Neuer Dokumentarfilm im Kino: Mola will zurück nach Tibet
Die 100-jährige tibetische Nonne will zum Sterben nach Tibet zurückkehren – ihre Enkelin und ihr Schwiegersohn erzählen, warum sie sie dabei filmisch begleiten.

Eine 100-jährige tibetische Nonne, die nach ihrer Flucht vor der chinesischen Besatzung in der Schweiz neue Heimat und Familie fand, will zurück nach Tibet, um dort zu sterben. Im Gespräch mit SDA-Keystone erzählen Yangzom und Martin Brauen, weshalb sie ihre Gross- und Schwiegermutter dabei filmisch begleiten wollten.
Kunsang Wangmo wurde 1915 in Tibet geboren, wenige Jahre nachdem der Vorgänger des aktuellen Dalai Lama dessen Unabhängigkeit erklärt hatte. Mit fünf Jahren entschied sie sich, Nonne zu werden. An keinem einzigen Tag ihres dramatischen Lebens, so versichern es ihre Angehörigen, habe sie es seither verpasst, ihre Gebete zu rezitieren.
Als 1950 die chinesische Volksarmee in Tibet einmarschierte und dort die bis heute anhaltende Besetzung errichtete, war Kunsang mit einem Mönch verheiratet und hatte zwei Töchter. 1959 flüchtete die Familie nach Indien, wobei der Ehemann und die jüngere Tochter die Strapazen nicht überlebten.
Zehn Jahre lang waren Kunsang und ihre Tochter Sonam im indischen Auffanglager auf sich alleine gestellt. Dann, 1970, verliebte sich ein in Indien studierender junger Schweizer namens Martin in Sonam und lud die beiden ein, mit ihm in die Schweiz zu kommen.
Kunsang wird zur Mola – ein neues Leben als Grossmutter in Bern
Zwei Jahre später, als auch das Karma bereit dazu war, begleiteten Kunsang und Sonam Martin nach Bern, wo sie 45 Jahre lang «glücklich zusammen» im gleichen Haus lebten. Fortan war Kunsang als Mola (Grossmutter) bekannt, was nicht zuletzt den neuen Grosskindern Yangzom und Tashi geschuldet war.
Es sei unmöglich, heisst es im Magazin, das Martin und Yangzom Brauen anlässlich ihres Films «Mola – Eine tibetische Geschichte von Liebe und Verlust» herausgegeben haben, in einem knapp 90-minütigen Film dem Leben einer hundertjährigen Person gerecht zu werden. Vor allem, wenn es sich dabei um jemanden wie Mola handelt und man erst in deren 95. Lebensjahr zu drehen beginnt.
Viele der charakteristischen Angewohnheiten dieser aussergewöhnlichen und charismatischen Person, die immer nur für das Wohl anderer und nie für das eigene gebetet habe, hätten nicht in den Film geschafft. Yangzom Brauen lacht, wenn sich sich an die Ausflüge mit ihrer Grossmutter in die Stadt erinnert: «Sie hat diese buddhistische Grosszügigkeit zu allen Lebewesen wirklich praktiziert. Wenn sie in der Stadt Menschen sah, die um Geld bettelten, gab sie diesen einfach ihr Portemonnaie und liess sie nehmen, was sie brauchten.»
Molas Einwilligung dazu, gefilmt zu werden, sei keinesfalls selbstverständlich gewesen. «In ihrem Glauben gibt es die Überzeugung, dass wenn jemand stirbt, diese Person danach in Ruhe gelassen werden soll», sagt Yangzom Brauen. Was auch bedeute, dass man Fotos und alles, was man von der Person besitzt, verbrennen soll. Deshalb existierte beispielsweise auch von Molas Ehemann, also Yangzoms Grossvater, kein einziges Foto mehr.
Molas Zustimmung zum Filmprojekt: Ein Beitrag für ein freies Tibet
Dass Mola trotzdem ihre Einwilligung dazu gegeben hat, über Jahre hinweg erst von Martin und dann auch von Yangzom gefilmt zu werden, sei vor allem auch an der gemeinsamen Überzeugung gelegen, damit etwas für Tibet zu tun. «Viele Menschen wissen ja gar nicht mehr, was in Tibet abgeht; dass es nach wie vor besetzt ist.» Auch weil zurzeit viele Sachen «aktueller» seien. Doch nach wie vor würden tausende von Familien im Exil leben, die alle auf ihre Art für ein freies Tibet kämpfen würden.
Um die Geschichte Tibets sowie um die aktuelle chinesische Besatzungspolitik geht es im Film nur am Rande. Beziehungsweise eben nur da, wo diese Molas Biografie berühren und ihr Vorhaben erschweren, in Tibet, «näher beim Paradies» zu sterben. Auch Martins Bemühungen, via Schweizer Diplomaten und chinesischen Konsulatsvertretern zu einem Visum für Mola zu kommen, nehmen nur wenig Raum ein.
Das unangefochtene dramatische und emotionale Zentrum, um das der Film kreist, ist die Beziehung zwischen Mola und Sonam. Was würde es in ihrer Tochter auslösen, wenn Mola ihren Plan wahr macht und nach Tibet reist – mit der expliziten Absicht, nicht zurückzukehren? Zum ersten (und letzten) Mal in 65 Jahren wäre Sonam von ihrer Mutter getrennt. Diese zu begleiten ist aufgrund der strengen Visabestimmungen durch die Chinesen ausgeschlossen.
Letzte Reise nach Tibet: Mola muss alleine weiter – ohne Nonnengewand
Das Gleiche gilt für Martin und Yangzom; als Mola nach vielen Bemühungen endlich ein dreimonatiges Visum erhält, dürfen sie die über hundert Jahre alte Frau bis nach Nepal, aber nicht weiter begleiten. Von dort aus muss Mola ihre Reise alleine fortsetzen, bis sie in Tibet von Verwandten in Empfang genommen werden kann. Diese haben ihr auch dazu geraten, um keine Probleme mit den chinesischen Grenzbehörden zu riskieren, bei der Einreise nicht ihr orangenes Nonnengewand zu tragen.
Sonam und ihre Familie bleiben derweilen in der Schweiz zurück, traurig über die Abwesenheit einer einzigartigen Frau, von deren letztem Wunsch sie diese trotzdem niemals hätten abbringen wollen. Der sie mit dieser sanften filmischen Erinnerung ein berührendes Denkmal geschaffen haben, mit dem kleinen Risiko, sie dadurch im Paradies ab und an ein bisschen im Frieden zu stören. Für Tibet.*
*Dieser Text von Dominic Schmid, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.