Eineinhalbjährige bedingte Freiheitsstrafe für Priester im Tessin
Ein Priester ist in Lugano wegen mehrfacher sexueller Nötigung und Missbrauchs von Minderjährigen zu 18 Monaten bedingt verurteilt.

Das Tessiner Kantonsstrafgericht in Lugano hat am Donnerstag einen Priester der mehrfachen sexuellen Nötigung sowie sexueller Handlungen mit Minderjährigen schuldig gesprochen. Der Mann wurde zu einer bedingten 18-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt.
Das Gericht verhängte ausserdem ein lebenslanges Verbot, berufliche oder ausserberufliche Tätigkeiten mit Kontakt zu Minderjährigen auszuüben. Zudem muss der 56-Jährige eine ambulante Therapie absolvieren.
Die Freiheitsstrafe ist bedingt bei einer Probezeit von zwei Jahren. Der Priester werde sofort aus der Haft entlassen, erklärte der vorsitzende Richter. Er befand sich seit vergangenem November im vorzeitigen Strafvollzug, zuvor war er während drei Monaten in Untersuchungshaft gewesen.
Gericht differenziert zwischen Minderjährigen und jungen Erwachsenen
Der Priester habe «aufrichtige Reue» gezeigt, sagte der vorsitzende Richter bei der Urteilseröffnung. Zudem sprach das Gericht den Mann von zahlreichen Anklagepunkten frei. Wer diesen Gerichtssaal öfters besuche, wisse, dass hier schon weitaus schwerwiegendere Fälle verhandelt worden seien, resümierte der Richter.
Klar sei die Sachlage im Falle der vier Minderjährigen, mit denen der 56-Jährige sexuelle Handlungen begangen habe. Bei Kindern würde die Definition einer sexuellen Handlung strenger ausgelegt.
Bei den jungen Erwachsenen sei es schwieriger, eindeutige Fälle von sexueller Nötigung zu eruieren, fuhr der Richter fort. Der Priester habe die jungen Männer über der Kleidung berührt, drei der auf der Anklageschrift aufgeführten jungen Männer hätten von den Berührungen nicht einmal etwas gemerkt, führte der Richter aus.
Das Gericht sei nicht dazu da, über «moralische Vergehen» zu urteilen, sondern behandle nur, was objektiv beurteilt werden könne. Die Massagen mit den jungen Erwachsenen taxierte der Richter als «mehrdeutige Handlungen» und nicht als eindeutige sexuelle Handlungen – dies, obwohl der Priester mit seinem Ellbogen und Unterarm mehrfach über die Genitalien einzelner Opfer gefahren war.
Eindeutiger Missbrauch bei engem Opfer
Im Falle jenes jungen Mannes, mit dem der Priester eine enge Beziehung gehabt habe, seien die Handlungen aber klar als «sexuell» zu taxieren. Hier stimmten auch die Aussagen beider Seiten überein, fuhr der Richter fort. Der junge Mann habe durch die Berührungen des Priesters auch ejakuliert und habe danach keine weiteren «Massagen» mehr gewollt. Er war es auch, der den Priester letztendlich angezeigt hatte.
Die Forderung der Staatsanwaltschaft nach einer fünfeinhalbjährigen Freiheitsstrafe bezeichnete der Richter als «völlig überzogen». Die Tessiner Staatsanwältin argumentierte hingegen, der 56-Jährige habe «in vollem Bewusstsein» gehandelt. Er habe seine Opfer manipuliert, indem er ihnen «Entspannungstechniken» angeboten habe. Bei den Verhören habe er seine Taten kleingeredet.
Priester verharmlost eigenes Verhalten vor Gericht
Während der Befragung am Donnerstagmorgen hatte der Priester, der innerhalb der Diözese Lugano für die seelsorgerische Betreuung und Begleitung von Jugendlichen zuständig und zudem Lehrer an verschiedenen Mittelschulen im Tessin war, sehr ruhig gewirkt. Die Fragen des Richters beantwortete er äusserst überlegt und fast schon überhöflich. Es schien, als wolle er vor allem seine eigene Position erklären und seine Taten zwischen den Zeilen kleinreden.
Die jungen Männer hätten sich für die entspannenden Brustmassagen die Hosen ausgezogen, weil es «bequemer» gewesen sei. Und: In den «meisten Fällen» sei es bei einer Massage von Brust und Bauch geblieben, nur in «wenigen Fällen» sei er mit seinem Ellbogen den jungen Männern über die Genitalien gefahren, sagte der Mann seelenruhig.
Obwohl er rückblickend sein Handeln kritisch bewertete, zeigte er sich fast emotionslos und schien nicht wirklich nachempfinden zu können, was er bei seinen jungen Opfern, die ihm als Lehrer und Seelsorger vertraut hatten, ausgelöst hatte.
Die Plädoyers von Staatsanwaltschaft, Privatklägerschaft und Verteidigung schien er regungslos über sich ergehen zu lassen. Er hielt permanent die Augen geschlossen und schien an einem anderen Ort zu sein.
Volle Verantwortung übernommen
Erst bei seinem Schlusswort drückte der Mann Reue aus und lobte sogar den Mut seines einstigen Schützlings, der sich an die Justiz gewandt hatte. Dies habe ihm geholfen, den «unermesslichen Schmerz» zu verstehen, den er in dessen Seele ausgelöst habe, sagte der Priester.
«Ich habe mich selber verraten.» Er nehme die volle Verantwortung auf sich. «Ich habe nie aufgehört, zu lieben – wenn auch auf falsche Weise», schloss der 56-Jährige.