«Wenn ich merke, dass ich nur halb im Leben stehe, ist das für mich unbefriedigend»

Bettina Gugger
Bettina Gugger

Bern,

Diesen Sommer inszeniert das Landschaftstheater Ballenberg «Der Geltstag» nach dem gleichnamigen Roman von Jeremias Gotthelf unter der Regie von Ueli Blum.

Anne Hodler spielt die «Eisi»
Anne Hodler spielt die «Eisi» in der Gotthelf-Inszenierung «Der Geltstag» auf dem Ballenberg. - zVg

BärnerBär: Anne Hodler, Sie spielen die Hauptfigur Eisi in der Gotthelf-Inszenierung «Der Geltstag» auf dem Ballenberg. Was verbinden Sie mit Jeremias Gotthelf?

Anne Hodler: Ich habe bereits als Kind die Filme «Uli der Knecht» und «Uli der Pächter» geschaut. «Die schwarze Spinne» lasen wir in der Schule. Ich habe diese Sprache wahnsinnig gern. Sie zaubert mir ein Grinsen aufs Zifferblatt. Gotthelf passt unglaublich gut zu den Häusern auf dem Ballenberg. Die Themen im Stück sind sehr aktuell, aus dem urtiefsten Menschlichen geholt.

BärnerBär: Was ist Ihre früheste Erinnerung an den Ballenberg?

Anne Hodler: Ich bin jetzt zum dritten Mal in einer grossen Produktion auf dem Ballenberg mit dabei, zum ersten Mal im Jahr 2000 bei «Die Käserei in der Vehfreude», das zweite Mal 2005 bei «Die Stickerin und der Fergger». «Der Geltstag» hätte bereits 2020 aufgeführt werden sollen. Aufgrund von Corona stellten wir dann etwas anderes auf die Beine. Die Häuser haben eine besondere Ausstrahlung, sie sind auch ein bisschen «gfürchig». Man spürt diese Zeit, in der auch Gotthelf angesiedelt ist. Die Inszenierung wäre eine andere, würde sie auf einer Theaterbühne mit Kulissen inszeniert.

Anne Hodler zwischen Hoffnung und drohendem Verlust.
Anne Hodler als Eisi in einer eindrücklichen Szene aus «Der Geltstag» – zwischen Hoffnung und drohendem Verlust. - Zvg

BärnerBär: Was ist Ihre Figur «Eisi» für eine Frau?

Anne Hodler: Sie ist lebendig, impulsiv, burschikos und steht im Leben. Sie hat auch eine gewisse Naivität, die sie übers Ziel hinausschiessen lässt. Eisi ist eine Frau in einer männergeprägten Welt, die sich behaupten muss. Sie versucht, ihre Stärke zu bewahren, und wird dann doch über den Tisch gezogen. Sie macht in diesen eineinhalb Stunden eine grosse Reise. Auf den Erfolg folgt die Niederlage: die Trauer, der Verlust, der Tod und am Schluss das grosse Ungewisse.

Es ist ein grosser Reiz, eine solche Figur zu spielen. Ich mag sie sehr. Die gewisse Naivität, mit Haut und Haaren im Leben zu stehen, hat etwas Lebensbejahendes. Ich frage mich manchmal, ob wir nicht eine Gesellschaft sind, die zu viel kalkuliert. Vielleicht sollten wir öfters den gesunden Menschenverstand walten lassen. Gotthelf zielt mit seiner Aussage auf die Menschheit als solche und ihren Umgang mit der Umwelt.

BärnerBär: Eisis Lebendigkeit steckt auch in Ihnen. Wie steht es um die Naivität?

Anne Hodler: Gewisse Leute würden sagen, dass ich die teilweise auch habe. Dafür schäme ich mich auch nicht. Ich bin auch ein Mensch, der sehr im Moment leben kann. Wenn ich auf dem Ballenberg bin, dann bin ich wirklich dort. Wenn ich merke, ich stehe nur halb im Leben, ist das für mich unbefriedigend. Auch in schwierigen Situationen probiere ich, in die Lebendigkeit zu gehen. Das macht es einfacher, gut durchzukommen. Ich hoffe natürlich, dass ich nicht so krass über den Zenit schiesse wie Eisi.

Persönlich

Anne Hodler wurde in Bern geboren, wo sie die Schauspielschule besuchte. Sie war 10 Jahre am Theater an der Effingerstrasse engagiert und gastierte u. a. am Theater am Hechtplatz, am Casino-Theater Winterthur und an der Winkelwiese in Zürich. Sie moderierte die News bei TeleBielingue und war festes Ensemble-Mitglied der Sketch-Show «Edelmais und Co.» vom Schweizer Fernsehen. Sie verkörpert Margrit Schneuwly in der Doku-Soap «Experiment Schneuwly», die sie auch mitkonzipierte. Als Sängerin tritt sie mit den Lombardis auf, die sich dem deutschen Liedgut à la Marlene Dietrich widmen. Zudem arbeitet Hodler als Kommunikationstrainerin. 

BärnerBär: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Laien?

Anne Hodler: Das werde ich oft gefragt. Ich habe vor allem in Freilichtproduktionen mit sogenannten «Laien» zusammengearbeitet. Für mich sind sie in ihrem Genre Profis. Sie haben teilweise bis zu 600 Vorstellungen in ihrem Leben gespielt. Manche spielen jeden Sommer 28 Vorstellungen.

Da gibt es freischaffende SchauspielerInnen, die weniger oft spielen. Die DarstellerInnen sind zum Teil wahnsinnig gut, da sind sehr charismatische Leute dabei. Sie werden ja auch gecastet. Für mich ist es ein Nachhausekommen, viele Leute kenne ich bereits aus dem Jahr 2000. Das ist sehr beglückend.

Gehst du gerne ins Theater?

BärnerBär: Was macht für Sie den Reiz einer Freilichtinszenierung aus?

Anne Hodler: Man ist Wind und Wetter ausgesetzt. Mit dem Wetter verändert sich auch das Licht. Ein glühender Sommertag im Juni bringt natürlich eine ganz andere Stimmung als eine Aufführung im August, wo es um 20.30 Uhr schon fast dunkel ist. Jetzt im Juli scheint fast noch die Sonne. Das sind riesige Unterschiede. Über eineinhalb Monate die Veränderungen zu spüren, ist schön.

BärnerBär: Wie ist Ueli Blum als Regisseur?

Anne Hodler: Ueli Blum passt auf den Ballenberg. Er ist ein sehr sinnlicher Regisseur, der empathisch ist und über eine unglaubliche Wachheit verfügt. Er hat klare Vorstellungen, was für mich als Schauspielerin sehr wichtig ist, denn es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man als Schauspielerin einen Regisseur hat, der keinen Plan hat, schliesslich sieht man sich selbst nicht.

Trotzdem gestaltete sich der Prozess als ein Miteinander – das machte es für mich sehr spannend. Ich durfte die Rolle mitgestalten und meine Ideen einbringen und hatte dennoch ein Gegenüber, das am Ende entscheidet, was das Richtige fürs Stück ist. Ich erlebe das als sehr inspirierende, schöne, prickelnde Arbeit, auch mit meinen MitspielerInnen, gerade auch mit meinem Bühnenpartner; er ist daneben noch Architekt und schöpft aus dem Vollen.

BärnerBär: Können Sie auch noch etwas über die Musik verraten?

Anne Hodler: Die Musik ist ein extremer Mehrwert. Mit Dejan Škundrić haben wir einen wunderbaren Akkordeonisten, der auch eine Metaebene bedient, die trägt. Die Musiker sind als Musiker an der Handlung beteiligt. Ausserdem singen wir auch.

Anne Hodler als Eisi bei der Arbeit in der «Gnepfi»
Anne Hodler als Eisi bei der Arbeit in der «Gnepfi» - Zvg

BärnerBär: Seit 2013 kennt man Sie und Matto Kämpf als biederes Ehepaar Schneuwly. Sie schöpfen da teilweise auch aus einem sehr urchigen Sprachkosmos. Werden sich die Schneuwlys auch mal Gotthelf vornehmen?

Anne Hodler: Bei den Proben zu «Schneuwlys machen ein Theater» hatte ich manchmal das Gefühl, grosses Theater zu spielen, wie jetzt auch auf dem Ballenberg. Gotthelf hat so viele währschafte Ausdrücke – wie ein üppiges «Buurezmorge». Es ist eine Sprache, die aus dem Vollen schöpft, das hat Hansjörg Schneuwly manchmal auch. Er kann die Dinge auch so blumig auf den Punkt bringen.

Ich sähe Schneuwlys in dieser Welt. Schneuwlys auf dem Ballenberg war auch mal eine Idee, in der Tracht, mit dem störrischen Stier oder den Schweinchen – oder Hansjörg als Gänsehirt. Das gäbe sicherlich das eine oder andere sehr schöne Bild.

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