Leiterin Frauenhaus Bern: «Es herrscht konstant akuter Platzmangel»

Yves Schott
Yves Schott

Bern,

Frauen, die von ihren Partnern gedemütigt und geschlagen werden. Ihnen begegnet Ines Bürge, Leiterin Frauenhaus Bern, jeden Tag. Das sagt sie im Interview.

Ines Bürge
Ines Bürge ist Leiterin des Frauenhauses Bern. - Dan Zaugg

BärnerBär: Ines Bürge, welche Art von Gewalt haben Frauen erlebt, die zu Ihnen kommen?

Ines Bürge: Das ist sehr unterschiedlich. Gemeinsam ist ihnen, dass sie, wie häufig auch ihre Kinder, von häuslicher Gewalt betroffen sind. Die Frauen werden aus ihrem sozialen sowie gesellschaftlichen Kontext gerissen und es kostet sie viel Mut, das Frauenhaus aufzusuchen.

Meist haben sie schon etliche Jahre an Gewalt erfahren, bis sie diesen Schritt wagen. Nicht selten sind sie verunsichert und hadern damit, ob sie denn wirklich das Richtige tun. Die meisten brauchen nach ihrer Ankunft im Frauenhaus einfach mal Ruhe, um sich vom Schrecken des Erlebten zu erholen.

BärnerBär: Sind die Frauen stets Opfer sowohl von körperlicher wie auch von psychischer Gewalt?

Bürge: Toxische Beziehungen beginnen erfahrungsgemäss mit psychischer Gewalt, danach folgt mitunter die physische. Weitere Formen von Gewalt sind Kontrolle oder ökologische Repressionen, dass Frauen also ihrer Freiheit beraubt und etwa gezwungen werden, zuhause zu bleiben und ihnen der Zugang zum gemeinsamen Geld verwehrt wird.

BärnerBär: Was ist mit sexualisierter Gewalt?

Bürge: Diese kommt von Seiten der Frauen oft erst zu einem späteren Zeitpunkt zur Sprache, ist aber vorhanden. Im Vordergrund stehen Tätlichkeiten bis hin zu schwerer Körperverletzung.

BärnerBär: Was ist die häufigste Gewaltform, die die Frauen erleben?

Bürge: Nebst der psychischen Gewalt Formen von physischer Gewalt: Schlagen, würgen, boxen oder verletzen mit Gegenständen.

BärnerBär: Welches sind die Faktoren, die Gewalt an Frauen begünstigen können?

Bürge: Zu einem der grössten Risikofaktoren zählen Suchtmittel, allen voran Alkohol, ausserdem stimulierende Drogen wie etwa Kokain, weil dadurch die Hemmschwelle sinkt.

Hinzuzuzählen sind Stress, Finanz- und Wohnprobleme, also alles Faktoren, welche das tägliche Leben betreffen.

BärnerBär: Wenn die Frauen bei Ihnen sind – was passiert dann?

Bürge: Dann läuft ziemlich schnell ziemlich viel, da wir ja auch eine Kriseninterventionsstation sind. Als anerkannte Opferhilfeberatungsstelle dürfen wir 35 Nächte lang Finanzen zur Unterstützung sprechen.

Innerhalb dieser Phase laufen juristische Abklärungen, konkret: die Vermittlung zu Anwältinnen und Anwälten, eine psychologische Begleitung, auch bei Kindern. Manchmal braucht es eine Anmeldung beim Sozialdienst, wenn die Frauen wirtschaftlich von ihrem Partner abhängig sind.

Frauenhaus Bern
Ein Raum im Frauenhaus Bern. - Dan Zaugg

Oder man trifft gesundheitliche Abklärungen oder begleitet zur Spurensicherung. Vor allem letztere muss sehr rasch erfolgen. Viel auf einmal für eine Frau in einer enorm schwierigen Situation.

BärnerBär: Wenn die Frauen Ihre Institution verlassen, kehren sie danach oft in ihr altes Umfeld zurück?

Bürge: Das passiert. Der grösste Teil geht jedoch in eine andere Wohnung oder eine andere Institution. Selten zieht der Mann aus der gemeinsamen Wohnung aus oder muss ausziehen.

BärnerBär: Weil das juristisch so entschieden wird?

Bürge: Ja. Oder der Täter sieht sein Verhalten selber ein und bricht den Kontakt ab. Grundsätzlich verlassen uns die Frauen erst, sofern ihre Gefährdung vorüber ist. Ist das innerhalb der erwähnten 35 Tage nicht der Fall, können wir beim Kanton eine Verlängerung beantragen.

BärnerBär: Was löst es in Ihnen persönlich aus, wenn eine Frau sich entscheidet, zu Ihrem gewalttätigen Partner zurückzukehren?

Bürge: Das müssen wir so akzeptieren. Tut sie es allerdings gegen unsere Empfehlung, muss sie ein entsprechendes Formular unterschreiben.

BärnerBär: Sie empfinden Ihren Job also nie als frustrierend?

Bürge: Was Frauen im Frauenhaus untereinander an Solidarität zeigen, ist eindrücklich. Sie unternehmen gemeinsam Dinge und unterstützen sich gegenseitig. Zu sehen, welche Veränderungen möglich sind, ist enorm motivierend. Nein, frustrierend ist unsere Arbeit nicht.

Info

Das Frauenhaus Bern schützt und begleitet seit 1980 volljährige Frauen und ihre Kinder, die von häuslicher, psychischer oder sexueller Gewalt betroffen sind. Es bietet sichere Unterkunft, Beratung und Unterstützung – vertraulich und rund um die Uhr. Bei Gefahr hilft die 24-Stunden-Hotline AppElle!: 031 533 03 03. frauenhaus-bern.ch.

BärnerBär: Ist das, was Sie tagtäglich miterleben, nur die Spitze des Eisbergs?

Bürge: Im Frauenhaus eindeutig, die Dunkelziffer ist riesig. Zudem herrscht bei uns konstant akuter Platzmangel und es gibt zu wenige Anschlusslösungen. Hinzu kommt im Raum Bern die angespannte Situation auf dem Wohnungsmarkt.

Wir befinden uns daher trotz zahlreicher engagierter Liegenschaftsverwaltungen oder betreuten Wohneinrichtungen wiederholt in einer Art Sackgasse.

BärnerBär: Sollte die Politik mehr tun?

Bürge: Sie ist definitiv gefragt. Nur: Wenn es darum geht, Angebote wie das unsrige auszubauen, wird schnell über die Finanzierung diskutiert.

Der Bund kann bloss Empfehlungen abgeben, umsetzen müssen jedoch die Kantone. Folglich sind wir auf die kantonalen Behörden angewiesen.

BärnerBär: Derzeit wird viel über Sicherheit und Zuwanderung debattiert, sozial-gesellschaftliche Aspekte rücken in den Hintergrund. Die geopolitische Lage spielt Ihnen gerade kaum in die Karten.

Bürge: Grundsätzlich spüre ich bei der Thematik häusliche Gewalt eine grosse Offenheit. Ich habe noch von niemandem gehört, dass es keine Frauenhäuser benötige.

BärnerBär: Sind Sie manchmal wütend auf Männer, da sie in den allermeisten Fällen die Täter sind?

Bürge: Sicher nicht grundsätzlich, es sind ja längst nicht alle so. Persönlich regt mich mehr auf, dass wir es nach wie vor nicht geschafft haben, gleiche Rechte für alle Menschen zu schaffen. Diese strukturelle Ungleichheit fördert Denkarten wie jene, wonach Frauen sich Männern zu unterwerfen hätten.

BärnerBär: In sozialen Medien wie beispielsweise TikTok wird solches Verhalten von einflussreichen Influencern mit zehntausenden Followern befeuert. Etliche junge Männer identifizieren sich damit.

Bürge: Ja, diese Influencer schaffen einen Nährboden für jene rückständigen Ideen, was insbesondere auch für queere Menschen ein mächtiges Problem darstellt. Eine schlimme Entwicklung. Immerhin wenden sich einige Junge mittlerweile von diesen Kanälen ab.

BärnerBär: Mitte November wurde die erste nationale Kampagne gegen sexualisierte Gewalt lanciert. Endlich, ist man geneigt zu sagen?

Bürge: Hoffentlich rüttelt die nationale Kampagne auf. Nun, gemäss aktuellen Statistiken nimmt die Zahl an Femiziden zu. 2025 ist diesbezüglich ein negativer Höhepunkt. Wir dürfen nicht aufhören, die Gesellschaft zu sensibilisieren.

BärnerBär: Manche sehen in der Zuwanderung einen Mitgrund für die steigende Zahl an Gewalt gegen Frauen.

Bürge: Es gibt Länder, in welchen das patriarchale System stärker ausgeprägt ist als in Mitteleuropa. Das kann zu Gewalt führen, die sich allerdings in allen Kulturen und sozialen Schichten zeigt.

Wichtig ist dabei zu wissen: Wird einer Schweizer Frau Gewalt angetan, verfügt sie über deutlich mehr Möglichkeiten, bei Freundinnen oder Familie Unterschlupf zu finden. Personen mit Migrationshintergrund haben es da deutlich schwerer.

Generell erleben sie in ihrer persönlichen Lebenslage mehr Stress, was Gewaltausübung begünstigen kann.

BärnerBär: Unsere Serie heisst «Adventsgespräche». Wie wird Weihachten im Frauenhaus gefeiert?

Bürge: Da wir probieren, den Frauen so viel Normalität wie möglich zu vermitteln, kommt schon hie und da eine Art Feststimmung auf.

BärnerBär: Wo fängt Gewalt eigentlich an?

Bürge: Meist entsteht sie sehr subtil. Ich würde sagen: Es beginnt, wenn sich ein Mensch unfrei in seinen Entscheidungen fühlt, weil der eigene Wille durch die andere Person eingeschränkt wird und der Respekt fehlt.

BärnerBär: Was empfehlen Sie dann?

Bürge: Das Gespräch suchen. Sich selber ernst nehmen und mit Vertrauenspersonen darüber reden. In einem nächsten Schritt kann man sich an eine Beratungsstelle wenden. Unsere Botschaft ist: Es ist vieles möglich, ihr seid nicht allein!

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