«Krankhaft schlank» wird auf Social Media gefeiert
Knochig, ausgemergelt, dunkle Augenringe, wie früher Kate Moss: Der Heroin-Chic der 90er erlebt auf Social Media ein Comeback – je dünner, desto besser.

Das Wichtigste in Kürze
- In den sozialen Medien schrumpfen die Influencer und feiern den Mager-Trend.
- Der Trend fordert Opfer: Die Zahl der Essgestörten steigt dramatisch.
- Abnehm-Spritzen werden in den sozialen Medien als einfache Abnehm-Lösung dargestellt.
In den 90er-Jahren machte Kate Moss mit ihrem Körper den Heroin-Chic gross: knochig, ausgemergelt, dunkle Augenringe. Wer glaubt, diesen Trend hätten wir längst hinter uns gelassen, hat weit gefehlt.
Dürr war noch nie so im Trend wie heute. Um sich davon zu überzeugen, genügt ein kurzer Blick in die sozialen Medien. Denn dort tun sich die Abgründe des Magerwahns auf.

Unter dem Deckmantel von Hashtags wie «That Girl» erklärt uns Social Media, wie wir zu unserer besten Version werden: Mit Disziplin, Effizienz, Erfolg, Stil, Fitness und perfekter Alltagsorganisation. Aber Achtung, unsere beste Version bedeutet automatisch auch die dünnste.
Der Trend ist gefährlich und zieht Millionen Nutzer in ihren Bann. Denn wer einmal etwas anklickt, ist bereits mittendrin im Hamsterrad.
Vermarktet wird ein «gesunder Lifestyle»
Die Ernährungs-Psychologische Beraterin Alexandra Weber sagt gegenüber Nau.ch: «Empfehlungs- und Interaktionscodes pushen Inhalte mit Diättipps. Wobei diese nicht mehr als solche erkennbar sind, sondern unter ‹gesundem Lifestyle› vermarktet werden.»
Transformations-Videos, Hashtags wie «skinnysecrets» und militärisch klingende Aussagen würden das Ganze noch verstärken. «Wer nicht dünn ist, ist schwach, undiszipliniert, nicht gesellschaftsfähig…»
«Nothing tastes as good as skinny feels»
Weber weiter: «Ideale Körperformern werden in extrem minimierten oder besser gesagt ausgemergelten Körpern dargestellt. Nothing tastes as good as skinny feels.» Auf Deutsch: Nichts schmeckt so gut, wie sich dünn sein anfühlt.
Dünn sein bedeute, erfolgreich, unantastbar, diszipliniert, gesellschaftstauglich zu sein. «Ausgemergelte Körper werden gefeiert und mit Erfolg gleichgesetzt. Je tiefer der Körperfettanteil, desto mehr Anerkennung und das Feiern von Disziplin von aussen.»
Dass der Trend gefährlich ist, zeigen auch die Zahlen: Seit 2022 sei ein Anstieg von 40 Prozent im Bereich der Essstörungen zu verzeichnen, sagt Anja Meier von «Pro Juventute». Und: «Durch die Glorifizierung auf den Social-Media-Kanälen bleiben sie oftmals lange unerkannt. Sie werden gefeiert oder zum neuen Normal erkoren.»
Die häufige und allzeit verfügbare Konfrontation mit solchen Darstellungen würden unsere Sehgewohnheiten verändern. «Je öfter wir mit einem krankhaft schlanken Ideal konfrontiert werden, desto mehr wird es zu unserer neuen Realität oder erstrebenswertem Ideal», so Meier.
Die Abnehm-Spritze ist nicht unschuldig
Abnehm-Spritzen wie «Ozempic» sind verschreibungspflichtig und benötigen daher eine ärztliche Verordnung. Auf Social Media werden sie jedoch als das Nonplusultra zum Abnehmen angepriesen.

Nebenwirkungen und Langzeitfolgen scheinen hier niemanden zu interessieren. «Problematisch wird es, wenn solche Mittel in den sozialen Medien als schnelle Lösung präsentiert und dadurch verharmlost werden», gibt Meier zu bedenken. Das setze junge Menschen unter Druck, und erhöhe das Risiko eines ungesunden Umgangs mit dem eigenen Körper.
Von Body-Positivity keine Spur
Die sogenannte Body-Positivity-Bewegung hatte in den vergangenen Jahren die Körperideale stark verändert. Die Bewegung führte zu einer positiven Einstellung zum eigenen Körper.

Von dieser Bewegung ist jedoch nicht mehr viel zu sehen. In den sozialen Medien schon gar nicht. Die einzigen, die den Hashtag noch nutzen, seien Marken, so Alexandra Weber: «Marken nutzten Body-Positivity-Hashtags, ohne echte Veränderung zu unterstützen. Umsatz statt Gesundheit wird priorisiert.»
Und der Ausweg?
Meier von «Pro Juventute» ist überzeugt: Die Schweiz müsse mehr in die Förderung der Medienkompetenz investieren, damit sich etwas verändere. Zum Beispiel an Schulen. «Darüber hinaus braucht es eine wirksame Regulierung von digitalen Plattformen. TikTok, Instagram & Co müssen durch eine konsequentere Moderation und transparentere Prozesse mehr Verantwortung für den Schutz junger Nutzerinnen und Nutzer übernehmen.»
Auch Alexandra Weber hegt einen klaren Wunsch: «Ich wünsche mir, dass der Ursprungsgedanke von Body Positivity wieder vermehrt Gehör findet. Der Wert eines Menschen ist unabhängig von seiner Sexualität, Hautfarbe, Körperform, religiöser Gesinnung und politischer Ausrichtung.»