Gleich mehrere Skandale im religiösen Umfeld erschüttern die Schweiz. Für einen Experten ist klar: Es ist eine Frage derzeit, bis es erneut zu Missbrauch kommt.
Kirche
Die Christliche Schule Linth der Evangelischen Gemeinde Hof Oberkirch. Hier soll es bis 2002 zu sexuellen Übergriffen und Gewalt gekommen sein. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Ein Bericht hat über 1000 Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche aufgedeckt.
  • Auch gegen die freikirchliche Schule von Jürg Läderach stehen Vorwürfe im Raum.
  • Aktiv wird vielerorts nicht dagegen gekämpft: «Der nächste Skandal ist vorprogrammiert.»
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Eine weitere ehemalige Schülerin erhebt Vorwürfe gegen die Schule von Ex-Chocolatier Jürg Läderach: Kelly G. sagt, dass sie dort in den 90er-Jahren als Zwölfjährige von einem Lehrer vergewaltigt wurde. «Das penetrante Parfüm, das er hatte, rieche ich heute noch», erzählt sie SRF.

Als sie den Vorfall meldete, wurde ihr nicht geglaubt, sagt sie. Stattdessen hiess es, sie werde in «ewiger Verdammnis schmoren» für ihre «Lüge». Danach wurde sie von der Schule geworfen – ihren Eltern habe man gesagt, sie sei vom Teufel besessen. Auch Jürg Läderach habe davon gewusst, so G.

Läderach
Kelly G. sagt, sie wurde als Zwölfjährige in der Christlichen Schule Linth, die damals «Domino Servite» hiess, vergewaltigt.
Schule
Als sie den Vorfall meldete, wurde ihr nicht geglaubt, sagt sie. Stattdessen hiess es, sie werde in «ewiger Verdammnis schmoren» für ihre «Lüge».
Läderach
Bereits vor wenigen Wochen wurden Vorwürfe gegen die Schule von Ex-Chocolatier Jürg Läderach erhoben.
Kirche
Kurz vorher schlug ein Bericht über Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche hohe Wellen.
Kirche
Er deckte über 1000 Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche auf.
Missbrauch
Ähnliche Fälle sind auch heute noch möglich, ist Religionsexperte Georg Otto Schmid überzeugt.
Relinfo
«In vielen religiösen Organisationen geschieht in Sachen Missbrauchsbekämpfung zu wenig oder gar nichts», sagt er.
Missbrauch
«So ist der nächste Missbrauchsskandal vorprogrammiert.»

Ermutigt dazu, ihre Geschichte öffentlich zu teilen, hat sie die SRF-Doku, in der ihre Ex-Mitschülerinnen und -Mitschüler von Prügelstrafen erzählten. Auch in dem Film war die Rede von sexuellem Missbrauch.

Sexueller Missbrauch im religiösen Umfeld ist nichts Neues. Erst vor wenigen Wochen deckte ein Bericht über 1000 Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche auf.

Manche glauben, «Gottverbundenheit» verhindert Missbrauch

Dass alle Kirchen aus solchen Skandalen gelernt haben, bezweifelt Religionsexperte Georg Otto Schmid. Für ihn ist klar: «In vielen religiösen Organisationen geschieht in Sachen Missbrauchsbekämpfung zu wenig oder gar nichts. So ist der nächste Missbrauchsskandal vorprogrammiert.»

Dafür sieht er mehrere Gründe. «Manche glauben, dass ihre hohe Spiritualität, ihre betonte Ethik oder ihre tiefe Gottverbundenheit Missbrauch verhindern würden.»

Andere würden zögern, Täter in ihren Reihen bei der Polizei zu verzeigen. «Sie wollen, wie früher die katholische Kirche, alles intern regeln.» Und: «Manche Gemeinschaften nichtwestlicher Herkunft halten das ganze Missbrauchsthema für ein westliches Problem, das mit ihnen nichts zu tun hat.»

Haben Sie die Doku über die Schule von Ex-Chocolatier Läderach gesehen?

Schmid ist überzeugt: «Sexuellen Missbrauch wird es leider solange geben, wie Menschen direkt miteinander zu tun haben.» Er appelliert an alle Formen von Gemeinschaften, Massnahmen zu ergreifen. Wichtig seien dabei zwei Dinge – Prävention und Hilfsangebote. So könnten Täter abgeschreckt und überführt werden.

«Taten liegen weitestgehend in Vergangenheit»

Kriminologe Dirk Baier relativiert. Sein Forschungsteam hat kürzlich Personen dazu befragt, ob sie im letzten Jahr sexuelle Gewalt erfahren hätten. 0,3 Prozent bejahten – doch niemand gab an, dass die Täterschaft eine Lehrperson oder ähnliches gewesen wäre.

«Am häufigsten wurden (ehemalige) Partner genannt.» Deshalb könne davon ausgegangen werden, dass sexuelle Gewalt derzeit in der Familie und im Bekanntenkreis geschieht. «Gewalt oder Missbrauch wird insofern kaum von Vertretern der Kirchen verübt. Die entsprechenden Taten liegen weitestgehend in der Vergangenheit.»

Die katholische Kirche hat nach Veröffentlichung des Berichts Massnahmen angekündigt. Für die Opfer der kirchlichen Privatschule wurde eine Anlaufstelle geschaffen. Jürg Läderach streitet ab, von den Vorwürfen Kenntnis gehabt zu haben.

Die Christliche Schule Linth gibt an, Betroffene heute aktiv zu unterstützen. Zudem sei eine unabhängige Meldestelle für Betroffene eingerichtet worden. «Es wurden Instrumente eingeführt, die eine Wiederholung unmöglich machen sollen», sagt Sprecher Markus Baumgartner. Die Kirche wie die Schule hätten sich in den Führungsgremien von allen Personen getrennt, die als Täter identifiziert wurden.

Das Schokoladenunternehmen wird heute von Jürg Läderachs Sohn Johannes geführt. Dieser betonte nach der SRF-Doku, dass sich die Vorwürfe nicht gegen die aktuelle Chocolatier-Generation richten.

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