Vor 2,5 Jahren nahm sich Céline Pfister (†13) aus Spreitenbach AG wegen Cyber-Mobbing das Leben. Jetzt kommt der Fall erstmals vor Gericht.
Nadya und Candid Pfister geben sich seit dem Tod ihrer Tochter gegenseitig Halt. - Nau.ch
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Das Wichtigste in Kürze

  • Céline Pfister (†13) aus Spreitenbach AG nahm sich im Sommer 2017 das Leben.
  • Das Mädchen wurde zuvor aufs Schlimmste im Internet gemobbt.
  • Ihre Eltern wünschen sich strengere Strafen und eine Volksabstimmung zu Cyber-Mobbing.

Der Fall schockiert bis heute: Am 28. August 2017 nahm sich die Schülerin Céline (†13) aus Spreitenbach AG das Leben. Als ihre Mutter am Nachmittag von der Arbeit nach Hause kam, fand sie ihre Tochter tot auf. Die Schülerin wurde zuvor monatelang aufs Schlimmste übers Internet gemobbt.

«Wir hatten ein inniges Verhältnis», sagt Mutter Nadya Pfister (51). «Doch mit was sie dann im Internet konfrontiert war, konnte Céline uns aus Scham nicht sagen.» Céline war das einzige Kind von Nadya und Candid Pfister (50).

Perfides Doppelspiel

Eine fiese Intrige führte zur Eskalation. Céline verliebte sich in einen damals 15-jährigen Jungen aus Dietikon ZH. Dieser war zuvor mit einer früheren Kollegin (damals 16) von ihr zusammen gewesen. Die Ex-Freundin wurde eifersüchtig. Der Junge begann ein perfides Doppelspiel.

Er verlangte Bilder von ihr. «yk (you know) how it works», schrieb er. Céline schickte ihm ein Foto aus ihrem Kinderzimmer. Sie sass in Shorts und T-Shirt auf ihrem Bett und machte ein Selfie in einer freizügigen Pose. Sie war verliebt.

Cybermobbing freund
Céline Pfister (†13) war von zwei Jugendlichen, darunter ihr Ex-Freund, das Opfer von Cybermobbing. - Facebook

Der Jugendliche schickte das Foto seiner Ex-Freundin weiter. Diese wurde wütend und drohte Céline per Handy: «jez ish dis lebe verbi ich mach der dis lebe so chabbut.» Und weiter: «ich brich der din hals» und «wür dich eigehändig umbringe also pass uf was du machsh.»

Dann teilte sie das Bild von Céline auf Snapchat.

Das war zwei Wochen, bevor sich Céline das Leben nahm. «Ganz Spreitenbach konnte sehen, wie sie leicht bekleidet auf dem Bett sass», sagt Célines Mutter. «Das hat sie gebrochen.»

Bilder von erigiertem Penis

Der Junge schickte Céline laut Strafbefehl via seinem Handy auch rund 20 Fotos seines erigierten Penis. Er setzte Céline unter Druck, ihm weitere Fotos von ihr zu schicken – sonst würde er seine Ex mit weiterem Bildmaterial beliefern: «hf (heb frässi) ich shik ah ........ imfall.»

Dutzende Jugendliche, die sich in der realen Welt teilweise noch nie begegnet waren, heizten den Konflikt auf Social-Media-Plattformen an.

grab céline
Das Grab von Céline Pfister auf dem Friedhof in Spreitenbach AG. - Nau.ch

Am zweitletzten Tag in Célines Leben fand die Badenfahrt statt, ein Volksfest. Der Streit verlagerte sich vom Internet auf die Strasse. Céline wurde von ihrer Ex-Kollegin mit Sprüchen über ihre Affäre vor einer Gruppe blossgestellt.

Arbeitseinsatz auf der Staatsanwaltschaft

Die beiden Mobber kassierten milde Strafen. Die Jugendstaatsanwaltschaft Dietikon kam im Februar 2019 zum Schluss, dass der Suizid von Céline nicht auf das Handeln der beiden Jugendlichen zurückgeführt werden kann. Beide Fälle wurden getrennt behandelt.

Der Jugendliche wurde wegen Nötigung, seine Ex-Freundin wegen versuchter Drohung und Beschimpfung sanktioniert. Die Mobberin durfte ihre Strafe mit einem zehntägigen Arbeitseinsatz im Büro der Jugendstaatsanwaltschaft abbüssen.

Richtern fehlt der Mut

«Wir sind auf jeden Fall von der Justiz enttäuscht. Es gab für uns keine Gerechtigkeit», sagen die Eltern von Céline. «Den Richtern fehlt der Mut, unseren Fall als Präzendenzfall anzuschauen.»

Die Eltern von Céline wünschen sich eine Volksabstimmung, damit Cyber-Mobbing auch in der Schweiz ein Straftatbestand wird. - Nau.ch

Die Eltern stören sich daran, dass die junge Frau nur wegen «versuchter Drohung» verurteilt wurde. «Man sagte, unsere Tochter sei nicht in Angst und Schrecken versetzt worden», so Candid Pfister.

«Céline hat aber nur gegen aussen besonnen reagiert. Sie wollte nach aussen hin perfekt sein. Sie wollte nicht zeigen, dass sie ein Opfer ist. Unsere Tochter hat aber ganz sicher Angst vor dem Mädchen gehabt.»

Mobberin machte einfach weiter

Die Eltern sind auch wütend, dass die bereits vorbestrafte Mobberin nach Célines Tod einfach weitermachte. Die Jugendliche sendete aus der Psychiatrie Drohvideos an eine Freundin von Céline.

Das Verfahren wurde eingestellt, weil die Freundin nur die Mobberin anzeigte und nicht auch das zweite Mädchen, das auf dem Drohvideo zu sehen ist.

Cyber-Mobbing soll Gesetzesartikel werden

Jetzt kommt der Fall morgen Mittwoch erstmals vor Gericht. Die Eltern von Céline haben Einsprache gegen den Strafbefehl des heute 17-jährigen Jugendlichen erhoben. «Er sollte zumindest wegen sexueller Nötigung verurteilt werden», sagt Nadya Pfister.

«Der Täter muss härter bestraft werden. Insbesondere im Wiederholungsfall. Heute haben solche Mobber im Internet eine riesige Spielwiese, die das Gesetz nicht beim Namen ahndet.»

Die Eltern wollen, dass Cybermobbing ein eigener Straftatbestand wird. Im Gegensatz zu Österreich kennt die Schweiz keinen solchen Gesetzesartikel.

«Jugendliche müssen sich schützen können», sagt Nadya Pfister. «Mobbing muss spürbare Konsequenzen haben. Die Menschenwürde muss vor der Meinungsfreiheit stehen.»

Österreich hat schon reagiert

Wer in Österreich andere mit Cyber-Mobbing fortgesetzt belästigt, kann mit bis zu einem Jahr Gefängnis bestraft werden. Hat die Tat den Selbstmord oder den Selbstmordversuch des Opfers zur Folge, ist die Strafe höher, nämlich drei Jahre.

«Heute kann man ein Kind in den sozialen Medien in den Tod mobben und es passiert nichts», sagte die Eltern von Céline. Sie wünschen sich eine Volksabstimmung.

«Als das Jugendstrafrecht geschrieben wurde, gab es Cyber-Mobbing noch nicht», sagen sie. «Der Straftatbestand Nötigung, Beschimpfung und Bedrohung in unserem Gesetz ist nicht konkret genug. Das beeindruckt die Jungen nicht.»

Unter dem Hashtag #Célinegoesaroundtheworld posten Menschen auf der ganzen Welt das Bild von Céline Pfister. - Facebook

Nach dem Tod von Céline gaben den Eltern Dutzende von Freundinnen und Freunden ihrer Tochter Halt. «Zwei bis drei Wochen lang waren täglich bis zu 60 Jugendliche bei uns zuhause. Sie und die Familie waren für uns die allerbeste Unterstützung. Sie trugen uns, wir haben sie getragen», sagt Candid Pfister.

«Wenn das Opfer das eigene Kind ist, kann man das nicht beschreiben. Wir waren wie Zombies.» Auch jetzt geben sich die Eltern von Céline jeden Tag gegenseitig Halt. «Und diese Jungen sind bis heute an unserer Seite.»

Célines Bild geht um die Welt

Célines Vater ist in den Sozialen Medien aktiv, um auf das Schicksal seiner Tochter und die Gefahren von Cyber-Mobbing aufmerksam zu machen.

Unter dem Hashtag #Célinegoesaroundtheworld posten Menschen rund um den Globus das Bild von Céline. «Unsere Tochter ist so um die ganze Welt gereist, bis nach Japan und nach Kuba», sagt Nadya Pfister. «Das ist so schön und hält bis heute an.»

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