Gewalt

Femizid in Egerkingen SO: Woher kommt die Gewalt gegen Frauen?

Dominik Neuhaus
Dominik Neuhaus

Thal-Gäu,

Die Schweiz beklagt zur Jahresmitte bereits so viele Femizide wie im gesamten letzten Jahr. Gewalt gegen Frauen scheint zuzunehmen – wieso?

Femizid Epagny FR
Menschen Gedenken den Opfern eines Femizids in Epagny FR im April 2025. - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • In Egerkingen SO beging ein 41-jähriger Mann einen mutmasslichen Femizid.
  • Die Zahl der in der Schweiz getöteten Frauen liegt im Vergleich zum Vorjahr höher.
  • Fachpersonen sehen unter anderem patriarchale Männlichkeitsnormen als Ursache.

Ein mutmasslicher Femizid erschüttert die Gemeinde Egerkingen SO und sorgt weit über die Gemeindegrenzen hinaus für Fassungslosigkeit.

Am Dienstag ermordet im Solothurner Dorf ein 41-jähriger Schweizer seine Ex-Frau in ihrer Wohnung. Wenig später tötet der Mann auch ihre Eltern, die im Nachbarort Hägendorf wohnhaft sind.

Nach der Tat will der Mann den gemeinsamen 8-jährigen Sohn von ihm und seiner Ex-Frau von der Schule abholen. Drei Lehrpersonen weigern sich jedoch, das Kind seinem Vater zu übergeben, berichten die Tamedia-Zeitungen. Kurz darauf nimmt die Polizei den mutmasslichen Mörder fest.

Gegen den 41-Jährigen läuft eine Untersuchung wegen mehrfacher vorsätzlicher Tötung. Die zuständige Staatsanwaltschaft hat Untersuchungshaft beantragt.

Die genauen Hintergründe zur Tat sind noch unklar. Medienberichten zufolge tobte zwischen den beiden Elternteilen des 8-jährigen Jungen ein Sorgerechtsstreit.

Der Mann soll seiner Ex-Frau in der Vergangenheit bereits mit dem Tod gedroht haben. Anzeichen, die auf einen Femizid hindeuten. Also an einen Mord an einer Frau, weil sie eine Frau ist.

Auffällig viele Femizide in diesem Jahr

Für Nora Markwalder, Strafrechtsprofessorin und Kriminologin an der Universität St. Gallen, entspricht der Fall Egerkingen einem Muster. Gegenüber Tamedia sagt sie: «Bei Femiziden gibt es fast immer eine Vorgeschichte wie eine Trennung oder Scheidung.»

Und auch die Zahlen zeigen: Es ist bei weitem kein Einzelfall.

Das Projekt «Stop Femizid» verzeichnet für dieses Jahr in der Schweiz bereits 18 Femizide. «Stop Femizid» zählt Medienberichte und Polizeimeldungen über Tötungen von Frauen. Denn: Femizide werden in der Schweiz statistisch nicht separat erhoben – ein entsprechender Tatbestand existiert nicht.

Hast du in deinem Umfeld schon einmal einen Femizid erlebt?

Die Zahl ist hoch. Zum Vergleich: Im ganzen letzten Jahr wurden in der Schweiz 18 Frauen durch häusliche Gewalt getötet. Dies zeigt die polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2024.

Nun gibt es zur Jahreshälfte bereits gleich viele Opfer zu beklagen. Es lässt sich also eine Häufung von Femiziden feststellen.

Zahlen im langfristigen Trend stabil

Entspricht dies einer langfristigen Entwicklung? «Der Trend über die letzten 16 Jahre zeigt eher eine Stabilität der Zahlen als eine Zunahme.» Dies erläutert der Kriminologe Dirk Baier von der ZHAW Winterthur gegenüber Nau.ch.

«Im Durchschnitt wurden im Zeitraum zwischen 2009 und 2024 25 weibliche Personen pro Jahr Opfer eines vollendeten Tötungsdeliktes. Die Zahlen schwanken aber zwischen 17 und 32 pro Jahr», so Baier.

Nora Markwalder, fügt hinzu: «Im Vergleich zum Ausland gibt es in der Schweiz generell wenig Tötungsdelikte, da fallen Schwankungen schnell ins Gewicht.»

Mit Berücksichtigung der Entwicklung der Bevölkerungszahlen sei die Zahl langfristig gar leicht rückläufig, sagt Dirk Baier. Denn: «In den letzten 16 Jahren ist die weibliche Bevölkerung in der Schweiz um 15,2 Prozent gestiegen.»

Das Jahr 2025 sei zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschliessend zu beurteilen, betont der Experte. Es sei unklar, wie viele Opfer es bis Ende des Jahres gebe und ob tatsächlich ein neuer Höchststand erreicht werde.

Kriminologe: «18 getötete Frauen sind 18 Frauen zu viel»

Wie der Trend verlaufe, sei aber letztlich egal, bekräftigt Dirk Baier. «18 getötete Frauen sind 18 Frauen zu viel – wir müssen das Thema sehr ernst nehmen.»

Man müsse dabei vor allem die Ursachen häuslicher Gewaltdelikte adressieren, findet der Kriminologe. «Hier geht es unter anderem um patriarchale Männlichkeitsnormen und darum, Partnerschaften und Familien in schwierigen, stressvollen Situationen zu unterstützen.» Dies könnten laut Baier beispielsweise Trennungsprozesse sein.

Die hohe Zahl der Femizide in diesem Jahr sei «erschreckend». Dies erklärt die Beratungsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft (BIF) gegenüber Tamedia. «Was wir sicher sehen, ist ein Backlash bezüglich Frauenverachtung. Patriarchale Vorstellungen von Männlichkeit finden vermehrt Zustimmung.»

Innenministerin Baume-Schneider ruft zu ausserordentlicher Sitzung

Das Thema beschäftigt auch die Politik. Innenministerin Elisabeth Baume-Schneider lädt nächste Woche zu einer ausserordentlichen Sitzung. Die SP-Bundesrätin will mit Vertretern von Bund, Kantonen und Gemeinden über Massnahmen zur Femizidprävention beraten.

Elisabeth Baume-Schneider
Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider über Massnahmen zur Prävention von Femiziden beraten. - keystone

Bereits jetzt zeigt sich aber, dass die Umsetzung von Massnahmen stockend verläuft. Für dieses Jahr war die Lancierung einer nationalen Hotline geplant, an die sich Opfer von häuslicher Gewalt wenden können.

Dies sollte in Form einer dreistelligen Telefonnummer erfolgen. Ähnliche Angebote gibt es bereits, beispielsweise die dargebotene Hand für suizidgefährdete Personen. Aufgrund von Verzögerungen musste die Einführung der Hotline jedoch auf Mai 2026 verschoben werden.

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