Laut Recherchen betreibt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) eine massive digitale Überwachung der Menschen in der Schweiz.
Kabelaufklärung
Das Schweizerische Bundesgericht in Lausanne erkennte bereits im Dezember 2020 nach einer Klage des Vereins «Digitale Gesellschaft» an, dass die Kabelaufklärung in die Grundrechte vieler Menschen eingreife. - sda - KEYSTONE/GAETAN BALLY

Das Wichtigste in Kürze

  • Die Kabelaufklärung wird vom Schweizer Geheimdienst offenbar auch im Inland rege genutzt.
  • Das zeigt eine neue Recherche zum Thema «Schweizer Überwachungsstaat».
  • «Die digitale Kommunikation wird massenhaft gescannt, gelesen und ausgewertet», heisst es.
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Die Schweizer Stimmbevölkerung hatte im September 2016 das revidierte Nachrichtendienstgesetz angenommen. Eines der umstrittensten Elemente dieser Revision war die Kabelaufklärung. Es handelt sich um jene staatliche Massenüberwachung, die der Whistleblower Edward Snowden 2014 beim US-Geheimdienst NSA publik gemacht hatte.

Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) und der Bundesrat hatten im Vorfeld der Abstimmung zum Nachrichtendienstgesetz versprochen, dass die Kabelaufklärung zielgerichtet und sparsam umgesetzt werde. Massenüberwachung sollte es keine geben, hiess es damals. Ausserdem versicherten die Verantwortlichen, dass nur Verbindungen ins Ausland untersucht würden. Kommunikation im Inland sei hingegen von der Überwachung ausgenommen.

Im Internet wird unter Umständen vom Schweizer Staat mitgelesen - haben Sie damit ein Problem?

Nach Recherchen der «Republik» stellen sich diese Behauptungen als faktisch falsch heraus. Das Magazin hatte am Dienstag den Auftakt zu einer brisanten Artikel-Serie zum Thema «Schweizer Überwachungsstaat» veröffentlicht. Techjournalistin Adrienne Fichter, die die Hintergründe zur Kabelaufklärung durch den Bund recherchiert hat, kommt darin zu einem deutlichen Befund: Es handle sich de facto um «ein Programm zur Massen­überwachung der in der Schweiz lebenden Bevölkerung».

«Kommunikation massenhaft gescannt, gelesen und ausgewertet»

Fichter schreibt unter Berufung auf Korrespondenzen zwischen NDB und dem Bundesverwaltungsgericht: «Unsere digitale Kommunikation wird massenhaft gescannt, gelesen und ausgewertet.» In den Dokumenten räumt das VBS unter anderem ein, dass die «inländische» Kommunikation inhaltlich gelesen, ausgewertet und sogar für spätere gezielte Suchaufträge gespeichert werde.

Weiter heisst es in dem Bericht, dass der NDB und das Zentrum elektronische Operationen (ZEO) des Verteidigungsdepartements (VBS) für das Anzapfen der Kabel direkt auf Schweizer Unternehmen zugingen, «die selber gar keinen grenzüberschreitenden Datenverkehr anbieten». Dieses Vorgehen stehe im Widerspruch zu den Beteuerungen des Bundes, dass nur Provider mit grenzüberschreitenden Datenleitungen angezapft würden.

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Guy Parmelin leitete im Sommer 2016 das VBS und betonte damals, dass eine umfassende Überwachung, wie sie in anderen Ländern praktiziert wird, in der Schweiz nicht geplant sei. - keystone

Der Nachrichtendienst habe 2023 ausserdem gar Schritte unternommen, um die Kabelaufklärung weiter auszubauen. «Kleinere Unter­nehmen erhielten eine Aufforderung, ihre Infrastruktur für die Überwachung durch den Dienst ZEO vorzubereiten.» Zurzeit suche das ZEO Software­ingenieure für den Bau einer Plattform für die «Verarbeitung und Analyse» von abgefangenen zivilen Kommunikationsdaten.

Erwähnt wird auch, dass das VBS unter Bundesrätin Viola Amherd, eine erneute Revision des Nachrichtendienstgesetzes plant. Laut «Republik» soll damit nachträglich legalisiert werden, was in der Praxis bereits geschehe. Der genaue Inhalt der neuen Vorlage ist aber noch nicht bekannt.

Was ist die Kabelaufklärung?

Bei der Kabelaufklärung handelt sich um die automatisierte Überwachung des Datenverkehrs, der über Schweizer Rechenzentren ins Ausland (und zurück) läuft. Konkret werden Internetkabel der Schweizer Telcos durch den NDB und das ZEO überwacht. Die Kommunikation wird nach bestimmten Suchbegriffen durchsucht und mitgelesen.

Egal ob E-Mail, Chatnachricht, Video oder Google-Suche: Wenn das Überwachungs-System im Rechenzentrum einen dieser vordefinierten Begriffe herausfiltert, werden die zugehörigen Daten an das von der Schweizer Armee betriebene ZOE weitergeleitet. Dieses befindet sich in der Berner Gemeinde Zimmerwald.

Kabelaufklärung
Der berühmte US-Whistleblower Edward Snowden machte 2014 beim US-Geheimdienst NSA die staatliche Massenüberwachung bekannt: Auch dabei handelte es sich um Kabelaufklärung. - Keystone

Wie Fichter erklärt, wandeln die Analysten des ZEO diese Signale, die auf unterschiedliche Weise verschlüsselt sein können, nach Möglichkeit in lesbare Kommunikationsdaten um. «Und leiten diese dann je nach Ergebnis an den Nachrichtendienst weiter.»

Den Schweizer Telcos Swisscom, Sunrise, Salt und Co. bleibt demnach nichts anderes übrig als zu kooperieren. Die Internet-Provider sind gesetzlich verpflichtet, die Anbringung und Nutzung der staatlichen Überwachungstechnologien in ihren Einrichtungen zu dulden. Per Gesetz sind sie ausserdem zu absolutem Schweigen verpflichtet.

Was sagt der Nachrichtendienst des Bundes?

Der Schweizer Geheimdienst hat gegenüber «20 Minuten» ausführlich Stellung zur Kabelaufklärung genommen. Dabei versucht der NDB den Vorwurf der Massenüberwachung zu entkräften. Es heisst, dass der NDB keine flächendeckende Überwachung der Bevölkerung und auch keine Massenüberwachung mache.

«Der NDB hat keine Generalvollmacht, sondern verfügt über Instrumente für gezielte Eingriffe bei besonderen Bedrohungslagen». Weiter wird erwähnt, dass die gesamten Aktivitäten des Geheimdienstes «auf verschiedenen Stufen der Regierung, des Parlaments, der Verwaltung und von den Aufsichtsorganen laufend überwacht und streng kontrolliert» werde.

Nachrichtendienst des Bundes (NDB)
Die Büros des Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in Bern. (Archivbild) - Keystone

Und weiter: «Diese Kontrollen betreffen die Rechtmässigkeit, Zweckmässigkeit und die Wirksamkeit der Tätigkeiten des NDB.» Dabei wird unter anderem die unabhängige Kontrollinstanz für die Funk- und Kabelaufklärung (UKI) genannt. Regelmässig prüfe diese Behörde, «ob die verwendeten Suchbegriffe und die Resultate mit den genehmigten und freigegebenen Kategorien von Suchbegriffen übereinstimmen» würden.

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