Matterhorn

Livia Anne Richard: «Unglück war ganz direkt menschengemacht»

Yannick Stay
Yannick Stay

Oberwallis,

Im Sommer wird der Walliser Riffelberg zur Theaterbühne. Auf 2582 Metern Höhe führt die Berner Regisseurin Livia Anne Richard «The Matterhorn Story» auf.

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Livia Anne Richard (rechts) ist zurück auf dem Riffelberg mit einer Neuinszenierung von «The Matterhorn Story». - Nau Grafik / zVg/Severin Nowacki

Das Wichtigste in Kürze

  • Vom 27. Juni bis zum 23. August finden die Freilichtspiele Zermatt statt.
  • Auf dem Riffelberg – 2582 Meter über dem Meer – wird «The Matterhorn Story» aufgeführt.
  • Die Regie übernimmt Livia Anne Richard, die das Stück verfasste und schon 2015 zeigte.
  • Nun sind sie und ihr Ensemble zurück auf dem Berg, mit einer Neu-Inszenierung.
  • Nau.ch hat mit der Berner Regisseurin darüber gesprochen.

Im Jahr 2015 jährte sich die Erstbesteigung des Matterhorns zum 150. Mal. Zur Feier dieses Jubiläums schuf die Berner Regisseurin Livia Anne Richard das Theaterstück «The Matterhorn Story».

Dieses thematisiert die dramatischen Ereignisse von damals. Vier der sieben Erstbesteiger verloren ihr Leben.

Aufgeführt wurde das Werk oberhalb von Zermatt auf dem Riffelberg – auf 2582 Metern Höhe. Nun, zehn Jahre später, werden die Geschehnisse des 14. Julis 1865 in einer kompletten Neuinszenierung wieder auf die Bühne gebracht.

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Hoch oben auf dem Riffelberg findet das Stück statt. - zVg / Severin Nowacki

Vom 27. Juni bis zum 23. August ist das Ensemble unweit des titelgebenden Gipfels zurück. «The Matterhorn Story» wurde von Richard überarbeitet, wobei laut eigener Aussage «die DNA» der historischen Ereignisse nicht verändert wurde.

Neue, starke Frauenfiguren kommen vor und auch das Musikkonzept ist völlig neu. Erarbeitet wurde es von der einheimischen Band «Wintershome» zusammen mit dem jungen Berner Improvisationstalent Elia Gasser. Letzterer wird das Stück jeden Abend live am Piano begleiten.

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Elia Gasser wird während den Inszenierungen live am Piano sitzen. - zVg / Severin Nowacki

Nau.ch hat sich vor der Premiere mit der Regisseurin zusammengesetzt und über die kommenden Vorstellungen gesprochen.

Nau.ch: Livia Anne Richard, Sie inszenieren Ihr eigenes Werk, «The Matterhorn Story», neu. Worum geht es in dem Stück?

Livia Anne Richard: Es beschreibt die dramatischen Geschehnisse rund um die Erstbesteigung des Matterhorns. Eine Seilschaft von sieben spontan zusammengewürfelten Männern machte sich auf, den Berg zu besteigen.

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«The Matterhorn Story» stammt aus der Feder der Berner Regisseurin Livia Anne Richard. - Nau.ch

Seit 1847 wurde dies immer wieder versucht, das Matterhorn galt jedoch als unbezwingbar. Am 12. Juli 1865 erfuhren die englischen Gäste in Zermatt, dass die Italiener auf «ihrer» Seite, also von Italien her, gerade erneut einen Versuch starteten.

Eigentlich handelte es sich also um einen nationalen Wettstreit zwischen England und Italien. Die Schweizer waren bloss die damaligen «Sherpas».

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Der Gipfel des Matterhorns dient als atemberaubende Hintergrundkulisse. - zVg / Severin Nowacki

Die mausarmen Zermatter Bergbauern haben da nur mitgemacht, weil sie das Geld brauchten. Ihnen selbst wäre es gar nicht in den Sinn gekommen, diese Berge hochzukraxeln. Sie hatten anderes zu tun.

Nau.ch: Sie sagen, «die DNA» des Stücks wurde bei der Überarbeitung nicht verändert. Gibt es eine neue «Botschaft», die das Publikum mitnehmen soll?

Richard: Nicht «Botschaft» in dem Sinn. Aber viel Inhalt von tiefem Sinn. Zudem haben auch aktuelle Ereignisse einen Einfluss auf Kunst.

Es gibt nun die dramatische und traurige Situation mit Blatten. Dort sehen wir, dass wir gut daran täten, erst einmal die Berge und die Natur zu schützen. Dann ist der Mensch auch sicherer.

Nau.ch: Wie stehen die beiden Ereignisse im Vergleich zueinander da?

Bei «The Matterhorn Story» kann man sagen: Das Unglück war ganz direkt menschengemacht. Das kann man in Blatten so ja nicht.

Die Erstbesteigung war überstürzt und unvernünftig. Die sieben Männer kannten sich kaum und das Sprachwirrwarr war babylonisch.

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Das Werk ist so konzipiert, sodass nur eine der vorkommenden Sprachen – Deutsch, Walliserdeutsch, Englisch – verstanden werden muss, um der Handlung folgen zu können. - zVg / Severin Nowacki

Man sprach Französisch, Englisch und Walliserdeutsch durcheinander, ohne die Sprache des anderen zu verstehen. Das war also eine echte Kamikaze-Aktion.

Beim Unglück in Blatten wissen wir nicht genau, wie viel der Mensch und sein Einfluss auf das Klima mit dem Bergsturz zu tun hat. Wir vermuten es nur.

Nau.ch: Könnte so etwas auch mit dem Matterhorn passieren?

Ich weiss es nicht. Ich habe mir das auch schon überlegt … Was wäre Zermatt ohne das Matterhorn? Spannend finde ich, dass der Mensch das Matterhorn so bewundert, weil es für sich alleine steht, ohne sich anzulehnen an andere Berge.

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Der Neuinszenierung wurden starke Frauenfiguren hinzugefügt. - Nau.ch

Genauso möchten wir doch auch sein: Autonom, frei und eigenständig. Der Mensch aber möchte so sein, um etwas zu erreichen. Der Berg will nichts erreichen, der steht einfach da – das können wir ihm vielleicht abschauen.

Nau.ch: Können Sie uns noch etwas zu Ihrem Ensemble sagen?

Richard: Mit dabei ist etwa Dani Mangisch, ein sehr vielschichtiger Profi-Schauspieler, der erstmals in einer grossen Produktion auch auf Walliserdeutsch spielt. Er besetzt die Doppelrolle als Reverend Hudson und Bergführer Elmar.

Andreas Heinrich, der schon mehrere grosse Rollen übernommen hat, spielt den «Edward Whymper». Zu Beginn der Proben war das noch ein ungeschliffener Diamant. Mittlerweile ist er explodiert. Er ist unglaublich stark geworden.

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Das Ensemble zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass gleich vier verschiedene Generationen vertreten sind. - zVg / Severin Nowacki

Der Jüngste im Ensemble ist der achtjährige Marius Inderbinen. Unser ältestes Mitglied ist Pius Fuchs mit 89 Jahren. Ganze vier Generationen spielen also auf unserer Bühne.

Ausserdem werden die zwei überlebenden Bergführer Taugwalder Vater und Sohn von direkten Nachfahren gespielt, was dem Stück eine unglaubliche Tiefe und Authentizität verleiht.

Nau.ch: Neben Ihnen agiert Lilian Naef, die einige vielleicht noch von den «Geschwister Pfister» kennen, als Co-Regisseurin. Wie ist es zu der Zusammenarbeit gekommen?

Richard: Lilian leitete die Proben im März und April, da ich damals noch im Ausland war und an einem Buchprojekt arbeitete. Sie inszenierte schon mal ein Stück von mir.

Daher weiss ich, dass wir künstlerisch ganz ähnlich ticken. Bei einer der Endproben wird sie nochmal vorbeikommen, damit wir uns das Resultat zusammen anschauen können.

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Es ist das erste Mal, dass Naef (Zweite von rechts) in dieser Rolle bei einer Inszenierung Richards mitwirkt. - zVg / Hannes Zaugg-Graf

Mir ist auf der Bühne nicht das Spektakel am wichtigsten, sondern die Wahrhaftigkeit des Schauspiels. Lilian arbeitet, ebenso wie ich, sehr präzise an der intrinsischen Motivation und an der Psychologie der Figuren. Ich wusste einfach, dass wir am gleichen Strick und in die gleiche Richtung ziehen.

Nau.ch: Wie gestalten sich die Vorbereitungen allgemein?

Richard: Alles läuft punktgenau. Genau dort, wo ich zu diesem Zeitpunkt sein möchte, sind wir.

Wenn wir einen Durchlauf machen, dann läuft das – wenn auch noch mit Ecken und Kanten. Seit vergangener Woche haben wir nun endlich Headsets (Mikrophone), und das Ensemble kann sich gegenseitig besser hören.

Nau.ch: Wir sind hier auf fast 2600 Metern Höhe. Wie gut kennen Sie diese Location mittlerweile?

Richard: Mit dem Ort bin ich nach insgesamt drei Inszenierungen bestens vertraut. 50'000 Theaterbesucherinnen und -besucher waren schon hier oben. Mittlerweile kenne ich jeden Winkel und fast jedes Murmeltier persönlich (lacht).

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Die Location ist speziell. Livia Anne Richard (links) kennt sie mittlerweile sehr genau. - zVg / Severin Nowacki

Ganz ursprünglich wollten wir das Stück im Dorf aufführen, was aus Platzgründen nicht funktionierte. Einer meiner Zermatter Freunde, der Bergführer Hermann Biner, schlug dann vor, auf den Riffelberg auszuweichen.

Wir flogen mit dem Helikopter hoch und ich habe mich sofort in den Ort verliebt. Es ist so traumhaft schön hier oben. Das Matterhorn springt einen förmlich an.

Nau.ch: Müssen sich die Darstellenden auf die dünnere Luft auf dem Berg speziell einstellen?

Richard: An den ersten Proben waren wir alle tatsächlich etwas ausser Atem. Es ist anspruchsvoll, aber der Körper gewöhnt sich sehr schnell daran.

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Die Proben verlaufen gemäss der Regisseurin nach Plan. - zVg / Severin Nowacki

Auch beim Publikum, das ja sitzen und geniessen kann, hatten wir in all den Jahren keinen einzigen medizinischen Vorfall, keine Kreislaufprobleme oder dergleichen, nichts.

Nau.ch: An welchen Projekten werden Sie nach der Zeit der Freilichtspiele Zermatt arbeiten?

Richard: Nach der Premiere hier werde ich mich an die Produktion für das Theater Gurten 2026 machen. Das Stück wird «Aute» heissen – so wie die Jungen einander «Hey, Aute» sagen.

Dieses Thema hatte ich eigentlich schon während der Corona-Zeit bringen wollen. Jetzt – sechs Jahre später – muss ich das Stück komplett umschreiben, da sich die Welt so sehr verändert hat.

Gehst du gerne ins Theater?

Es spielt in einem Generationenhaus, in dem sich unweigerliche Konflikte zwischen Alt und Jung auftun. Ich will mit dem Stück Klischees aufbrechen.

Aufzeigen, dass es zum Beispiel junge Menschen gibt, die weiser sind als die Alten. Dass es aber auch Ältere gibt, die deutlich offener und vitaler sind als manche Junge.

***

Zum ersten Mal arbeitet Livia Anne Richard bei einer Produktion zusammen mit der Berner Theaterschaffenden Lilian Naef. Auch der ehemaligen «Geschwister Pfister»-Darstellerin stellte Nau.ch einige Fragen.

Nau.ch: Was waren Ihre ersten Gedanken, als Livia Anne Richard mit der Idee auf Sie zugekommen ist, «The Matterhorn Story» neu zu inszenieren?

Lilian Naef: Ich habe mich über die Anfrage gefreut, da ich 2019 schon einmal ein Stück aus ihrer Feder inszenieren durfte. Ich empfand ihre Anfrage als Vertrauensbeweis.

Mich als Co-Regisseurin beizuziehen, zeigte mir auch, dass sie daran interessiert ist, nicht einfach etwas zu wiederholen, was mal funktioniert hat, sondern einen ganz neuen Blick auf den Stoff zu wagen.

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Lilian Naef fungiert bei den Freilichtspielen Zermatt als Co-Regisseurin. - zVg / Hannes Zaugg-Graf

Nau.ch: Welchen Eindruck haben Sie von den Vorbereitungen, die Sie begleitet haben?

Naef: Ich habe ein äusserst motiviertes Ensemble angetroffen, mit dem ich sehr gerne zusammengearbeitet habe.

Nau.ch: Wie würden Sie diese Erfahrung bisher beschreiben, auch mit Blick auf die spezielle Location?

Naef: Während der ersten zwei Monate haben wir noch im Schulhaus in Zermatt geprobt. Die Dimensionen des Spielortes in der weiten Bergwelt mussten wir uns vorstellen, das verlangte von allen etwas Abstraktionsvermögen.

Aber während dieser Probenphase ging es sowieso vor allem um die Arbeit am Text, darum, die Handlung zu begreifen und die Charaktere interessant zu gestalten.

Das Ganze zusammenzufügen und in den Aussenraum zu stellen, ist nun die Arbeit von Livia.

***

Infos und Tickets für die Freilichtspiele Zermatt 2025, «The Matterhorn Story», gibt es unter freilichtspielezermatt.ch.

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