Fast jeden zweiten Tag wird in der Schweiz ein Kind entführt
Kinder, die aus oder in die Schweiz entführt werden, sind beinahe an der Tagesordnung. Trotz internationalem Übereinkommen verzögert sich die Rückführung.

Das Wichtigste in Kürze
- Das Bundesamt für Justiz zählte letztes Jahr 154 Fälle von Kindesentführungen.
- Trotz einem Übereinkommen mehrerer Länder stocken die Verfahren regelmässig.
- Bis zu sechs Monate dauert es, bis die Rückführung eines Kindes in die Schweiz gelingt.
Eltern streiten und trennen sich. Darunter leidet oft das Kind – und das Leiden kann bis hin zur Entführung führen.
Die Zahlen sind eindrücklich: 154 Fälle von internationalen Kindesentführungen registrierte das Bundesamt für Justiz im vergangenen Jahr. Rund zwei Drittel davon betrafen Entführungen aus der Schweiz in ein anderes Land.
Trotz juristischer Regeln verläuft die Rückführung selten unkompliziert. Die Verfahren stocken, verzögern sich – und scheitern letztendlich im Einzelfall.
Grund dafür dürften nicht etwa fehlende Gesetze sein, sondern vielmehr das Problem mit der Umsetzung. Aber auch der fragile Schutz des Kindeswohls, sobald familiäre Konflikte eskalieren.
Gerichte, Jugendämter und internationale Behörden arbeiten zu langsam, zu komplex, wie die «NZZ» schreibt.
Rückführung dauert fast ein halbes Jahr
Eigentlich sind die Regeln eindeutig. 1980 verpflichteten sich über 100 Staaten mit dem Haager Übereinkommen dazu, entführte Kinder innert sechs Wochen in ihr Herkunftsland zurückzubringen.
Zuständig für das Sorgerecht bleibt immer das Heimatland des Kindes. Was sich in der Theorie gefestigt hat, gelingt in der Praxis selten. Rund vier bis sechs Monate dauern die Rückführungen in der Schweiz, gemäss Bundesamt für Justiz.
Zusätzliche Abklärungen verschärfen den engen Zeitplan, der notwendig ist, um eine Entfremdung der Kinder abzuwenden. Insbesondere bei Kleinkindern ist das Risiko gross: Sie können sich bereits nach wenigen Wochen entfremden.
Und: Auch die Zusammenarbeit mit dem Zweitland erschwert die Rückführung zusätzlich. Wie die Zeitung schreibt, führen andere Regeln, andere Rechtsmittelmöglichkeiten sowie andere Instanzen zu Verzögerungen.
Fälle steigen seit Pandemie wieder
Über die genauen Gründe für die steigenden Zahlen von Kindesentführungen lässt sich spekulieren. Nach einem Rückgang während der Pandemie steigen die Fälle wieder.
Die statistische Grundlage fehlt schlichtweg. Oberflächlich ist von «Einzelfällen» die Rede –obwohl Kindesentführung längst keine Ausnahmeerscheinung mehr ist.
Im Vergleich mit der Schweiz zeigen sich andere Länder bei der Rückführung der Kinder deutlich effizienter. Deutschland, England und Norwegen verfügen über spezialisierte Gerichte und straffere Fristen. Die Verfahrensdauer verkürzt sich merklich.
Belastung durch binationale Beziehungen
Besonders betroffen sind Familien mit zwei Staatsangehörigkeiten. Geht eine Beziehung in die Brüche, nimmt ein Elternteil das Kind häufig in das eigene Herkunftsland mit. In rund 75 Prozent handelt es sich um die Mutter.
Hat sie das alleinige Sorgerecht, ist ein Umzug zulässig. Bei geteilter Sorge braucht es jedoch die Zustimmung des anderen Elternteils. Fehlt diese, gilt der Wegzug faktisch als Kindesentführung.
In vielen Staaten fehlen ergänzende Abkommen. So bleibt der Schweiz einzig die Möglichkeit, mit Interpol zusammenzuarbeiten oder diplomatischen Druck auszuüben.
Dass dieses Rechtsmittel jedoch oftmals im Sand verläuft, zeigen zahlreiche Beispiele.













