Gen Z «verlernt» Handschrift – «wird Folgen haben»
Laptop, Handy, ChatGPT: Es gibt heutzutage Mittel und Wege, die Handschrift zu ersetzen. Experten warnen aber vor einem kompletten Aus von Stift und Papier.

Das Wichtigste in Kürze
- Junge Menschen haben mehr Mühe, leserlich von Hand zu schreiben.
- Weniger dramatisch sieht es beim Unterschreiben aus – weil das auch nicht so wichtig ist.
- Experten erklären, weshalb man die Handschrift nicht ganz ausser Acht lassen sollte.
Die Digitalisierung schreitet voran. Immer mehr wird beispielsweise am Laptop oder am Handy geschrieben. Stift und Papier geraten zunehmend in eine Nebenrolle.
Zuletzt gab es mehrere Warnungen, dass die Generation Z dadurch wichtige Kompetenzen verlieren könnte. In der Türkei macht man sich Sorgen wegen zunehmend unleserlicher Handschriften und nicht strukturierten Sätzen. In den USA werden sogar politische Folgen moniert. Fehlerhafte Unterschriften sorgten beispielsweise für eine hohe Zahl abgelehnter Briefwahlstimmen.

Sind unleserliche Handschriften oder Unterschriften auch bei uns ein Problem?
Student musste sogar schon eigene Antworten vorlesen
Erziehungswissenschaftlerin Margrit Stamm beobachtet das Phänomen der schlechter werdenden Handschrift ebenfalls. Gegenüber Nau.ch sagt die emeritierte Professorin der Universität Freiburg: «Die Leserlichkeit ist in den letzten Jahren schwieriger geworden.»

«Handschriften zu lesen, ist mittlerweile eine Herausforderung», so Stamm. Ganz neu sei das Phänomen aber nicht – es trete bereits seit mindestens zehn bis 15 Jahren auf.
Die Expertin erzählt von einem Beispiel, das sie selbst erlebt hat. Und zwar musste ein Student einmal zu ihr ins Büro, um seine Antworten in einer Arbeit vorzulesen. «Seine handschriftlich geschriebene Arbeit war schlicht nicht lesbar», so Stamm. Das sei aber natürlich ein krasser Einzelfall, der nicht repräsentativ sei.
«An der Schule wird weniger Wert auf die Handschrift gelegt»
Generationenforscher Rüdiger Maas bestätigt gegenüber Nau.ch ebenfalls, dass es das Problem der schlechter werdenden Handschrift gibt. Er nennt mehrere Gründe dafür.
«Erstens wird an der Schule weniger Wert auf die Handschrift gelegt», so der Gen-Z-Experte. Zweitens müsse man wegen der technischen Entwicklung heutzutage schlicht nicht mehr oft von Hand schreiben.

Der dritte Grund, den Maas nennt: «Wir werden immer ungeduldiger.» Das gelte nicht nur für die Kinder und Jugendlichen selbst. Auch Eltern und Schulen haben oft nicht mehr die Geduld, der neuen Generation die Schönschrift beizubringen.
Das Element Zeit ist auch aus der Sicht von Stamm ein Problem. «Viele Lehrpersonen sagen, dass sie schlicht nicht die Zeit dafür haben, den Schulkindern die Handschrift beizubringen.» Der Lehrplan sei sonst schon anforderungsreich.
Dazu komme der Druck der Eltern, die oftmals der Meinung seien, dass es die Handschrift gar nicht mehr brauche.
Unterschrift ist nicht das zentrale Problem der Handschrift-Frage
Im Bereich der Unterschriften haben die Handschrift-Probleme aber keine dramatischen Folgen. «Wie eine Unterschrift aussieht, hat noch nie jemanden interessiert», sagt Generationenforscher Maas. Gerade bei längeren oder komplizierteren Namen sei die Leserlichkeit der Unterschrift ohnehin kaum gegeben.
Ähnlich sieht es auch Erziehungswissenschaftlerin Stamm. «Die Unterschrift ist beim Thema Handschrift nicht das zentrale Problem», hält sie fest. Sie beobachte in ihrem Umfeld ebenfalls, dass die Namen manchmal nicht erkennbar seien. Konsequenzen hat das aber keine.
Leserlichkeit der Unterschrift bei Bundeskanzlei und Post unwichtig
Wer eine Initiative oder ein Referendum unterschreiben will, muss sich tatsächlich keine Sorgen machen. Urs Bruderer, stellvertretender Leiter Kommunikation bei der Bundeskanzlei, sagt: «Leserlichkeit wird von einer Unterschrift nicht verlangt.»
Lediglich Name und Vorname müssen handschriftlich und leserlich auf die Unterschriftenliste geschrieben werden. Für die Signatur gilt derweil nur: Stimmberechtigte müssen ihre Unterschrift eigenhändig beifügen. «Die Unterschrift muss also von der stimmberechtigten Person selber und von Hand angebracht werden», so Bruderer.
Ähnlich äussert sich auch die Post, Mediensprecher Patrick Stöpper erklärt gegenüber Nau.ch: «Bei der Sendungszustellung am Domizil liegen der Post keine Referenzunterschriften der Empfängerinnen und Empfänger der Sendungen vor. Daher kann und muss die Ähnlichkeit der Signaturen gar nicht überprüft werden.»
Die Post setzt seit 2017 ohnehin auf eine digitale Unterschrift. Dieses Vorgehen habe sich «gut etabliert», sowohl bei den Mitarbeitenden als auch bei den Kundinnen und Kunden. Sowohl physische als auch digitale Signaturen werden bei der Post elektronisch archiviert. «Die elektronische Unterschrift ist daher eindeutig praktischer», hält Stöpper fest.
Gedächtnis würde unter Handschrift-Aus leiden
Man könnte jetzt argumentieren, dass die Handschrift in der heutigen Zeit allgemein überflüssig ist. Schliesslich gibt es ja immer weniger Situationen, wo das Schreiben von Hand nötig ist.
Generationenforscher Maas warnt allerdings: «Diese Entwicklung wird Folgen haben. Das kann uns noch auf die Füsse fallen.»

Denn hinter der Handschrift steckt längst nicht nur das schöne Schreiben. Beispielsweise könnte das Gedächtnis darunter leiden, wenn man nicht mehr von Hand schreibt. «Wir prägen uns die Wörter nicht mehr ein», erklärt Maas.
Dazu komme, dass man die Tendenz hat, einfach alles zu googeln, anstatt sich vertieft mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Für den Experten ist klar: «Wir werden oberflächlicher im Umgang mit Informationen.»
An Veränderungen anpassen – aber Handschrift beibehalten
«Man sollte die Handschrift nicht auf der Seite lassen», ist auch Margrit Stamm überzeugt. Mehrere Studien würden dafür sprechen, weiterhin von Hand zu schreiben. «Studierende, die von Hand Notizen machen, erfassen den Stoff besser», so eine Erkenntnis.
Nur wenn es darum gehe, Fakten wiederzugeben, hätten diejenigen mit dem Laptop besser abgeschnitten.

«Wir werden sehen, wie sich das Ganze weiterentwickelt», blickt Stamm in die Zukunft. Sie wolle angesichts der aktuellen Entwicklung nicht zu pessimistisch sein, betont sie. Ihr Fazit: «Wir müssen uns an die Veränderungen anpassen. Aber ich plädiere dafür, der Handschrift nach wie vor Bedeutung zuzumessen.»
Die Diskussion um elektronische Geräte dürfte in jedem Fall so schnell nicht abflachen. Zuletzt sorgte in der Schweiz beispielsweise der Kanton Nidwalden für Aufsehen, indem er ein Handyverbot an Schulen verhängt hat.