Sexistisch vs. islamophob: Kopftuch-Debatte spaltet Linke

Rowena Goebel
Rowena Goebel

Zürich,

Beim Thema Kopftuch sind sich die Linken uneins. Einige sind für Verbote, weil sie es frauenfeindlich finden – andere finden es gar feministisch.

Kopftuch
Zwei Motionen in zwei Kantonen lassen die Kopftuch-Debatte in der Schweiz erneut aufflammen. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Auch in Zürich fordert die SVP jetzt ein Kopftuchverbot an Schulen.
  • Sie geht sogar noch weiter als St. Gallen: Das Verbot soll auch für Schülerinnen gelten.
  • Interessant: In linken Kreisen gehen die Meinungen zum Thema teils weit auseinander.

Das Thema Kopftuch erhitzt einmal mehr die Gemüter: Kürzlich forderten St. Galler SVP-, Mitte-, FDP- und sogar SP-Politiker ein Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen.

Nun geht die Zürcher SVP noch weiter. Sie verlangt in einer Motion, dass künftig weder Lehrerinnen noch Schülerinnen mit Hijab und Co. zur Schule kommen dürfen.

Rechts ist es ziemlich klar: Kopftuch = unchristlich und fremd, wollen wir nicht. Für die Linken dagegen ist das Thema ein besonderes Spannungsfeld.

Was ist deine Meinung zu Kopftuch-Verboten für Schülerinnen?

Es thematisiert nämlich gleich zwei grundlegende linke Anliegen, die sich je nach Blickwinkel widersprechen.

SP und Grüne schreiben es sich bekanntlich gross auf die Fahne, sich für Gleichstellung und Frauenrechte einzusetzen. Andererseits kämpfen sie aber auch gegen die Diskriminierung von ethnischen Minderheiten.

Und beim Kopftuch geht es um beides.

Kopftuch sexistisch, Verbot islamophob?

Einerseits ist es Fakt, dass das Kopftuch als Symbol weiblicher Unterdrückung eingesetzt wird. In Ländern wie dem Iran kann es für Frauen sogar tödlich enden, wenn sie sich weigern, es zu tragen.

Tatsache ist aber auch, dass viele Musliminnen es freiwillig tragen – und einige das sogar als feministischen Akt sehen. Weil es ihre selbstbestimmte Entscheidung ist, sich zu verschleiern.

Musliminnen und Muslime erleben zudem in der Schweiz immer wieder Diskriminierung. Der Israel-Gaza-Krieg hat das noch verstärkt.

Zwei zentrale Fragen für die Linken, wenn es ums Kopftuch geht, sind also: Ist der Hijab frauenfeindlich, feministisch oder weder noch? Und gleichzeitig: Ist es islamfeindlicher Rassismus, ihn zu kritisieren oder gar zu verbieten?

St. Gallen SP-Kantonsrat: Kopftuch «frauendiskriminierend»

Die aktuellen Debatten zeigen: Das Sexismus-Argument ist für einige SP-Mitglieder stark genug, dass sie das Kopftuch nicht nur kritisieren, sondern sogar ein Verbot befürworten.

Einer von ihnen ist der St. Galler SP-Kantonsrat und Schulratspräsident Bernhard Hauser. Er stützt die parteiübergreifende Motion in seinem Kanton, Lehrerinnen das Tragen von Kopftüchern zu verbieten.

Bernhard Hauser
Bernhard Hauser ist Schulratspräsident und SP-Mitglied – und sieht das Kopftuch derart kritisch, dass er ein Verbot für Lehrerinnen befürwortet. - SP Sarganserland

Denn: Er hält das Kopftuch für «frauendiskriminierend», wie er zu Nau.ch sagt. «Es signalisiert eine tiefere Stellung der Frau in der Gesellschaft. Aber auch, dass die Frau sich zu bedecken hat, um Männer nicht zu erregen.»

Für ihn passt das nicht «in die offenen und demokratischen Gesellschaften des Westens», wie er sagt.

Denn: «Hier muss erwartet werden, dass sich Männer auch dann im Griff haben, wenn Frauen sehr leicht bekleidet unterwegs sind.»

SPler vermutet beim «feministischen» Kopftuch «anti-westliche Provokation»

Das Kopftuch würde vor allem von Frauen in konservativ islamischen Gemeinschaften getragen. «Nicht grundlos gilt das Kopftuch auch als Flaggschiff des zuletzt auch hierzulande erstarkten Islamismus», sagt Hauser.

Er verweist auf Berichte von Frauen, die Druck aus Familie und Gemeinschaft ausgesetzt gewesen sind, weil sie das Kopftuch ablegten.

Kopftuch
Erhitzt die Gemüter: Das Thema Kopftuch. Abgebildet: Eine Frau mit Hijab steigt in Zürich in ein Tram ein. (Archivbild) - keystone

«Ein Spezialfall ist das Kopftuch als Zeichen der emanzipierten, selbstbewussten Muslimin. Da ist doch zu fragen, warum diese sich dafür ausgerechnet das Kopftuch aussucht. Dieses Symbol für die niedrigere Stellung der Frau», wie er findet.

«Da ist wohl oft eine bewusst anti-westliche Provokation enthalten.»

Lehrerin mit Kopftuch und Lehrer mit «Jesus liebt dich»-Shirt?

Sein Hauptargument für das Kopftuch-Verbot für Lehrerinnen sei aber die «Gleichbehandlung der Religionen im Schulzimmer».

Die Schulen hätten die Kruzifixe schliesslich in den meisten Kantonen schon gegen Ende des letzten Jahrhunderts abgehängt. Lehrpersonen würden seither auch angehalten, nicht mit offensichtlich religiösen Symbolen oder Kleidung zu unterrichten.

Kruzifix
Früher in katholischen Kantonen normal, heute seltener: Das Kruzifix im Schulzimmer. (Archivbild aus dem Kanton St. Gallen, 2008) - keystone

«Bei Lehrerinnen das muslimische Kopftuch zu erlauben, wäre eine Bevorzugung einer Religion und deshalb falsch», findet Hauser.

Seine Befürchtung: So könnten auch bald konservativ-christliche Lehrkräfte mit «Jesus liebt dich»-Aufdruck auf dem T-Shirt aufkreuzen.

Findest du es okay, wenn Lehrpersonen religiöse Symbole tragen?

«Genau das aber würde die Religion wieder in die Schule tragen. Ein Rückfall, den wir vermeiden sollten.»

Juso hält Kopftuch-Verbot für «Diskriminierung»

Seine Haltung zum Kopftuch-Verbot hat Bernhard Hauser Kritik aus den eigenen Reihen eingebracht. Gerade die Jungpartei der SP, die Juso, hatte gar keine Freude an seiner Position – sie forderte gar seinen Rücktritt.

Die Juso wirft ihm vor, SVP-Rhetorik zu verwenden. Co-Präsident*in der St. Galler Jungpartei, Robin Eichmann, sagte in einer Mitteilung dazu: «Ein Kopftuch-Verbot für Lehrpersonen ist kein Zeichen von Emanzipation, sondern Diskriminierung.»

Hauser
Hält gar nichts von Kopftuchverboten für Lehrerinnen: Robin Eichmann von der St.Galler Juso. - Juso St. Gallen

Es werte muslimische Frauen ab, «das Kopftuch pauschal als Symbol der Unterdrückung zu deuten». Eichmann findet den Hijab zudem keineswegs unemanzipiert.

«Emanzipation bedeutet, sich kleiden zu können, wie man will. Die eigene Religion selbstbestimmt zu leben und dem Beruf nachgehen zu können, dem man nachgehen will.»

Spieler kritisieren Kollegen für Kopftuch-Haltung

Auch SP-intern gab es Gegenwind, sagt Hauser zu Nau.ch. «Bislang im Rahmen von Diskussionen, wie sie in jeder Partei vorkommen.» Ausgeartet ist die Kritik also nicht.

«Unterschiedliche Positionen innerhalb einer Partei sind normal», sagt er.

St. Gallen
Der St. Galler Kantonsrat. Auch innerhalb der kantonalen SP unterscheiden sich die Meinungen zum Kopftuch-Verbot. (Archivbild) - keystone

Anders scheint die Situation im Kanton Zürich. Im Moment ist die SP dort offenbar geschlossen gegen die SVP-Motion, die ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen und Schülerinnen fordert.

Co-Präsident der Zürcher SP, Jean-Daniel Strub sagt zu Nau.ch, ihm seien «keine abweichenden Positionen bekannt».

Stehen nicht alle zu ihrer wahren Meinung?

Stehen vielleicht einige nicht zu ihrer Kopftuch-kritischen Meinung, weil sie intern nicht als islamfeindlich kritisiert werden wollen?

Hauser vermutet: Solche Fälle gibt es. «Das trifft aber vermutlich eher auf einen kleinen Teil der Linken zu.» Die meisten sind entweder gegen oder für ein Kopftuchverbot bei Lehrpersonen – und stehen auch dazu, wie er berichtet.

«Von moderaten Linken erfahre ich sehr viel Unterstützung für die Haltung, dass das Kopftuch bei Lehrerinnen verboten werden sollte.»

Stehst du auch zu deiner Meinung, wenn du weisst, dass sie dir Kritik einbringt?

Es gebe aber wohl auch viele progressivere Linke, die eine besondere Toleranz gegenüber Menschen mit muslimisch-kulturellem Hintergrund notwendig fänden.

«Unter anderem wegen des von ihnen so benannten kolonialen Erbes des Westens. Aber auch mit dem Argument, das Kopftuch sei auch Ausdruck einer emanzipierten, selbstbewussten muslimischen Frau.»

Zürcher SP: Kopftuch-Verbot «löst kein Problem»

Für die Zürcher SP steht das Sexismus-Argument gegen das Kopftuch nicht im Vordergrund. Sie ist überzeugt, dass es der SVP ohnehin nicht um Gleichstellung geht.

«Die SVP instrumentalisiert mit ihrem Vorstoss Frauenrechte, um antimuslimische Vorurteile zu schüren. Da macht die SP nicht mit», sagt Co-Präsidentin Sibylle Marti zu Nau.ch.

Sibylle Marti
Hält nichts von einem Kopftuch-Verbot an Zürcher Schulen: Co-Präsidentin der Zürcher SP, Sibylle Marti. - Universität Bern

Für sie ist klar: «Ein Kopftuchverbot ist Symbolpolitik, weil es kein Problem löst und nicht zu mehr Gleichstellung führt.»

Frauenemanzipation erreiche man, wenn Frauen mehr Rechte erhalten, gut gebildet und finanziell unabhängig seien. «Und nicht, wenn gegenüber Frauen Kleidervorschriften oder Kleiderverbote ausgesprochen werden.»

«Zudem müssen wir bei den jungen Männern ansetzen, da bei diesen gemäss Umfragen die Zustimmung zur Geschlechter-Gleichstellung schwindet. Dazu tragen rechte Influencer in den sozialen Medien massgeblich bei.»

Kopftuch widerspricht laut Zürcher SVP Schul-Werten

Die SVP wiederum ist überzeugt, ein Kopftuch-Verbot tue etwas für die Gleichstellung der Frau.

Das Wort Kopftuch kommt im Titel der Motion nicht einmal vor – stattdessen heisst sie: «Keine Unterdrückung von Frauen und Mädchen an Zürcher Schulen und Kindergärten.»

Bereitet es dir Sorgen, dass junge Männer zunehmend gegen Gleichstellung sind?

Sie begründet ihre Forderung nach einem Verbot unter anderem mit dem Zürcher Volksschulgesetz.

Laut dem Gesetz «erzieht die Volksschule zu einem Verhalten, das sich an christlichen, humanistischen und demokratischen Wertvorstellungen orientiert».

Kantonsrat
Der Zürcher Kantonsrat. Die SVP argumentiert in ihrer Motion gross mit der «Unterdrückung der Frau», für die das Kopftuch stehe. (Archivbild) - keystone

Dabei wahrt sie die Glaubens- und Gewissensfreiheit und nimmt auf Minderheiten Rücksicht. Sie fördert Mädchen und Knaben gleichermassen.

Für die Zürcher SVP ist klar: «Muslimisch begründete Kopfbedeckungen widersprechen diesen Werten.» Sie würden die Diskriminierung von Frauen und Mädchen ausdrücken.

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