Freidenker Andreas Kyriacou habe sich zu weit aus dem Fenster gelehnt mit Aussagen zur Nein-Kampagne der Operation-Libero. Das schreibt diese im Gastbeitrag.
Stefan Schlegel
Stefan Schlegel, Mitgründer und Vorstandsmitglied von Operation Libero, Rechtswissenschaftler an der Universität Bern und im Vorstand der GLP Stadt Bern. - zVg
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Das Wichtigste in Kürze

  • Die Schweiz stimmt am 7. März über das Verhüllungsverbot ab.
  • Operation-Libero engagiert sich aktiv für ein Nein zur Initiative.
  • Im Gastbeitrag reagiert sie auf die Aussagen des Freidenkers Andreas Kyriacou.

Andreas Kyriacou, der Präsident der Schweizer Freidenker, hat sich an dieser Stelle Sorgen über die Nein-Kampagnen gegen das Verhüllungsverbot gemacht. Er hat insbesondere der farbigen und positiven Kampagne der Operation Libero vorgeworfen, unseriös zu sein, den Niqab zu verharmlosen und in die Falle der Islamisten zu tappen. Den Fehdehandschuh können wir so nicht liegen lassen.

Andreas Kyriacous Kritik weist drei Probleme auf. Das erste besteht in der Fremdzuschreibung, wofür die Vollverschleierung jeweils stehe, das zweite besteht darin, dass er die gespielte Betroffenheit der Initianten übernimmt und das dritte besteht in der Unterstellung, wir verniedlichten die Vollverschleierung, um sie besser unter den Grundrechtsschutz stellen zu können. Aber das ist gar nicht nötig.

KKK
Mitglieder der KKK werden von der Polizei an «Black Lives Matter»-Protestierende vorbei eskortiert, Juli 2018. - Keystone

Auch wenn sich mit Sicherheit sagen liesse, dass die Vollverschleierung für das schlimmste denkbare Gedankengut stünde – so wie die KKK-Kutte, die Kyriacou auf unserem Kampagnen-Wimmelbild vermisst – dann stünde sie noch unter dem Schutz der Freiheitsrechte. Für diesen Schutz würden wir uns einsetzen, nicht aus Sympathie für dieses Gedankengut, sondern aus Sorge darum, was mit den Grundrechten geschähe, wenn neu die Obrigkeit feststellen dürfte, was gutes, und was verwerfliches Gedankengut ist. Unser Einstehen für die Freiheitsrechte, selbst unserer ärgsten Feinde, braucht daher grad keinen Kulturrelativisimus, wie Kyriacou ihn uns vorwirft.

Operation Libero.
Aktion der Operation-Libero, 28. Januar 2021 auf dem Bärenplatz in Bern. - zVg

Der zentralste Punkt unserer Libero-Kampagne, nämlich dass die Grundrechte auch unseren politischen und ideologischen Gegnern zustehen müssen – dass wir sie besonders für diese schützen müssen – lässt sich umso konsequenter machen, je schlimmer wir uns die Ideologie vorstellen, die sich hinter dem Niqab verbirgt. Das Verbot der Vollverschleierung ist aus einer grundrechtlichen Perspektive daher abzulehnen, ganz egal, wofür der Niqab ein Symbol ist.

Freiheit: für alle was anderes

Dennoch lohnt es sich, anhand des Niqabs darüber zu diskutieren, wie wir als Gesellschaft mit Symbolen umgehen und wer für welches Symbol bestimmen darf, wofür es nun steht. Unsere Kampagne verwendet den Slogan: «Freiheit: Für alle was anderes».

Andreas Kyriacou findet, das schlage dem Fass den Boden aus. Dabei liegt uns aus diesen Tagen die Aussage einer Schweizer Niqabi vor, an derer Aufrichtigkeit es keinen Grund zu zweifeln gibt. Sie sagt: «Ich bin ein extrem freiheitsliebender Mensch. Ich definiere meine Freiheit offenbar einfach anders als viele Menschen in der Schweiz.»

Niqab Schweiz
Asma, Touristin aus Riad, Saudi-Arabien, mit Niqab, sitzt in einem Restaurant. - Keystone

Ich finde ihre Definition von Freiheit auch abwegig; Freiheit ist für sie eben etwas ganz anderes als für mich. Aber entscheidend ist, dass jedenfalls für jemanden der Niqab etwas mit Freiheit zu tun hat. Und ich brauche nur einen schwarzen Schwan um zu beweisen, dass nicht alle Schwäne weiss sind. Auch sie hat es verdient, ernst genommen zu werden. Denn wenn unterschiedliche Menschen unterschiedlich ernst genommen werden in ihrer Vorstellung von Freiheit, wer garantiert dann, dass ich in meiner Vorstellung von Freiheit ernst genommen werde?

Operation-Libero.
Team Operation-Libero. - keystone

Ich erlebe ja gerade in dieser Kampagne, und gerade an der Reaktion von Andreas Kyriacou, dass viele Menschen unsere Haltung als völlig irr wahrnehmen und überhaupt nicht ernst nehmen. Das ist ok. Aber wenn uns auf einmal auch der Staat nicht mehr ernst nähme und fände, unsere Selbstdeklaration gelte weniger als die von anderen, weil wir komplett durch den Wind seien, dann wäre das ziemlich beängstigend.

Wofür steht der Niqab, und wer bestimmt das?

Viele der Vorstellungen von Freiheit, die auf unserem Wimmelbild vorkommen, sind in den Augen von manchen überhaupt nicht harmlos und waren historisch das Opfer derselben «das verdient nicht, als Vorstellung von Freiheit ernst genommen zu werden»-Haltung wie der Niqab heute.

operation libero Verhüllungsverbot
Die Aktion der Operation Libero gegen das Verhüllungsverbot auf dem Bundesplatz. Die Drag Queen steht links neben der Nonne. - Keystone

Es ist eine Drag Queen mit auf dem Bild. Diese haben noch heute oft mit einer Mischung aus Hass und Belächelung zu kämpfen. Viele Menschen glauben, dass sie klassische Geschlechterrollen durchbrechen, was schliesslich auch zur Auflösung der gesellschaftlichen Ordnung führe (was viele Leute auch vom Niqab glauben).

Es ist eine Frau im weissen Brautkleid darauf. Sie lässt sich von ihrem Vater zum Altar führen und von ihrem Angetrauten über die Schwelle tragen. Sie zementiert damit klassische Geschlechterrollen. Auch das finden viele alles andere als harmlos.

Es ist ein Mönch und eine Nonne dabei und ein orthdoxer Jude; alles Gruppen, gegen die unsere Verfassung noch bis vor kurzem ebenfalls religiöse Ausnahmeartikel enthielt, weil der damalige Zeitgeist in ihren Praktiken eine ebenso grosse Gefahr für die Gesellschaft witterte, wie der heutige Zeitgeist ihn im Niqab wittert.

Frau mit Burka.
Operation-Libero: «Dennoch lohnt es sich, anhand des Niqabs darüber zu diskutieren, wie wir als Gesellschaft mit Symbolen umgehen.» - keystone

Auch darin liegt eine wichtige Lektion für die Burka-Debatte. Was uns heute als harmlose, ja verniedlichendes Gegenbeispiel zum Niqab erscheint, wurde zu anderen Zeiten als gefährlich, provokativ und empörend wahrgenommen, während dem der Niqab damals vielleicht bloss als exotisches Kuriosium wahrgenommen worden wäre.

Der einzige Ort, an dem ich während meiner Kindheit einem Niqab begegnet bin, war jedenfalls in «Globis Abenteuer auf dem Meeresgrund». Natürlich hat sich seither der Kontext verändert. Natürlich gab es seither den IS. Um zu verstehen, wie viel unserer veränderten Wahrnehmung auf eine tatsächlich gestiegene islamistische Gefahr zurückzuführen ist, und wie viel davon Zeitgeist und politische Manipulation ist, müssen wir uns damit befassen, aus welchen Motiven der Niqab tatsächlich getragen wird.

Und nach allem, was wir wissen, hat er in schweizerischen und europäischen Kontexten in vielen Fällen eine recht banale Bedeutung, ist gemäss der Aussage von Niqabis selber ein Akt der Rebellion, ein Mittel, einen Partner zu finden, oder mit den eigenen Komplexen umzugehen. Viele Trägerinnen im Westen sind offenbar nicht besonders fromm, wissen wenig über den Islam, sind wenig in einer Gemeinde verankert. Es ist daher wenig hilfreich, ihnen «Islamofaschismus» anzudichten.

Banner Nein-Burkaverbot.
Banner Operation-Libero: Nein zum Burkaverbot. - keystone

Den Niqab mit Rastas zu vergleichen (wie auf unserem Bild), die ebenfalls Abgrenzung von der Mainstream-Gesellschaft signalisieren und vage die Zugehörigkeit zu einer neureligiösen Bewegung, ist für viele Situationen treffender, als ihn mit der KKK-Kutte zu vergleichen. Es muss möglich und erlaubt sein, auch auf diesen Aspekt hinzuweisen, ohne dem Vorwurf der Verniedlichung ausgesetzt zu sein.

Eine lachhafte Initiative

Statt den Niqab also als etwas oft recht profanes zu entzaubern, besteht ein enormer gesellschaftlicher Druck, sich dem gespielten Ernst der Initianten anzuschliessen, die mit betroffener Miene über die «Unterdückung von Frauen» und den «politischen Islam» sprechen wollen. Alle müssen mitmachen bei diesem Spiel, das den Initianten dient – nicht den Frauen, die sie angeblich schützen wollen. Niemand darf darüber lachen, soll er sich nicht dem Vorwurf aussetzen, das Problem zu «verniedlichen» oder Opfer auszulachen.

Verhüllungsverbot
Kampagnenbild der Volksinitiative «Ja zum Verhüllungsverbot». - Keystone

Dabei gibt es gute Gründe, über die Initiative zu lachen. Nicht, weil ihr Lösungsvorschlag lächerlich ist (das ist er auch), sondern weil das eine gute Technik wäre, die Initianten zu demaskieren. Aber stattdessen gewähren wir ausgerechnet jenen, die nicht nur Frauen, sondern besonders Frauen aus dem globalen Süden in der Schweiz wann immer es geht das Leben schwerer gemacht haben (etwa durch Asylrechts-Verschärfungen), die Pose der moralischen Überlegenheit und lassen es zu, dass sie das feministische und das progressive Lager spalten.

Wir sollten nicht darauf hereinfallen. Wir sollten uns nicht dafür entschuldigen müssen, dass wir darauf hinweisen, dass die Initianten für ihre eigenen Ziele ganz bewusst ein Gespenst aufgebauscht haben und wir sollten uns darauf besinnen, dass ein kühler Kopf, und die Bereitschaft, zu lachen, die besten Mittel gegen Gespenster sind.

Zum Autor: Stefan Schlegel ist Mitgründer und Vorstandsmitglied von Operation Libero, Rechtswissenschaftler an der Universität Bern und im Vorstand der GLP Stadt Bern.

Operation Libero versteht sich als liberale politische Bewegung, die sich für eine weltoffene und zukunftsgewandte Schweiz einsetzt.

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