

Klimastreik 2019
Demonstranten protestieren im Zuge der Bewegung Klimastreik gegen den Klimawandel und die globale Klimapolitik in Basel im März 2019. - Keystone

Ich bin allein mit der weissen Wand und meinem Sch***verstand

und nach 46 Stunden Haft endlich wieder frei. Jetzt erst recht nutze ich meine Freiheit, weiter auf die Krise aufmerksam zu machen.

Das nächste Mal am internationalen Streik am 22. Oktober in Bern. Für eine lebenswerte Zukunft für uns alle.

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