Der Nationalrat ist heute dem Ständerat gefolgt und hat die Burka-Initiative deutlich bachab geschickt. Die Debatte ging kürzer als erwartet.
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Muslimische Touristen mit Kopftuch und Gesichtsschleier. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der Nationalrat lehnt die Burka-Initiative mit 114 zu 76 Stimmen bei drei Enthaltungen ab.
  • Die Debatte war als «Open-End» geplant, endete aber schon um 18 Uhr.

Wie auch bereits der Ständerat empfiehlt der Nationalrat, die Initiative zum Verhüllungsverbot an der Urne abzulehnen.

Mit 114 zu 76 Stimmen bei drei Enthaltungen fiel das Resultat eher deutlich aus. Die SVP konnte eine Mehrheit des Rates nicht von ihrem Standpunkt überzeugen.

Die Debatte war am Ende wesentlich schneller vorbei, als erwartet: Weil sich rund 43 Redner angemeldet hatten, war die Sitzung als «Open-End» geplant. Kurz nach 18 Uhr war dann aber der Spuk schon vorbei.

Elefant im Raum

Obwohl die Volksinitiative ein grundsätzliches Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum in der ganzen Schweiz verlangt - also auch etwa für Hooligans an Fussballspielen -, drehte sich die Diskussion hauptsächlich um den «Elefanten im Raum», wie es Jörg Mäder (GLP/ZH) nannte: die Frauen in der Schweiz, die eine Burka oder einen Niqab tragen.

«Die Vollverschleierung ist wie das Minarett ein Symbol für einen extremen Islam, der hier nichts zu suchen hat», sagte Walter Wobmann (SVP/SO). Er ist Präsident des überparteilichen Egerkinger Komitees, das hinter der Initiative steht.

Emotionale Debatte

Doch wie gross das Problem ist, das mit der Initiative zu lösen versucht wird, wurde mehrfach infrage gestellt. Sandra Locher Benguerel (SP/GR) hatte sich bei vorab auf die Suche nach Zahlen gemacht: Gemäss Angaben des Bundesrats gäbe es 95 bis 130 Burka- oder Niqab-Trägerinnen, sagte sie. Nur eine bis zwei Handvoll davon lebten in der Schweiz.

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In der Schweiz gebe es nur 95-130 Burka- oder Niqab-Trägerinnen, sagt der Bundesrat. - keystone

Die Initiative öffne einen Graben, der eigentlich nicht existiere und Vorurteile bestärke, sagte auch Jon Pult (SP/GR). Er ist der Ansicht, dass die Initianten einen «Klassenkampf bewirtschaften wollen».

Marti: SVP «plötzlich zur grossen Emanzenkampftruppe» mutiert?

Unter anderem Barbara Steinemann (SVP/ZH) setzte sich für eine Annahme der Initiative ein - auch, um die Rechte der Frauen zu stärken und ihre Gleichberechtigung zu erhöhen, wie sie sagte. «Körperverhüllungen sind ein Zeichen der Minderwertigkeit der Frauen.» Sie raubten Individualität und seien zutiefst menschenverachtend. Zudem führten sie «Errungenschaften der Aufklärung und der Frauen ad absurdum.»

SP-Sprecherin Samira Marti (BL) wunderte sich darüber, dass sich die SVP «plötzlich zur grossen Emanzenkampftruppe» gemausert habe. Für die Befreiung der Frauen sei plötzlich «kein Weg zu weit und kein Berg zu gross». Die SVP instrumentalisiere die Gleichstellung der Frauen für ihren Zweck, pflichtete ihr Isabelle Pasquier-Eichenberger (Grüne/GE) bei.

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Samira Marti, SP-BL. - keystone

Mit dem Verbot würde jedoch nicht nur ein Zeichen gesetzt gegen die Unterdrückung von Frauen, sondern auch für die Freiheit, sagte Matthias Bregy (CVP/VS). «Zu dieser Freiheit gehört auch, dass ich das Gesicht des Gegenübers sehen kann.» Die Verschleierung des Gesichts habe im öffentlichen Raum nichts verloren - egal, aus welchen Gründen diese erfolge. Sie gehöre daher verboten.

Nur «Bankräuber, Terroristen, Chaoten und islamistische Frauen verhüllen sich»

Man müsse Gesichtszüge lesen und ein Augenzwinkern des andern erkennen können, sagte auch Niklaus-Samuel Gugger (EVP/ZH). Die Frage sei: «Was gewichten wir mehr: die Freiheit, das Gesicht zu verhüllen, oder die Freiheit auf die Sicht auf das Gesicht?» Die EVP - wie die CVP ein Teil der Mitte-Fraktion - wähle Zweiteres.

Thematisiert wurde auch der Sicherheitsaspekt. «Von den Initianten wird suggeriert, dass von Verhüllten eine grosse Gefahr ausgehe», sagte Matthias Jauslin (FDP/AG). So fragte etwa Erich Hess (SVP/BE): «Wer verhüllt sich?» - und gab die Antwort gleich selbst: «Bankräuber, Terroristen, Chaoten und islamistische Frauen». Wenn man jemandem mit einer Burka begegne, wisse man nicht, wer unter «diesen Tüchern» sei.

Erich Hess
Für SVP-Nationalrat Erich Hess aus Bern ist klar: Nur wer Böses will, verhüllt sich. - Keystone

Natürlich gehöre es zur westlichen Kultur, das man von Angesicht zu Angesicht miteinander verkehre, räumte Jauslin ein. «Ich erachte es aber als Zeichen der Schwäche, nach Verboten zu rufen, um die abendländische Kultur zu verteidigen.» Dies sagte auch Justizministerin Karin Keller-Sutter: «Eine starke und liberale Gesellschaft braucht keine Verbote, um ihre Werte durchzusetzen.»

FDP für die «liberalen Werte» der Schweiz

Die Verhüllung aus religiösen Gründen sei zwar ein Zeichen des erzkonservativen radikalen Islam und dränge Frauen in eine bestimmte Rolle, sagte Keller-Sutter. Das passe nicht in die Schweiz.

Zentral sei für die Regierung aber, dass durch die Initiative die kantonalen Kompetenzen unnötig eingeschränkt würden. Der Bundesrat sei zwar nicht grundsätzlich gegen ein Vermummungsverbot, sie selber habe im Kanton St. Gallen selber eines eingeführt, sagte Keller-Sutter. Es gehe aber darum, nicht in die Kompetenzen der Kantone einzugreifen.

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Justizministerin Karin Keller-Sutter hat selber ein Vermummungsverbot im Kanton St.Gallen eingeführt. - Keystone

Die FDP setzte an, um für die «liberalen Werte» der Schweiz zu kämpfen. Diese würden mit der Einschränkung der individuellen Freiheit durch das Verhüllungsverbot aber nicht geschützt, sondern ausgehöhlt, sagte Andri Silberschmidt (ZH). Kleidervorschriften gehörten zudem nicht in die Verfassung, sagte Susanne Vincenz-Stauffacher (SG). Dies sei eines liberalen Staats unwürdig.

Hooligans auch thematisiert

Die Vermummten kamen in der Debatte auch noch zur Sprache. «An Sportanlässen haben wir ein grosses Problem mit Vermummten», sagte Andrea Geissbühler (SVP/BE). Unter der Woche seien sie unauffällige Schüler und Mitarbeitende, «am Wochenende schlagen sie alles kurz und klein». Pirmin Schwander (SVP/SZ) pflichtete ihr bei: «Wir haben das Problem, anonym Gewalt auszuüben, nicht im Griff.»

Am Schluss empfahl der Nationalrat die Initiative mit 114 zu 76 Stimmen bei drei Enthaltungen zur Ablehnung. Der Ständerat hatte sich bereits im Herbst 2019 dagegen ausgesprochen. An der Urne dürfte die Initiative trotzdem nicht chancenlos sein.

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