Angst

Teenies haben Druck, auf Social Media zu posten

Karin Aebischer
Karin Aebischer

Toggenburg,

Fotos posten, die viele Likes erhalten: 30 Prozent der Jugendlichen geben an, sich deswegen unter Druck zu fühlen. Experten erklären, warum das gefährlich ist.

Handy Smartphone Sucht
«Man braucht immer mehr Input, um sich überhaupt ‹gut› zu fühlen», sagt Chefarzt Ender Seba zum problematischen Handy-Konsum bei Kindern und Jugendlichen. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Sobald ein Kind oder ein Jugendlicher ein Smartphone erhält, ändert sich sein Leben.
  • 11,5 Prozent der Jugendlichen zeigen ein risikohaftes Nutzungsverhalten.
  • In der Klinik Sonnenhof SG werden «Handy-Süchtige» behandelt. Chefarzt Ender Seba erzählt.

«Der soziale Druck unter Jugendlichen, online ständig erreichbar und aktiv zu sein, ist heute ein zentrales psychisches Belastungsphänomen.» Das sagt Ender Seba, Chefarzt an der Klinik Sonnenhof in Ganterschwil SG, einem Zentrum für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

In der Klinik zeige sich immer wieder, dass problematische Smartphone-Nutzung selten ein isoliertes Phänomen ist.

Viel häufiger tritt sie gemäss Seba im Zusammenhang mit bestehenden psychischen Belastungen auf. Wie mit depressiven Symptomen, sozialer Angst, Schlafproblemen oder familiären Konflikten – und verstärkt diese dann zusätzlich.

Setzen dich Instagram, Tiktok und Co. unter Druck?

Laut der nationalen Plattform «Jugend und Medien» zeigen sieben bis 8,5 Prozent der Jugendlichen ein problematisches Internet-Nutzungsverhalten; 11,5 Prozent sogar ein risikohaftes Nutzungsverhalten. Einer der wichtigsten Verstärker der exzessiven Smartphone-Nutzung: Der Online-Gruppendruck.

«Studien zeigen, dass Peer-Pressure ein signifikanter Prädiktor für problematische Smartphone- und Social-Media-Nutzung ist», so der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie.

Wie das genau geht: «Jugendliche fühlen sich verpflichtet, auf Nachrichten, Fotos oder Videos sofort zu reagieren, um nicht als desinteressiert oder ausgeschlossen zu gelten.»

Ständig angespannt

In einer aktuellen Studie gaben gemäss Seba rund 30 Prozent der Jugendlichen an, sich unter Druck zu fühlen, Inhalte zu posten, die viele Likes bekommen. Ebenso viele berichteten, sie hätten Angst, «nicht dazuzugehören», wenn sie nicht online mitreden.

Das löst etwas aus: «Dieser digitale Gruppendruck aktiviert dieselben Stress- und Vergleichsmechanismen wie sozialer Ausschluss im realen Leben», so der Experte.

Das ständige Reagieren-Müssen erzeuge permanente Anspannung, erhöhte Selbstaufmerksamkeit und soziale Angst, insbesondere bei Jugendlichen mit unsicherem Selbstbild oder niedrigem Selbstwert.

Dieser Online-Druck verstärkt das exzessive Nutzungsverhalten. «Wer sich sozial verpflichtet fühlt, greift häufiger zum Handy, was wiederum Belohnungs- und Kontrollmechanismen im Gehirn aktiviert und langfristig suchtähnliche Muster fördern kann.»

Ender Seba belegt dies mit Zahlen: «In der Schweiz und im deutschsprachigen Raum berichten laut einer Studie rund 40 Prozent der Jugendlichen, dass sie sich gestresst fühlen, wenn sie nicht sofort auf Nachrichten reagieren können.»

Besonders gefährdet seien Mädchen zwischen 13 und 16 Jahren.

Handy-Nutzer werden ausgetrickst

Doch nicht nur der Online-Gruppendruck, auch die App-Entwickler selber sind Treiber der Sucht.

«Viele App-Entwickler nutzen psychologische Tricks, um die Aufmerksamkeit der Nutzerinnen und Nutzer möglichst lange zu fesseln», erklärt Psychologin Eva Unternährer. Sie forscht an den Universitären psychiatrischen Kliniken Basel zur Mediennutzung von Familien.

Denn: Lange Nutzungszeiten liefern mehr Daten zum Verkauf und mehr Werbeeinnahmen.

«Was mir aktuell am meisten Sorgen bereitet, sind die unregulierten, immer besseren Algorithmen, die nicht die Qualität des Contents priorisieren, sondern das, was am meisten User-Engagement generiert», so Unternährer.

Eva Unternährer
Eva Unternährer von den Universitären Psychiatrischen Kliniken in Basel. - Uni Basel

Gibt es für Kinder und Jugendliche bei all diesen negativen Einflüssen überhaupt wirksame Strategien gegen eine Smartphone-Sucht?

Ja, sagt Ender Seba. Allerdings gehe es dabei nicht um Abstinenz, sondern um einen bewussten und regulierten Umgang. «Denn problematische Smartphone-Nutzung ist keine Sucht im klassischen Sinne, sondern ein verstärktes Verhaltensmuster, das durch digitale Belohnungsmechanismen und fehlende Selbstregulation entsteht.»

Also nicht das Smartphone sei das Problem. «Sondern der automatisierte und unreflektierte Umgang damit.» Entscheidend sei, digitale Medien so zu nutzen, dass man die Kontrolle behält und nicht umgekehrt.

Weniger Handy verbessert Schlaf und Stimmung

Das gelingt mit Bewusstmachung. «Jugendliche sollen verstehen, wann und warum sie das Smartphone nutzen.» Schon einfache Achtsamkeitsübungen, wie das Beobachten des eigenen Nutzungsimpulses, können helfen, automatisiertes Verhalten zu unterbrechen.

Studien zeigen gemäss Seba, dass die Reduktion von Bildschirmzeit bereits nach zwei Wochen positive Effekte auf Schlaf, Stimmung und Konzentration hat.

Zweitens: Struktur und klare Grenzen. «Regelmässige Pausen, wie smartphonefreie Zeiten oder Räume wirken deutlich regulierend», so Seba. Bewegung und Offline-Aktivitäten seien ebenfalls starke Gegengewichte. «Körperliche Aktivität wirkt fast wie ein natürlicher Reset für das Belohnungssystem.»

Ender Seba
Ender Seba, Chefarzt und CEO der Klinik Sonnenhof, ist im täglichen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen, die nicht mehr vom Handy wegkommen. - zvg

Ebenso wichtig ist die Familien- und Beziehungsebene. «Jugendliche orientieren sich am Vorbild ihrer Eltern. Wenn die Erwachsenen selbst ständig aufs Handy schauen, verlieren Erziehungsappelle ihre Glaubwürdigkeit», betont der Chefarzt.

Sinnvoll sei ein gemeinsamer Familienvertrag zur Mediennutzung. Zum Beispiel keine Handys bei Mahlzeiten oder im Schlafzimmer. Dazu Ender Seba: «Kinder, die erleben, dass auch Erwachsene offline sein können, entwickeln deutlich häufiger eine gesunde Selbstregulation.»

Viertens sei es wichtig, die emotionale Regulation zu trainieren. Denn: «Viele Jugendliche greifen zum Handy, um Stress, Langeweile oder Einsamkeit zu regulieren.»

Deshalb sei es zentral, alternative Bewältigungsstrategien aufzubauen, wie Sport, Musik, soziale Aktivitäten oder Achtsamkeit. «So verliert das Smartphone an Macht, weil das ‹echte Leben› genug Belohnung bietet.»

Expertin sieht Verbot an Schulen kritisch

Kann auch ein Smartphone-Verbot an Schulen etwas bewirken? «Ich bin gespannt, wie erfolgreich sich die geplanten Verbote in der Schweiz umsetzen lassen», sagt dazu Eva Unternährer.

Wissenschaftliche Studien würden zeigen, dass es Kindern an Schulen mit Smartphone-Verbot nicht unbedingt besser geht. «Ich befürchte ausserdem, dass Online-Risiken weniger in der Schule thematisiert werden würden, wenn der Konsum nicht mehr an der Schule stattfindet.»

Schule Smartphone
Sollen Schulen Smartphones verbieten? Eva Unternährer befürchtet, dass dann die Online-Risiken an Schulen weniger thematisiert würden. (Symbolbild) - keystone

Sie fände es wichtiger, die Selbstwirksamkeit in der digitalen Welt und Medienkompetenz der Kinder und Jugendlichen zu fördern. Zum Beispiel, indem man die Schüler einbezieht, wie man die Smartphone-Regeln an der Schule gestalten könnte.

Kids regulieren ihre Emotionen über Likes

Ender Seba ist im täglichen Kontakt mit Kindern und Jugendlichen, die nicht mehr aus dem Handy-Strudel herauskommen und psychische Störungen davontragen.

«In unseren stationären Behandlungen zeigt sich, dass circa 15 bis 25 Prozent der Jugendlichen eine deutlich problematische Mediennutzung aufweisen, meist in Kombination mit emotionaler Instabilität, sozialem Rückzug oder Leistungsabfall.»

Was macht ihm dabei am meisten Sorgen in Bezug auf die Folgen des Handy-Konsums?

«Ich denke, dass Kinder und Jugendliche zunehmend lernen, ihr Erleben über digitale Rückmeldungen zu regulieren, statt über innere Prozesse.» Also über Likes und Reaktionen.

smartphone Handy
Was Ender Seba besorgt: Dass Jugendliche ihre Gefühlswelt über Likes regulieren. - keystone

Dazu komme ein grundlegendes biologisches Problem: «Evolutionär gesehen reden wir über ein Nervensystem, das sich über hunderttausend Jahre entwickelt hat und nun innerhalb von zwei Generationen einer Reizintensität ausgesetzt ist, für die es schlicht nicht konstruiert wurde.»

Langfristig könne das die Reizschwelle für Zufriedenheit erhöhen. «Man braucht immer mehr Input, um sich überhaupt ‹gut› zu fühlen.»

Stimmt der Satz: «Sobald Kinder ein Handy haben, ist ihre Kindheit vorbei»?

Die Aufgabe der Gesellschaft sei es diesbezüglich, den jungen Menschen beizubringen, wie man in dieser Geschwindigkeit seelisch gesund bleibt, ohne dauernd auf «Refresh» zu drücken.

Seba betont: «Ich sorge mich also nicht vor der Technik an sich, sondern davor, dass Kinder verlernen, mit sich selbst in Kontakt zu bleiben. Und das ist eine Kompetenz, die keine App der Welt ersetzen kann.»

Kommentare

User #2027 (nicht angemeldet)

Aussenseiter sind die, welche nicht im Mainstream mitschwimmen. Gerade sie haben die grösste Chance, ein gelungenes Leben zu führen. Und immer dran denken: was die Anderen machen, ist das was die Anderen machen. Du bist du.

User #4781 (nicht angemeldet)

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