Unser Gastautor entschuldigt sich und gibt kurz zu bedenken, wer warum wie auf die Corona-Epidemie reagiert.
Reda El Arbi
Gastautor bei Nau.ch: Reda El Arbi. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Nau.ch-Kolumnist Reda El Arbi erklärt die linksgrünversiffte Welt.
  • Reda El Arbi erlangte als Blogger beim «Tagesanzeiger» Bekanntheit.
  • Bis 2011 war er Chefredaktor des Satiremagazins «Hauptstadt».
  • Er lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.

Zuerst einmal: Sorry! Ich hab noch vor drei Wochen die Auswirkungen des Corona-Virus völlig unterschätzt. Ich bin zwar noch immer überzeugt, dass die Medienabdeckung hätte durchdachter sein können (ja, auch bei mir), aber was die Gefahr des Virus angeht, hatte ich einfach eine grosse Klappe und wenig Ahnung. Mea Culpa. Aber, ich versuche dazuzulernen.

Jetzt ist die Pandemie da, und wir müssen ihr als Gemeinschaft begegnen. Das heisst, jeder einzelne muss sich einschränken. Das ist unangenehm, aber kein Weltuntergang. Trotzdem gibts bereits Leute, die eine Diktatur wittern, weil unsere Freiheiten etwas eingeschränkt sind. Nur, weil die Bundesratsparteien sich mal für zwei Wochen nicht bis aufs Blut streiten, sondern hinter den sinnvollen Massnahmen des Bundesrats stehen, sind wir noch nicht auf dem Weg in einen totalitären Staat.

Sorry, wenn die grösste Krise seit drei Generationen von den Leuten fordert, ein paar Wochen zuhause auf dem Sofa zu bleiben, um Leben zu retten, und man dann laut «Freiheit oder Todheult, und sich dabei in die Brust wirft wie Winkelried persönlich, ist man einfach ein Idiot.

Über eingeschränkte Freiheiten jammern ist nicht "mutig".
Über eingeschränkte Freiheiten jammern ist nicht «mutig». - Französische Revolution

Lustigerweise gehts den Leuten, gerade den Politikern, nicht um eure Freiheit. Die ist denen völlig egal. Wenn die sich gegen den Lockdown wehren, dann, damit ihr möglichst schnell wieder an euren Arbeitsplätzen sitzt und Gewinne erarbeitet. Es sind genau die Typen, die auch in den Parlamentsentscheidungen immer die Freiheiten von Unternehmern über die Freiheiten, Rechte und die Gesundheit von BürgerInnen stellen.

Es sind auch diejenigen, die unsere Spitalinfrastruktur privatwirtschaftlich und auf Gewinn ausgerichtet haben, und so mit Spardruck die Personaldecke so knapp hielten, dass wir jetzt an die Grenzen stossen.

Es sind diejenigen, die aufrechnen, wie viele Senioren sterben müssen, damit die Wirtschaft keine Einbussen erleidet. Wollt ihr wirklich, dass diese Leute unsere Gesellschaft formen?

Da wär dann noch die Kurzarbeit: Die Massnahme ist grossartig, um kleinere und mittlere Betriebe vor dem Konkurs zu retten und Arbeitsplätze zu sichern. Die Rettungspakete des Bundes sind da auch eine grossartige Stütze.

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Im Tessin stehen Baustellen und Industriebetriebe still. Der Bundesrat gibt den Kantonsbehörden nun seinen Segen. (Archivbild) - Keystone

Da gibts aber noch die anderen. Die grossen Unternehmen, die Kurzarbeit auf Kosten der Steuerzahler einführen, um am Ende weiter grosse Boni an die Manager und Dividende an die Aktionäre auszuzahlen. Kurz: Sie bedienen sich an den Steuergeldern, um die Gewinne für ihre Besitzer und die Boni für die CEOs aus euren Steuern zu bezahlen. Macht nachdenklich, nicht?

Und dann natürlich jene, die nur ihren eigenen Hintern in Sicherheit bringen wollen, wie gewisse Versicherungen, die explizit «Epidemie»-Versicherungen für kleine Unternehmen und Gastrobetriebe verkauften, sich jetzt aber weigern, die Leistung zu bezahlen, weil es sich um eine «Pandemie» handelt. Das wird sicher die Gerichte noch beschäftigen. Für die Leistung einer Schweizer Versicherung ist es nämlich völlig egal, ob in China oder Mexiko auch Leute krank waren. Sie haben dort keine Versicherten und so auch kein Risiko oder finanzielle Belastung.

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Geschlossene Geschäfte an der Freie Strasse in Basel. (Archivbild) - sda

Diejenigen, die nach einem Ende der Beschränkungen rufen, um ihre Dividende zu retten, obwohl sich in Italien noch immer Turnhallen mit Särgen füllen, sehen ihr neoliberales Gesellschaftsmodell, ihren Sozialdarwinismus auf dem Müllhaufen der Geschichte, gleich neben dem Kommunismus und den Monarchien landen. Corona lehrt uns, dass in der Krise der Staat hilft, nicht der ungezügelte Markt.

Dann gibts da aber noch diejenigen, die die Unsicherheiten der Coronakrise nicht aushalten und nach viel krasseren Massnahmen rufen. Die sich nicht vorstellen können, dass selbst der Bundesrat keine Superkräfte hat und man mit längerfristigen Massnahmen leben muss. Sie würden das Virus am liebsten erschiessen, oder alle einsperren, überwachen und niederknüppeln, wenn sie für fünf Minuten aus dem Haus an die frische Luft gehen. Das wird das Virus auch nicht schneller besiegen.

Die Massnahmen, die der Bundesrat eingeführt hat, sind vielleicht nicht perfekt, sie entsprechen aber dem Geist der Schweiz. Gemässigt, aber wirksam. Sie sind konsenstauglich und für die Bevölkerung erträglich.

Alain Berset Coronavirus
Bundesrat Alain Berset spricht während einer Medienkonferenz des Bundesrates über die Situation des Coronavirus. - Keystone

Wir können nach der Krise aufarbeiten, wie man alles hätte perfekt machen können. Aber die Rufe nach «Freiheit» oder nach totaler Ausgangssperre sind beide nicht hilfreich. Gerade eine zu frühe Lockerung kann Menschenleben fordern.

Es geht übrigens nicht nur um die viel beschworenen Risikogruppen. Wenn das Gesundheitssystem an die Grenze kommt, bleiben auch keine Kapazitäten für Eingriffe oder Notfälle aller anderen.

Lasst euch nicht verängstigen, lasst euch nicht täuschen, fragt euch selbst: Ist es wert, auf gewisse Annehmlichkeiten zu verzichten, damit die eure Grosseltern, oder die eines Bekannten, noch eine ausreichende Gesundheitsversorgung haben, damit sie bei einer allfälligen Ansteckung überleben?
Anmerkung: Kommentare, die sich nicht auf den Inhalt des Textes beziehen, werden rigoros gelöscht. Angriffe auf den Autor dürfen gerne formuliert werden, solange sie mit Argumenten zum Textinhalt kommen. Alle anderen können ihren Frust per Mail loswerden: spam@elarbi.ch

Zum Autor: Reda El Arbi ist 50-jährig, kommt aus Zürich und zog vor einigen Jahren nach Stein am Rhein. Grosse Bekanntheit erlangte er mit seinem Zürcher «Stadtblog» für den «Tagesanzeiger». El Arbi schreibt unverblümt, hat zu allem eine Meinung und polarisiert auch gern. Er ist verheiratet und lebt mit Frau und Hund in Stein am Rhein SH.

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