Trotz 1,5 Jahren Suche findet ein Hausarzt in Bern keinen Nachfolger, die Praxis schliesst. Der Hausärzte-Mangel wird in den nächsten Jahren noch prekärer.
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Die Praxis Sonne in Riggisberg BE ist seit dem 15. Juli geschlossen. - Praxis Sonne

Das Wichtigste in Kürze

  • In der Schweiz gibt es viel zu wenige Hausärzte.
  • Ein Berner Hausarzt, der in Pension geht, suchte 18 Monate vergeblich einen Nachfolger.
  • Einer der Gründe für den Mangel: In Spitälern verdient man oftmals mehr Geld.
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«Dies ist nicht gewollt, wird aber leider eintreten. Trotz 18 Monaten intensiver Suche fand sich keine Nachfolgelösung. Die Praxis Sonne wird per 15. Juli schliessen.»

Der Berner Hausarzt Thomas Locher teilt seinen Patienten in einem Schreiben mit, dass sie sich einen neuen Hausarzt suchen müssen. Er habe bei der Nachfolger-Suche auf professionelle Unterstützung gesetzt. Alles ohne Erfolg – die Praxis im bernischen Riggisberg muss schliessen.

Der Hausärzte-Mangel spitzt sich in den letzten Jahren zu. Mit Ansage – und das sorgt beim Ärzteverband FMH für rote Köpfe.

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In der Schweiz fehlten gemäss Hausärzteverband im Jahr 2021 4700 Hausärzte – Tendenz steigend.
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Jeder pensionierte Hausarzt müsste mit 1,3 Ärzten ersetzt werden, so der Ärzteverband. Denn: Jüngere Ärzte wollen heute oft Teilzeit arbeiten.
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Einige junge Ärzte schreckt es ab, dass der Hausarzt-Beruf kaum mit einem Familienleben vereinbar ist, so der Hausärzteverband.

«Der Mangel an Hausärzten ist gravierend und trifft die ländlichen Regionen besonders stark», so Präsidentin Yvonne Gilli zu Nau.ch.

Der Hauptgrund: «In den letzten 20 Jahren wurden zu wenig Ärzte ausgebildet. Obwohl es bekannt war, dass die Babyboomer-Generation jetzt oder in den nächsten Jahren in Pension geht! Die Bevölkerung altert und wächst zudem.» Dass Patienten heutzutage viel schneller zum Arzt gingen, verschärfe das Problem.

Die FMH kritisiert: «Wir gehen davon aus, dass es mindestens eine Verdoppelung der Ausbildungsplätze brauchen wird. Doch statt mehr Studienplätze zu schaffen, wurden ausländische Ärzte mit Facharzt-Abschluss in die Schweiz geholt.»

Im Spital ist es «angenehmer»

Reto Wiesli vom Hausärzteverband sagt zu Nau.ch, dass Stand 2021 hierzulande 4700 (!) Hausärzte gefehlt hätten. Und das werde sich in den nächsten Jahren nicht ändern.

Im Gegenteil: «Der Mangel wird sich noch bis zum Jahr 2030 verschärfen.» Erst danach sei eine Trendwende absehbar.

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Erst ab 2030 zeichnet sich eine Trendwende beim Hausärzte-Mangel ab. - Hausärzteverband, zVg

Ein Grund, dass Hausärzte fehlen, sei auch das Geld. «Die Entlohnung ist im Vergleich zu Spezialisten wesentlich tiefer», so Wiesli.

Zudem: «Eine Anstellung im Spital ist oftmals angenehmer, für Freizeit, Familie und Verantwortung. Einzelpraxen finden kaum mehr Nachfolger, weil sie mit einem Familienleben kaum vereinbar sind.» Dabei sei genau das für die Jungen ein entscheidendes Kriterium.

Junge Ärzte wollen oft Teilzeit arbeiten

Gundekar Giebel von der Gesundheitsdirektion Bern nennt einen weiteren Grund: «Mehr und mehr Kollegen, insbesondere junge Ärzte, möchten die Praxis nicht alleine übernehmen, sondern schätzen Gemeinschaftspraxen.» Dort könnten sie sich austauschen und hätten eher die Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten.

Eine weitere Hürde: Die Kosten für den Aufbau einer eigenen Praxis sind wegen Infrastruktur, Labor und Geräten sehr hoch. «Manche jungen Ärzte, insbesondere wenn sie alleine sind und Teilzeit arbeiten wollen, erhalten keinen Kredit für die Finanzierung ihrer Praxis.»

Haben Sie einen Hausarzt?

Beim Bund ist das Hausarzt-Problem längst bekannt. Céline Reymond vom BAG sagt zu Nau.ch: «Trotz Erhöhung der Ausbildungskapazitäten in der Humanmedizin können lediglich 60 Prozent der Assistenzstellen mit inländisch ausgebildetem Personal besetzt werden.»

Es seien aber Massnahmen ergriffen worden – beispielsweise ein Sonderprogramm, das für mehr Masterabschlüsse in Humanmedizin sorgen soll.

Von 2017 bis 2020 wurden dafür 100 Millionen Franken investiert. Das soll sich bald auszahlen: «Ab 2025 können jährlich mindestens 1300 angehende Ärztinnen und Ärzte ausgebildet werden. 2016 waren es jährlich noch rund 850.»

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