Rohstoffe: Die Natur erobert sich ihr Gebiet zurück
Die Minengesellschaft Cerrejón produziert im Nordosten Kolumbiens Kohle. Dabei gilt sie als ein Vorzeigebeispiel in Sachen Renaturierung ausgeschöpfter Gruben.

Das Wichtigste in Kürze
- Cerrejón betreibt im Nordosten Kolumbiens einen grossen Kohletagebau.
- Ausgeschöpfte Gruben werden systematisch aufgeforstet und renaturiert.
- In die Aufforstung sind auch lokale Wayuu-Gemeinschaften eingebunden.
- Der Austausch mit den Wayuu erfolgt in einem breit angelegten Konsultationsprozess.
Wir kämpfen uns durch den dichten Blätterwald, immer tiefer ins Dickicht hinein. Bei jedem Schritt sinken die Füsse geräuschvoll in die feuchte Erde ein, die vollgesogen ist mit Wasser nach den heftigen Gewittern der letzten Nacht.
Hat die Sonne soeben noch unbarmherzig auf unsere Köpfe niedergebrannt, so ist es unter dem Blätterdach in diesem tropischen Trockenwald fast schon angenehm kühl. In Einerkolonne marschieren wir hinter Luis Francisco Madriñan her.
Die Spannung steigt, je weiter wir in den Wald gelangen. Auf uns soll nämlich eine Überraschung warten. Was für eine, will uns der Umweltverantwortliche und Renaturierungsexperte von Cerrejón nicht verraten.
Auf einmal lichtet sich das Dickicht – und bevor wir es merken, finden wir uns am Ufer eines Sees wieder. Aguas Blancas heisst das Gewässer, auf dessen Oberfläche Hunderte weisse Seerosen schwimmen und zwischen den Pflanzenblättern Sonnenstrahlen funkelnd aufblitzen.
Bis zu 100 Millionen Jahre alte Kohle
Kein Mensch käme auf die Idee, dass dieser verwunschene Wald mit seinem idyllischen See vor 25 Jahren noch ein gigantisches Loch war, aus dem Kohle abgetragen wurde. Denn der Wald ist Bestandteil des 69'000 Hektar grossen Konzessionsgebiets, für das die kolumbianische Minengesellschaft Cerrejón die Förderrechte hält.
Die ursprüngliche Konzession für die Gewinnung wurde der Minengesellschaft in den 1970er Jahren vom kolumbianischen Staat erteilt. Seit 2022 gehört Cerrejón vollständig zu Glencore.

Bis zu 100 Millionen Jahre alt ist die Kohle, die hier aus den offenen Gruben geholt wird. Mehrmals pro Woche wird in den Gruben gesprengt. Dazu wird ein zehn Meter tiefes Loch in die Erde gebohrt und Sprengstoff eingefüllt.
Die Mine ist rund um die Uhr, sieben Tage die Woche, in Betrieb. Gigantische Trucks mit Rädern von bis zu 3 Metern Durchmesser transportieren die Kohle aus den Gruben. Per Bahn wird der Rohstoff sodann zum etwa 150 Kilometer weit entfernten Hafen gebracht, wo er für den globalen Export verladen wird.
Die Luftqualität wird von Cerrejón ständig überwacht, da durch die Sprengungen und den Einsatz grosser Lastwagen Staub entstehen kann. Das Minengelände ist mit Messgeräten ausgestattet.
Wird ein gewisser Grenzwert überschritten, wird die Erde mit Wasser besprenkelt, um Staubbildung zu verhindern. Gegebenenfalls können relevante Anlagen für einen bestimmten Zeitraum ausgesetzt werden.
Renaturierung von Kohlegruben
Wird eine Grube renaturiert, wird erst einmal das gigantische Loch teilweise aufgefüllt. Dann werden die steilen Hänge abgeflacht, der Mutterboden wieder ausgebracht und das Areal wird aufgeforstet. Cerrejón ist verpflichtet, pro Hektar abgebauter Fläche durchschnittlich sechs Hektar Kompensationswald anzupflanzen.

Die Natur erobert sich ihre Räume schnell wieder zurück: Schon nach zwei Jahren kann man als Laie keinen Unterschied mehr erkennen zwischen einem natürlich gewachsenen und einem renaturierten Landstrich.
Luis Francisco Madriñan, von allen Pacho genannt, arbeitet seit neun Jahren für Cerrejón. Er trägt das knallgelbe Uniformhemd der Minengesellschaft und einen Panamahut aus dunkelbraunem Leder auf dem Kopf. Der Wald ist sein ganzer Stolz.
Er kennt hier praktisch alle Pflanzen- und Tierarten und kann Vogelstimmen ihren gefiederten Urhebern zuordnen. «Damit die Renaturierung funktionieren kann, braucht es in erster Linie nährstoffreiche Erde sowie die richtige Kombination von Pflanzen», so Madriñan.
Was einfach klingt, ist eine hochkomplexe Angelegenheit und das Ergebnis jahrelanger Forschungsarbeit. Entscheidend ist nämlich auch das Timing: Zuerst müssen eher anspruchslose, schattenspendende und schnellwachsende Pflanzen gesetzt werden und in den Folgejahren die sensiblen, die langsam gedeihen und keine direkte Sonneneinwirkung vertragen.
Um zum nährstoffreichen Mutterboden zu gelangen, muss dieser beim Ausheben einer Kohlegrube sorgfältig abgetragen und aufbewahrt werden.
Damit der Boden einer renaturierten Mine bei starkem Regen nicht erodiert, haben Madriñan und sein Team an den Hängen in regelmässigen Abständen breite Kanäle angelegt, in denen sich das Regenwasser sammeln und abfliessen kann. Diese Kanäle sind mit einer Art Stoffwabe ausgekleidet, in die Flüssigbeton gespritzt wird.
Dazwischen gibt es eine Vielzahl kleinerer, aus Holzästen gebaute Kanäle. «Sieben Jahre haben wir getüftelt, bis wir unser ideales Entwässerungssystem gefunden haben», sagt der Umweltverantwortliche.
Das Ergebnis jahrelanger Erfahrung
Luis Madriñan war früher Dozent in den USA und in Kolumbien. «Viele meiner Bekannten konnten nicht nachvollziehen, warum ich damals meine Stelle als Lehrbeauftragter aufgegeben habe, um in die einsame, ärmliche Gegend von La Guajira, ans gefühlte Ende der Welt, zu ziehen», erzählt er und fährt fort: «Ich schätze an meiner Arbeit für Cerrejón, dass ich viel bewirken kann. Ich vergleiche eine Kohlegrube vor der Renaturierung mit einem Patienten, den wir pflegen und aufpäppeln, um aus ihm wieder einen gesunden Athleten zu machen.»

Die über dreissigjährige Erfahrung in der Renaturierung von Kohlegruben im tropischen Trockenwald hat ergeben, dass sich für die Aufforstung rund vierzig autochthone Baum- und Pflanzenarten besonders gut eignen. Inzwischen hat die Natur die Regie übernommen und das Repertoire um weitere Pflanzenarten erweitert.
«Zudem leben hier wieder Tierarten, die in dieser Region als ausgestorben galten», berichtet Madriñan. So ist beispielsweise seit 2015 der Jaguar wieder ansässig. «Jaguare sind die Könige der Nacht und des Nebels. Sie verstecken sich vor uns, aber anhand ihrer Spuren wissen wir, dass sie sich wieder in unseren Wäldern niedergelassen haben.»
Zurückgekehrt ist auch der «Purpurkardinal» (Cardinalis Phoenicius), ein kleiner Vogel von intensiv-roter Farbe. «In ganz Kolumbien leben fast 2000 Vogelarten, davon sind rund 270 auf dem Gelände von Cerrejón zu Hause.» Während der Umweltexperte von diesem kleinen Vogel erzählt, fliegt eine «Piratentaube» an uns vorbei. Luis Madriñan nennt sie so, weil sie aussieht, als trage sie eine Augenklappe.
Lebenswelten treffen aufeinander
Cerrejón erhielt die erste Konzession für die Kohleförderung in den 1970er-Jahren. Das Gebiet galt damals offiziell als Niemandsland, über das der Staat frei verfügen konnte. Einige kleinbäuerliche Gemeinden und die dort seit Generationen lebenden Indigenen Wayuu mussten ihre Dörfer teils verlassen oder wurden umgesiedelt. Zwar wurden sie gemäss damalig anwendbarem Recht entschädigt, ein Teil von ihnen fordert aber mehr Gerechtigkeit.
Cerrejón setzt sich heute intensiv mit den Forderungen der Gemeinden auseinander – kein einfaches Unterfangen. Denn es treffen dabei nicht nur unterschiedliche Interessen aufeinander, sondern auch gänzlich verschiedene Lebenswelten.
«Wir mussten lernen, dass sich unsere Vorstellungen von Reichtum und Fortschritt komplett von der Lebenseinstellung der Wayuu unterscheiden», erzählt Inés Andrade, Leiterin Standards und Unternehmensverantwortung bei Cerrejón.
«Es hat Zeit gebraucht, bis wir verstanden haben, dass eine Begegnung auf Augenhöhe nur dann stattfinden kann, wenn wir uns von unseren westlichen Wertvorstellungen lösen und versuchen, die Welt aus Sicht der Wayuu zu sehen.»

Was die Kommunikation zusätzlich erschwert: «Die Wayuu leben in sehr grossen Familiengemeinschaften, die als Clans organisiert sind. Allein auf dem Territorium, auf dem Cerrejón tätig ist, sind 427 Gemeinschaften zu Hause.
Jeder Clan ist autonom organisiert. Die Autorität wird jeweils durch die mütterliche Seite der Familie weitergegeben. «Wir müssen mit jeder Gemeinschaft einzeln Gespräche führen und verhandeln.
Bei diesen Gesprächen über die Auswirkungen des Betriebs von Cerrejón können bis zu 300 Clanmitglieder anwesend sein», sagt Andrade. «Derzeit nehmen über 400 Wayuu-Gemeinden an diesem Konsultationsprozess teil, und es liegen Anträge von über 600 weiteren Gemeinden vor, die in den Prozess einbezogen werden wollen. Die nationalen Behörden sind dabei, diese Anträge zu überprüfen.»
In der Zwischenzeit hat Cerrejón Abkommen mit über 330 Wayuu-Gemeinden getroffen und eine Vielzahl von sozialen Projekten abgeschlossen. Mit den meisten Familien steht Cerrejón in einem guten Austausch.
«Wir versuchen, die Gemeinschaften zu unterstützen so gut es geht, indem wir beispielsweise die Zugänge zu Trinkwasser verbessern oder in die Bildung, die Infrastruktur sowie in soziale oder wirtschaftliche Projekte investieren», erklärt Luis Marulanda, Vizepräsident für Public Affairs und Kommunikation.

Die Minengesellschaft hat 2023 rund 24 Millionen US-Dollar investiert – zusammengesetzt aus obligatorischen und freiwilligen Beiträgen –, um der lokalen Bevölkerung zu helfen, eine bessere Lebensgrundlage aufzubauen.
«Gleichwohl gibt es Familien, mit denen wir Meinungsverschiedenheiten haben. Wir respektieren jedoch ihre Ansichten und Standpunkte. Sie sehen in uns den Feind, der ihnen ihr Land und ihre Lebensgrundlage weggenommen hat», sagt Marulanda. «Wir wollen eine friedliche Koexistenz mit allen Gemeinschaften schaffen, damit in Zukunft beide Seiten voneinander profitieren können.»
Gemeinschaftliche Baumschulen
Gute Beispiele für die gegenseitige Unterstützung sind die vier Baumschulen, die auf Initiative von Cerrejón ins Leben gerufen wurden und heute von Wayuus autonom betrieben werden. Im Offroader fahren wir zum Pushaina-Clan, wo uns Lorenza Mercedes Perez Pushaina auf der Veranda ihres Hauses empfängt.
Das Dorf besteht aus einer Handvoll einfacher Häuser, die nach traditioneller Methode aus Lehm erbaut sind. Überall liegt Plastikmüll herum und auf dem Gartenzaun hängt Wäsche zum Trocknen. Hühner spazieren zwischen den Häusern und zwei magere Hunde streifen uns um die Beine.
Die Gastgeberin bittet uns, auf den grünen Plastikstühlen Platz zu nehmen und offeriert süssen Kaffee in weissen Plastikbechern. Sie spricht Wayuunaiki, die Sprache der Wayuu. Ein Cerrejón-Mitarbeiter aus dem Pushaina-Clan übersetzt ins Spanische – eine Formsache, denn eigentlich spricht Lorenza Mercedes Perez Pushaina fliessend Spanisch.
«Ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, ich sei mit allem glücklich», gesteht das Clanoberhaupt. «Doch ich freue mich, dass wir bald zusätzliches Landgut bekommen, damit wir mehr Platz zur Verfügung haben.»

Wenige Meter von ihrem jetzigen Haus entfernt, befindet sich eine der vier Baumschulen. Geführt wird sie von der 25-jährigen Maria José Fragoso. 50 bis 70 verschiedene Pflanzenarten werden hier herangezogen – gemäss Maria ganz ohne Einsatz von Pestiziden.
«Wir haben dieses Jahr rund 45'000 Pflanzen für die Aufforstungsprojekte von Cerrejón produziert», erzählt die junge Managerin. 45 Männer und Frauen arbeiten in der Baumschule. Während der Pflanzzeit, wenn es viel zu tun gibt, werden weitere 35 Mitarbeitende temporär beschäftigt.
Maria José Fragoso hat ehrgeizige Pläne: «Mit unserer Baumschule haben wir bewiesen, dass wir zuverlässig und professionell arbeiten. Nun möchten wir einen Schritt weitergehen und expandieren», sagt die Jungunternehmerin.
Cerrejón hat eine Liste mit einheimischen Pflanzen erstellt, die sich für die Aufforstung der Kohlegruben eignen. Die vier Baumschulen arbeiten eng mit Cerrejón zusammen und können in gegenseitiger Absprache selbst wählen, welche Pflanzen sie züchten möchten.
Zwischen Aufbruch und Versöhnung
Die Seerosen auf dem See Aguas Blancas, zu dem uns Luis Francisco Madriñan geführt hat, gehören nicht zum Sortiment der Baumschule. Die Blumen haben ihren Weg von selbst auf die Wasseroberfläche mitten im Wald gefunden. Die Beziehung zwischen Cerrejón und den lokalen Gemeinschaften ist wohl so vielschichtig, wie die zarten weissen Blüten dieser Wasserpflanzen.
Glencore scheint bestrebt zu sein, einen Nährboden zu schaffen, damit in Zukunft nicht nur die Natur, sondern auch das Verhältnis zwischen der Minengesellschaft und den lokalen Gemeinschaften aufblühen kann.
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Dieser Beitrag wurde in Zusammenarbeit mit Glencore erstellt. Er erschien in ähnlicher Form erstmalig in der NZZaS-Verlagsbeilage «Mineralische Rohstoffe» vom 24. November 2024.