Nach einer Party in Grenchen SO mussten Hunderte in Quarantäne, weil eine mit dem Coronavirus infizierte Frau in den Ausgang ging. Nun wird sie angeprangert.
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In mehreren Clubs ist es zu Ansteckungen mit dem Coronavirus gekommen. (Symbolbild) - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Eine Corona-Infizierte wird öffentlich angeprangert.
  • Sie ging trotz bestätigter Ansteckung in Grenchen SO in den Ausgang.
  • Ein Soziologe verurteilt scharf, wie die junge Frau nun blossgestellt wird.

Die Geschichten sorgten vergangene Woche für Empörung: In Zürich steckte ein junger Mann bei einem sogenannten «Superspreader-Event» Dutzende mit dem Coronavirus an. In den Tagen darauf kamen weitere Angaben zu dem Vorfall ans Licht: So wurde über das Alter des Mannes berichtet und darüber, wo er und seine Freunde überall im Ausgang waren.

Weil eine Corona-positive Frau an eine Party ging, mussten kurz darauf 280 Menschen in Grenchen SO in Quarantäne. Eine grosse Schweizer Boulevardzeitung titelte zuletzt: «Wegen ihr mussten 280 Leute in Quarantäne».

Dazu zeigte sie ein Foto der jungen Frau, das mit einem schwarzen Balken über den Augen unkenntlich gemacht wurde. Auch ein Name wurde genannt – dieser wurde aber geändert.

Das Verhalten der beiden Corona-Ignoranten macht wütend. Die Kommentarspalten unter Artikeln zum Thema sprechen Bände – die beiden jungen Leute werden heftig angegriffen. Kein Wunder also, werden allmählich Stimmen laut, die die öffentliche Anprangerung von Infizierten kritisieren.

SP-Wermuth verurteilt Anprangerung wegen Coronavirus

Der Aargauer SP-Nationalrat Cédric Wermuth etwa zeigt sich empört über die Blossstellung der Grenchner Club-Gängerin. Auf Twitter bezeichnet er den entsprechenden Artikel als «richtig, richtig gefährlich» und sagt: «Wir haben nicht wochenlang um eine App gestritten, die die Persönlichkeit schützt, damit ihr jetzt alles zerstört.»

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SP-Nationalrat Cédric Wermuth hält die Blossstellung von Corona-Infizierten für «richtig, richtig gefährlich». - Keystone

Und er ist nicht allein. Auch Ueli Mäder, Soziologe an der Universität Basel, findet es problematisch, Coronavirus-Ignoranten öffentlich blosszustellen. «Die Information, dass wegen einer einzelnen Person viele andere in Quarantäne gehen müssen, ist wichtig.» Wird sie sachlich kommuniziert, spreche sie uns schliesslich alle an.

Werde sie aber personifiziert und dramatisiert, dann würden wir auf «die bösen anderen» zeigen, so Mäder. «Eine unbekannte Frau öffentlich abzulichten und anzuprangern, ist ethisch unhaltbar und lenkt vom Problem ab.»

Soziologe: «Aufklärung nützt mehr als Abschreckung»

Anders verhalte es sich bei Personen, die bereits im Rampenlicht stehen, erklärt der Soziologe. «Sie lassen sich direkter auf ihre Verantwortung ansprechen.»

Mäder gibt allerdings zu: «Ich habe mich auch schon über einen übergriffigen Gefängnis-Angestellten geärgert und ihn öffentlich so dargestellt, dass er identifizierbar war. Das würde ich heute nicht mehr tun. Und mich damit begnügen, die Mechanismen zu erhellen, die hinter diesem Verhalten stecken.»

Ueli Mäder
Der Basler Soziologe Ueli Mäder kritisiert die Anprangerung von mit dem Coronavirus Infizierten. - Keystone

Doch kann eine öffentliche Anprangerung nicht auch zur Abschreckung dienen? Nein, findet der Soziologie-Professor. «Aufklärung nützt mehr als Abschreckung – Abschreckung ist meistens kontraproduktiv.» Sie könne nur kurzfristig eine Person dazu bewegen, etwas zu unterlassen.

Was ist relevant, was Blossstellung?

Mäder sagt: «Wir kommen aber gesellschaftlich weiter, wenn wir uns an einem humanen Menschenbild orientieren. Und Menschen dabei unterstützen, sich sozial zu verhalten, weil sie ein gutes Leben führen wollen.» Das sei eine positive Motivation, die weiter als Abschreckung oder Belohnung führe.

Doch wann ist eine Nachricht über eine mit dem Coronavirus infizierte Person öffentlichkeitsrelevant, wann ist sie nur noch eine Hetzerei? «Wichtig ist, wie die Information daher kommt. Es genügt wohl zu sagen, dass es Personen gibt, die ihre Verantwortung ungenügend wahrnehmen.»

Aus der Sicht des Soziologen ist es aber sicher möglich, eine gefährdete Region anzusprechen. «Auch, um Menschen zu schützen und Gemeinden zu ermuntern, ihre kollektive Verantwortung wahrzunehmen.»

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