Intensivstationen und Ärzte kommen wegen des Coronavirus an ihre Grenzen. Eine Patienten-Triage ist wohl bald nicht mehr zu vermeiden. Mit gravierenden Folgen.
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Die Intensivstationen der Schweiz gelangen durch das Coronavirus ans Limit. So geht es auch den Ärzten. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Schweizer Intensivbetten sind durch Corona-Patienten überbelegt.
  • Ärzte müssen bald entscheiden, wer einen Platz bekommt und wer nicht.
  • Dies hat sowohl für die Fachleute, wie auch für die Patienten gravierende Folgen.

Es ist Anfang November und auf der Intensivstation im Spital ist nur noch ein einzelnes Bett frei. Patienten mit dem Coronavirus gibt es aber dutzende. Nun liegt es am Arzt. Er muss entscheiden, wer den Intensivplatz erhalten soll – wer die grösste Chance auf Genesung hat.

Für alle anderen gibt es nur noch die Hoffnung auf palliative Behandlung.

Entscheid über Leben und Tod

Der Arzt wird den Entscheid mittels Triage durchführen müssen. Dabei spielt das Alter des Patienten eine Rolle. Sind die Betten voll, so erhalten Menschen über 85 Jahre keine Intensivbehandlung mehr. So sahen es zumindest die Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) vom März vor.

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Coronavirus: Medizinisches Personal arbeitet auf der Intensivstation eines Schweizer Spitals. - dpa

Die Ethikkommission soll die entsprechenden Richtlinien nun überarbeiten. Am drohenden Engpass ändert sich damit nichts, sagt Jacqueline Frossard gegenüber Nau.ch. Sie ist Psychologin und Mitglied der Föderation der Schweizerischen Psychologinnen und Psychologen.

«Werden die Betten knapp, muss abgewogen werden. Ein gegeneinander Ausspielen kann nicht verhindert werden.» Folgen hat dies nicht nur für die Patienten, sondern auch für die Ärzteschaft.

«Es ist eine absolute Zumutung, dass ein behandelnder Arzt solche Entscheidungen fällen muss», so Frossard. Aus dem Entscheid über Leben und Tod resultiert eine grosse psychische Belastung.

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Jacqueline Frossard ist Mitglied der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen. - Keystone

«Unser Rechtssystem und der Reichtum unseres Landes sehen solche Entscheidungen nicht vor», sagt Frossard. «Die aktuelle Situation ist besonders belastend für die Ärztinnen und Ärzte. Ihr Ziel ist es, möglichst viele Leben zu retten.» Umso schwieriger sei es, solch folgenschwere Entscheidungen zu treffen.

Rechtfertigender Notstand wegen Coronavirus

Jacqueline Frossard sieht in diesem Bezug bereits in der Ausbildung noch Luft nach oben. «Schon im Studium müssten sich Studenten vermehrt mit dem Thema Sterben auseinandersetzen.»

Die Psychologin nennt klare Massnahmen, die getroffen werden müssen. «Klare Richtlinien helfen. Sie sind nicht rechtsbindend, aber hoch anerkannt.»

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Bei einer Triage wird oft über Leben und Tod der Covid-Patienten entschieden. - Keystone

«Vor Gericht gilt ein Triage-Entscheid als ‹rechtfertigender Notstand›. Solche Entscheidungen sollten in einem System wie dem unseren nicht getroffen werden. Geschieht das nun trotzdem, dann gilt das vor Gericht als rechtfertigender Notstand.» Am aller wichtigsten sei aber, wer die Triage durchführe.

«Dieser Entscheid sollte immer in einem Gremium getroffen werden. Dies wirkt auch dem inneren Konflikt der Ärzte entgegen», sagt Frossard. Ihr Vorschlag: Eine spitalinterne Ethikkommission, welche sich mit den Patientenakten beschäftigt und den definitiven Triage-Entscheid trifft.

Prävention rettet Leben, nicht die Triage wegen Coronavirus

In der Praxis ist solch ein Vorhaben wohl nur schwer realisierbar. Der Arbeitsaufwand wäre heroisch, das Personal müsste erst rekrutiert werden. Der Berufsverband der Schweizer Ärzteschaft (FMH) will auf Anfrage von Nau.ch auf diesen Vorschlag nicht eingehen.

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«Bei einer Triage ist es bereits zu spät», sagt FMH-Präsident Jürg Schlup. Wichtig sei es, die Massnahmen konsequent einzuhalten. - Keystone

Allerdings betont FMH-Präsident Jürg Schlup die Dringlichkeit der Prävention. «Wir müssen unter allen Umständen eine Situation verhindern, in der nicht mehr alle Patienten medizinisch versorgt werden können. Wir alle sollten unsere Bestrebungen lieber auf eine gute Prävention konzentrieren als auf eine gute Triage.»

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