Im Tessin ist Wohnen billig – trotzdem will keiner hin
Wohnen in der Schweiz wird immer teurer – ausser im Tessin. In Chiasso etwa liegt die Durchschnittsmiete bei 1200 Franken. Aber viele Wohnungen stehen leer.

Das Wichtigste in Kürze
- Die Angebotsmieten sind im Tessin um 5,6 Prozent zurückgegangen.
- In Chiasso sind Wohnungen im Schnitt für 1200 Franken im Monat zu haben.
- Im Südkanton herrscht ein Überangebot – viele Junge ziehen weg.
Die Mieten klettern in der Schweiz immer weiter in die Höhe. Der neusten Analyse des Swiss Real Estate Institutes zufolge sind die Angebotsmieten landesweit um 2,4 Prozent gestiegen.
Im schweizweiten Durchschnitt beträgt der monatliche Mietzins einer Wohnung 1788 Franken – in Zürich sind es sogar rund 2400 Franken.
Für Personen, die auf der Suche nach günstigem Wohnraum sind, lohnt sich allerdings ein Blick in den Süden: Im Tessin sind die Angebotsmieten um 5,6 Prozent zurückgegangen. Die Durchschnittsmieten der ausgeschriebenen Wohnungen liegen bei 1685 Franken.
In Chiasso liegt der Durchschnitt der Angebotsmieten gar bei lediglich 1200 Franken. Peter Ilg, Leiter des Swiss Real Estate Institutes, erklärt gegenüber der «NZZ»: «Viele Leute denken, dass sie sich die Städte nicht mehr leisten können.»
Das Wohnen im Südkanton sei jedoch überraschend günstig. Einzig an beliebten Orten wie Ascona liegt die durchschnittliche monatliche Miete bei 2500 Franken.
Junge Erwachsene verlassen das Tessin
Trotz der tiefen Mieten im Tessin ist die Nachfrage nach Wohnungen allerdings gering. Das liegt an verschiedenen Faktoren.
Eine zentrale Rolle spielt die demografische Entwicklung: Viele junge Leute verlassen das Tessin, um in der Deutschschweiz oder der Romandie eine Ausbildung zu machen. Und bleiben dann dort wegen besserer Job-Aussichten.

Manuel Buchmann von Demografik, einem unabhängigen Kompetenzzentrum für Demografie, hält fest: «Bei den jungen Erwachsenen ist der Wanderungssaldo deutlich negativ.»
Ein weiteres Phänomen: «Jedes Jahr sterben im Tessin rund tausend Menschen mehr, als Kinder geboren werden», so Buchmann. «Dieser natürliche Rückgang wiegt sogar noch stärker als die Abwanderung.»
Bauboom trotz Abwanderung
Trotzdem wird im Südkanton weiter gebaut. Matthias Holzhey, Ökonom und Analyst bei der UBS, sagt: «Obwohl wir an verschiedenen Standorten im Tessin offensichtlich ein Überangebot verzeichnen, bleibt die Zahl der Baubewilligungen immer noch hoch.»
Die Folge: überdurchschnittlich hohe Leerstände. Die Leerwohnungsziffer liegt bei rund 1,9 Prozent.
Aber: «Viele Mietobjekte sind nicht besonders attraktiv», meint der Ökonom. Oft seien Wohnungen aus den 1960er und 1970er Jahren technisch und energetisch veraltet.

Ausserdem werden etwa rund um Lugano viele sehr grosse Wohnungen mit 200 Quadratmetern angeboten. Solche würden heute «kaum noch nachgefragt», so Holzhey.
Auch wirtschaftlich ist das Tessin nicht sonderlich attraktiv. «Die Löhne liegen niedriger als im Rest der Schweiz», erklärt der Ökonom.
Zudem gebe es nur ein sehr begrenztes Angebot an Arbeitsstellen. Und die Einkommenssteuern für berufstätige Privatpersonen liegen deutlich über dem Schweizer Durchschnitt.
Viele Ältere verkaufen Ferienimmobilien
Aber auch Pensionierte zieht es – entgegen der Klischees – nicht vermehrt ins Tessin.
Buchmann von Demografik erklärt: «Der Wanderungssaldo bei den über 65-Jährigen ist zwar leicht positiv, doch die Umzugsbereitschaft sinkt im Alter generell stark.»
Tatsächlich würden viele ältere Menschen ihre Ferienimmobilien eher verkaufen und zurück in die Deutschschweiz ziehen.
Auch der Gotthard-Basistunnel konnte nicht für mehr Zuzüger sorgen. Das Tessin ist von Zürich oder Zug aus seit 2016 schneller erreichbar. Das scheinen die Deutschschweizer aber eher für Wochenendaufenthalte zu nutzen.