Kiss-Cam-Werbung: «Klimaschutz Schweiz» droht Klage
Der Verein «Klimaschutz Schweiz» mobilisiert mit der Kiss-Cam-Affäre für seine Petition. Rechtlich hat er sich in die Nesseln gesetzt.

Das Wichtigste in Kürze
- Der Verein Klimaschutz Schweiz hat sich an den Fotos der Kiss-Cam bedient.
- Er vergleicht verführerische Schnäppchen mit der heimlichen Affäre von Byron und Cabot.
- Rechtsanwälte sehen Chancen für eine Klage gegen den Verein.
Was hat der Schweizer Klimaschutz mit der Kiss-Cam-Affäre zu tun? Nichts bis gar nichts. Den Verein «Klimaschutz Schweiz» hält dies nicht davon ab, den Sommerskandal für seine Zwecke zu nutzen.
Die halbe Welt weiss mittlerweile, dass zwischen Astronomer-CEO Andy Byron und seiner HR-Chefin Kristin Cabot etwas läuft. Die Kiss-Cam an einem Coldplay-Konzert liess die aussereheliche Affäre auffliegen.
In einem Post auf Instagram mobilisiert Klimaschutz Schweiz damit für seine Petition. Diese will gegen versteckte Emissionen vorgehen und fordert eine gesetzlich verbindliche Transparenzpflicht für Produkte.
Schnäppchen mit Affäre verglichen
«Was wir kaufen, sollte kein Geheimnis sein», schreibt der Verein in Anspielung auf die heimliche Affäre von Byron und Cabot. Kundinnen und Kunden hätten ein Recht auf ehrliche Infos statt leere Werbeversprechen. So müssten sie etwa wissen, wie ihr Produkt transportiert worden sei.
Mit Screenshots aus dem Kiss-Cam-Video will der Verein illustrieren, wie verführerisch, aber unökologisch Schnäppchen von Temu sind.
Ein Foto im Post zeigt das Paar eng umschlungen und nichts ahnend am Konzert. «80 Prozent gespart bei Temu!», steht dazu.
Auf dem nächsten Foto hat das heimliche Paar soeben realisiert, gerade gross auf der Leinwand vorgeführt zu werden. Der Verein kommentiert dramatisch: «... Flugtransport verursacht 50x mehr CO2 als mit dem Schiff!»
Dann doppelt der Verein nach mit: «Vier Franken für Kopfhörer!». Nochmals zeigt der Post das verliebte Paar vor dem Schrecken.
Doch die Kopfhörer sind «... kaputt nach vier Tagen!» Diese negative Überraschung illustriert ein weiterer Screenshot aus dem Moment des Auffliegens. Zum Schluss fordert der Verein auf, die Petition zu unterschreiben – wolle man sich nicht wie das Paar fühlen.
«Voll daneben und billig»
Unter dem Post reagieren User mit Kritik. «Das Foto, das ihr da bringt, ist voll daneben und billig», schreibt ein User. Es sei doch echt kontraproduktiv, dies im Zusammenhang mit wichtigen Themen zum Umweltschutz zu bringen.
Eine Nutzerin bedauert: «Schade, dass ihr eine wichtige Textinfo so bebildert. Ich finde das billig.» Und ein User will wissen, ob die beiden Personen für das Foto gefragt worden seien.
Mit dem Kiss-Cam-Post hat sich der Verein rechtlich tatsächlich in die Nesseln gesetzt.
«Eingriff in Persönlichkeitsrechte»
Noemi Attanasio und Ivan Taranenko sind Rechtsanwälte bei der Attanasio Rechtsnwälte AG und spezialisiert auf Zivilrecht. «Die Verwendung der Fotos stellt grundsätzlich einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte dar», sagen sie zu Nau.ch.
Prinzipiell dürfe gemäss der geltenden Rechtsordnung niemand ohne Zustimmung abgebildet werden.
Persönlichkeitsrechte können verletzt werden, wenn eine Aufnahme Personen in einer misslichen Situation erscheinen lässt. «Oder Bilder veröffentlicht werden, die den Abgebildeten kompromittieren, verunglimpfen oder in einem ungünstigen Licht erscheinen lassen.» Ein solcher Fall liege hier vor.
«Gesamthaft ist wohl von einem Eingriff in das Recht auf Bild von Herrn Byron und Frau Cabot auszugehen.» Dies bestätigen Attanasio und Taranenko weiter.
Die Rechtsanwälte gehen davon aus, dass Byron und Cabot mit einer Klage gegen den Verein Erfolg haben könnten.
Etwa könnten sie die Löschung des Posts verlangen oder sogar Schadenersatz. «Sofern aufgezeigt werden kann, dass aufgrund der Werbungen ein Schaden entstanden ist.» Gewisse Chancen hätte auch die Forderung nach einer Genugtuung. «Wobei diese eher tief ausfallen würde.»
Verein verteidigt Post
Oliver Daepp ist Geschäftsleiter des Vereins Klimaschutz Schweiz. Er steht weiterhin hinter dem Post. «Wir greifen aktuelle gesellschaftliche Themen gelegentlich auf, um auf politische Anliegen aufmerksam zu machen», sagt er.
Die Kiss-Cam-Szene sei von Medien und Social Media breit rezipiert worden, sagt Daepp. «Und hat Symbolkraft für ‹versteckte Realitäten›.»
Genau hier setzten auch sie an. «Mit unserem Post wollten wir auf versteckte Emissionen importierter Güter hinweisen.» Die Darstellung sei bewusst humorvoll und politisch pointiert – kein Angriff auf Einzelpersonen.
Daepp erklärt, bewusst eine satirische Form gewählt zu haben, die weder beleidigend noch persönlich herabsetzend sei. «Eine etwaige Kontaktaufnahme durch betroffene Personen würden wir selbstverständlich ernst nehmen und sorgfältig prüfen.»
«Keine Satire»
Die Rechtsanwälte widersprechen.
«Unseres Erachtens liegt ein Eingriff in die Persönlichkeitsrechte vor.» Auch bei Satire könnten Persönlichkeitsrechte nicht gänzlich unberücksichtigt gelassen werden. Es stelle sich hier ohnehin die Frage, ob vorliegend überhaupt von Satire gesprochen werden könne. «Oder ob nicht doch einfach politische Werbung vorliegt.»
Der Verein kündigt deshalb an, dies «intern gerne nochmals zu überprüfen».
«Untergräbt die Glaubwürdigkeit»
Bei Marketingprofis fällt der Kiss-Cam-Gag durch. Der Post von Klimaschutz Schweiz wirke überzeichnet und auffällig laut, sagt Felix Murbach. «Ungewöhnlich für eine Organisation, die eigentlich für Verantwortung und Nachhaltigkeit steht.»
Die Verbindung zum ernsten Thema Netto Null 2050 wirke konstruiert, sagt Murbach. Der aktivistische Ton verwässere die Botschaft.

Besonders die Textzeile «80 Prozent gespart bei Temu!» sei irritierend. Diese wirke zusammenhangslos und werde von vielen Nutzerinnen und Nutzern vermutlich nicht verstanden.
«Aus Markensicht fehlt hier die klare Linie – das untergräbt die Glaubwürdigkeit der Kampagne.»
Schaden sei möglich
Kreativität im Marketing heisst aus Murbachs Sicht, nicht einfach nur «schnell reagieren». Es gehe um Relevanz, Markenpassung und strategische Einbettung in die Unternehmenskommunikation. «Kreativität muss zur Marke passen. Sonst wirkt es schnell aufgesetzt oder opportunistisch.»
Wenn ein Unternehmen oder eine Organisation zu leichtfertig auf «Empörungswellen mitsurft», bestehe das Risiko, die Positionierung zu verwässern. «Oder sogar zu beschädigen.»
Auch Murbach kritisiert, dass sich der Verein am Kiss-Cam-Video bedient hat. Der Verein Klimaschutz Schweiz stehe für Verantwortung und Transparenz, sagt er. «Gerade solche Organisationen sollten hier mit gutem Beispiel vorangehen.»
Tchibo setzt auf KI
Cleverer vorgegangen ist der Kaffeekonzern Tchibo.

«In einer Tchibo Filiale wäre das nicht passiert», titelt Tchibo Österreich einen Instagram-Post mit dem Paar. «Vertrauen ist gut, Kaffee ist besser», steht im Text dazu.
Sie hätten sich bewusst gegen das Originalbild entschieden, heisst es auf Anfrage beim Unternehmen. Stattdessen hätten sie «eine Situation aus dem Zeitgeschehen via KI nachgestellt», behauptet das Unternehmen.