Immer mehr Erwachsene tragen Teenie-Zahnspangen
Erst mit über 50 Jahren hat sich ein Zürcher einen Gartenhag einsetzen lassen. Solche Patienten nehmen zu.

Das Wichtigste in Kürze
- Ein Zürcher trug mit über 50 Jahren erstmals eine Zahnspange.
- Die Nachfrage nach Zahnspangen für Erwachsene ist laut einem Anbieter deutlich gestiegen.
- Auch auffällige Gartenhäge sind bei den späten Trägern gefragt.
Spätestens beim Lachen blitzt er hervor: der Gartenhag. Dies trifft auch auf immer mehr Menschen jenseits des Teenageralters zu.
Die Kieferorthopädie Vunder Orthodontics in Zürich ist spezialisiert auf Zahnspangen für Erwachsene. In ihrer Praxis machen erwachsene Patienten mittlerweile einen erheblichen Anteil aus, sagt Marju Vunder, Fachärztin für Kieferorthopädie.
«Bei rund einem Drittel der Behandlungen für Zahnspangen handelt es sich um Erwachsene», sagt Vunder. Auch Patienten über 40 oder 50 Jahre seien keine Seltenheit mehr.
«Heute gehört es fast schon zum Alltag»
In den letzten zehn Jahren ist die Nachfrage laut Vunder deutlich gestiegen. Noch vor einigen Jahren habe eine feste Zahnspange bei Erwachsenen über 40 Jahren als Ausnahme gegolten. «Heute gehört es fast schon zum Alltag.»
Nau.ch hat mit einem in Zürich wohnhaften Mann Mitte 50 gesprochen, der sich vor wenigen Jahren eine Spange einsetzen liess.
20 Monate lang trug er den Gartenhag. Kostenpunkt: 15'000 Franken. «Ich habe alles aus meiner Tasche bezahlt», sagt er. Da das Thema für ihn sehr intim ist, möchte er nicht namentlich genannt werden.
«Hatte schon immer einen Überbiss»
Warum hat er so spät noch seine Zähne korrigieren lassen?
«Ich hatte schon immer einen Überbiss. Als ich 12 war, meinte mein damaliger Zahnarzt, eine Spange sei nicht nötig. Später ärgerte ich mich darüber.» Denn zum ästhetischen kam plötzlich auch ein medizinischer Grund hinzu.
Den Ausschlag gab seine Dentalhygienikerin.
Sie riet ihm mit über 50 noch zur Spange. «Denn der Kiefer verschiebt sich im Alter. Irgendwann würde ich meine Zähne nicht mehr richtig putzen können. Das würde zu Karies führen und dies wiederum führt zu gesundheitlichen Problemen.»
Hatte er Schmerzen? «Ein wenig, aber das hält man gut aus. Das Nachziehen des Drahtes beim Zahni fand ich gar nicht schlimm.»
Die jetzt geraden Zähne seien für ihn aber kein Status-Symbol. «Die Medizin war mir wichtiger.»
Sichtbare Brackets seien beliebt
Marju Vunder stellt fest, dass viele Erwachsene auf ein gesundes, ästhetisches Lächeln Wert legen. Den Wunsch nach geraden Zähnen wollten sie sich auch später im Leben noch erfüllen. «Hinzu kommt, dass gerade Zähne die Mundhygiene erleichtern und so auch der Zahnerhalt im Alter unterstützt wird.» Neben der Ästhetik spiele demnach auch die langfristige Zahngesundheit eine grosse Rolle.

Besonders seit der Pandemie bemerkt das Kieferorthopädie-Personal laut Vunder ein verstärktes Bewusstsein für Gesundheit und Ästhetik.
Gefragt sind sowohl unauffällige Schienen als auch klassische Zahnspangen. «Besonders beliebt sind dabei bukkale Brackets sowie linguale Brackets», sagt die Kieferorthopädin. Bei Brackets handelt es sich um kleine, meist rechteckige Plättchen aus Metall oder Keramik. Die bukkalen sind aussen sichtbar, die lingualen sind auf der Innenseite der Zähne befestigt.
«Statement oder sogar Schmuckstück»
Warum tun sich die späten Zahnspangenträgerinnen und -träger oft auch sichtbare Gartenhäge an? Einige ihrer Patienten möchten ihre sichtbare Zahnspange mittlerweile ganz bewusst zeigen, sagt Vunder. «Sie empfinden sie als eine Art Statement oder sogar als Schmuckstück.»

Andere Trägerinnen und Träger von Gartenhägen entscheiden sich aus praktischen Gründen für die sichtbare Variante. «Häufig spielt die Sorge eine Rolle, dass eine linguale Apparatur die Zunge beim Sprechen oder Essen stören könnte», sagt Vunder.
Zähneputzen sei jetzt einfacher
Der Mittfünfziger aus Zürich versuchte anfangs, seine Spange zu verstecken. «Irgendwann hatte ich das satt und redete einfach wieder ohne Hemmungen», sagt er.
Die Reaktionen seien ausnahmslos positiv gewesen. Am meisten Freude hat nun wohl seine Dentalhygienikerin. Der Zürcher sagt schmunzelnd: «Die Zähne zu reinigen, ist jetzt viel einfacher geworden.»
Zähne ziehen statt Spange
In den 1970er-Jahren erhielten nur Jugendliche mit einer schwere Stellungs- und Kieferanomalie und starkem psychosozialem Leiden eine Zahnspange. «Solche Behandlungen mit silbernen Bändern um jeden Zahn waren sehr aufwändig und teuer», sagt Andrea Renggli. Sie ist Mediensprecherin der Schweizerischen Zahnärzte-Gesellschaft (SSO). Diese Behandlungen hätten zudem nur wenige Spezialzahnärzte durchführen können. «Daher wurden zum Beispiel bei Zahnengstand oftmals einfach vier Zähne gezogen – mit mehr oder weniger gutem Ergebnis.»
Im Laufe der Zeit verbesserten sich die Brackets und Drähte. «Die Behandlung mit dem sogenannten Gartenhag wurde dadurch einfacher, weniger schmerzhaft und günstiger», sagt Renggli. Daher habe man breitere Gesellschaftsschichten erreicht. «Und auch die Ansprüche an eine perfekte Zahnstellung nahm zu.»
Längere Behandlung
Lässt man im Erwachsenenalter seine Zahnstellung korrigieren, ist Geduld gefragt. «Die Behandlung dauert im Durchschnitt etwas länger, da der Knochenstoffwechsel im Alter langsamer ist», sagt Kieferorthopädin Marju Vunder von Vunder Orthodontics in Zürich. Ein weiterer Nachteil sei, dass die Zahnbewegung in manchen Fällen eingeschränkter sei als bei Jugendlichen.