«Rawdogging boredom»: So setzt sich die Gen Z der Langeweile aus

Elena Hatebur
Elena Hatebur

Bern,

Die Gen Z übt sich in Langeweile. «Rawdogging boredom» nennt sich die neue Praxis. Sie soll die Aufmerksamkeitsspanne der Jungen wieder verlängern.

Junge in Klasse
«Rawdogging boredom» nennt sich die neue Praxis der Gen Z, um ihre Aufmerksamkeitsspanne wieder zu verlängern. (Symbolbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Gen Z versucht ihre Aufmerksamkeitsspanne mit einer neuen Praxis zu verlängern.
  • «Rawdogging boredom» beschreibt das Vorgehen, eine Stunde lang nichts zu tun.
  • Experten befürworten den bewussten Reizverzicht.

Eine Stunde lang nichts tun. Auf dem Boden sitzen, sich mit sich selbst beschäftigen und dabei ins Nichts starren.

Was früher nach Strafarbeit klang, gilt heute als Selbstoptimierung. Der bewusste Verzicht auf jegliche Ablenkung liegt im Trend. «Rawdogging boredom» nennt es die Gen Z.

Die im Netz kursierenden Videos bewegen sich dabei auf einem schmalen Grat der Widersprüchlichkeit.

Denn wer sich darin zeigt, leidet oft an kognitiver Überlastung und digitaler Reizflut. Verursacht, man ahnt es, durch eben jene Plattformen, auf denen der Trend nun viral geht.

Plötzlich viral — mit «Rawdogging»

Angestossen wurde die Praxis von Tiktok-Creator Rowan (@productive.rowan), dessen Kurzvideos tausendfach angeklickt wurden.

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Tiktok-Creator Rowan startete sein persönliches «Rawdogging»-Experiment. - Tiktok / @productive.rowan

Der Name ist Programm: Der junge Mann will produktiver werden. «Ich habe Mühe mit meiner kurzen Aufmerksamkeitsspanne», schreibt er unter einem Beitrag.

«Die konstanten Dopaminschübe meines Handys, Koffein, süsses Essen und Games. Das macht es für mich schwer, mich auf meine Arbeit und die Dinge, die ich liebe, zu fokussieren.»

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Bereits nach zehn Tagen ist ersichtlich, dass der junge Mann entspannter ruhiger auf seinem Stuhl sitzt. - TikTok/@productive.rowan

Mit der Challenge wolle er seinem Gehirn eine Pause gönnen, schreibt er weiter. Er habe das noch nie ausprobiert – es sei erstaunlich schwierig gewesen. «Einfach sitzen und nichts tun ist schwerer als ich dachte», resümiert Rowan.

Social Media erzeugt «permanente Aufmerksamkeitsfragmentierung»

«In erster Linie handelt es sich um ‹Influencer-Trends›», sagt Generationenforscher Rüdiger Maas. Paradox sei, dass das digitale Fasten sogleich wieder digital verbreitet werde.

Der kontraintuitive Ansatz sei für die Gen Z eine Art Trigger. Man wolle damit an die eigenen Grenzen stossen und diese auch bewusst spüren.

«Denn vor allem das Smartphone erzeugt, in Verbindung mit Social Media, eine permanente Aufmerksamkeitsfragmentierung», erklärt der Experte.

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Stillsitzen, um die Aufmerksamkeitsspanne zu verlängern. Das soll funktionieren. - Tiktok / @monkeyless.app

Studien zeigen: Der Mensch wechselt im Schnitt alle 40 Sekunden zwischen digitalen Reizen. Die Gen Z kenne nahezu keine andere Form des Digitalkonsums.

«Jede Unterbrechung kann sogar zu einem Aufmerksamkeits-Reset führen», so Maas. Dieser Reset könne bis zu 25 Minuten dauern, bevor unser Gehirn wieder in den Flow-Zustand finde.

Für viele aus der Gen Z ist das kein Problem mehr – es ist Normalzustand. Konzentration? Ein Relikt aus der Analogzeit.

«Rawdogging» unterdrückt «Default Mode Network» des Gehirns

Der bewusste Reizverzicht – auf TikTok als «Rawdogging» bekannt – lässt sich als eine Art kognitive Entlastungsstrategie verstehen, erklärt Maas.

So könne sich das Gehirn neu kalibrieren, weil es nicht permanent unterbrochen werde. Werde in dieser Zeit nichts konsumiert, schalte es in das sogenannte «Default Mode Network» (DMN).

Der Zustand kann mit dem «Do not disturb»-Modus eines Handys verglichen werden. Nicht zu vergessen sei, dass unser dopaminerges Belohnungssystem durch die ständigen Reize via Social Media überaktiv ist.

Rüdiger Maas
Rüdiger Maas ist Generationenforscher und promovierter Psychologe. - ruedigermaas.de

«Wird dieser Mechanismus unterbrochen, sinkt der Dopaminspiegel kurzfristig», sagt Maas. Der Vorgang könne sich zunächst langweilig oder unangenehm anfühlen, reguliere sich jedoch nach einiger Zeit.

Dann folge jener Moment, in dem das Gehirn wieder mit «normalen Reizen» belohnt werde. Natürliche Sinneseindrücke wirken plötzlich intensiver.

«Vergleichbar, wenn man zwei Wochen kein Zucker isst. Und dann plötzlich Äpfel intensiver schmeckt», erläutert der Experte.

Experten ziehen positive Bilanz

Regelmässiges Achtsamkeitstraining verändert die Aktivität im präfrontalen Kortex und stärkt die Aufmerksamkeitskontrolle. «‹Rawdogging› ist sozusagen eine radikale Form von Achtsamkeitstraining ohne Hilfsmittel», sagt Generationenforscher Rüdiger Maas.

Auch Pascal Streule, wissenschaftlicher Assistent in der Fachgruppe Medienpsychologie an der ZHAW, erkennt im «Rawdogging» eine Art Meditation.

Pascal Streule
«Rawdogging» sei eine Art Achtsamkeitsübung, erklärt Pascal Streule. - LinkedIn / @Pascal Streule

«Achtsamkeits- und Meditationspraktiken zu nutzen, sehe ich grundsätzlich positiv», sagt Streule. Fraglich sei jedoch, ob diese Form tatsächlich die Medienkompetenz und Selbstkontrolle fördere.

Streule weiter: «Es ist bekannt, dass viele Menschen ihren Medienkonsum zumindest teilweise als ungesund einschätzen.»

«Somit dürfte für diese Menschen dieses Selbstexperiment eine willkommene Bewegung sein, der sie sich anschliessen können», erklärt Streule. Auch den damit verbundenen Austausch mit anderen Menschen sehe er als positiven Effekt.

Selbstdisziplin-Trends — typisch Gen Z?

«Rawdogging Boredom» ist keineswegs neu. Schon in der Antike und im alten Buddhismus spielten Meditation, Askese und Selbstbeherrschung eine zentrale Rolle.

Ein wesentlicher Unterschied: Diese Praktiken wurden nicht geteilt — schlicht, weil es keine Möglichkeit dazu gab. Innerhalb einer Peergroup hätten damals alle mitgemacht, statt nur zuzusehen, bemerkt der Generationenforscher.

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Ist das wieder einmal «typisch Gen Z»? Generationenforscher Rüdiger Maas verneint das. - Tiktok / @avasfocusguide

Auch bei den Babyboomern war und ist Selbstdisziplin ein Thema. Fitnesswellen, Diäten und das «No Pain, No Gain»-Mindset galten als Ausdruck des Erfolgsstrebens. Doch auch hier: Lieber in der Gruppe statt allein vor dem Handy.

Dass sich digitale Detox-Rituale künftig etablieren, davon ist Generationenforscher Rüdiger Maas überzeugt.

Die digitale Welt gebe uns schlicht zu wenig, sagt er. 100 Likes fühlten sich eben anders an als eine echte Umarmung.

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Kommentare

User #2501 (nicht angemeldet)

Während der Arbeit macht es am meisten Spass. Hehehe. LOL.

User #1925 (nicht angemeldet)

Es wird daran scheitern, dass es Publikum braucht. Ohne gewohntes Klatschen, Daumen hoch, Bewunderung u Lobpreisungen der andern wird das Nichtstun ganz schnell zu reizlos.

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