Viele Schweizer Medien berichteten, dass Handynutzung bei Jungen zu «Hörnern» am Hinterkopf führt. Doch echte Beweise dazu liefert die zitierte Studie nicht.
Solche fast 3 cm langen Knochenvorsprünge am Hinterkopf kommen laut einer Studie besonders häufig bei jungen Menschen vor. Bild: nature.com
Solche fast 3 cm langen Knochenvorsprünge am Hinterkopf kommen laut einer Studie besonders häufig bei jungen Menschen vor. Bild: nature.com - Community
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Das Wichtigste in Kürze

  • Letztes Jahr kam eine Studie zu dem Schluss: junge Menschen hatten ungewöhnlich oft Knochenauswüchse am Hinterkopf.
  • Diese kommen durch chronische Belastung, zum Beispiel durch häufiges Starren auf einen Bildschirm zustande.
  • Doch die Aussage, dass dieser Knochen etwas mit der Handynutzung Jugendlicher zu tun hat, ist reine Spekulation.

Diese Woche machten Berichte die Runde, Smartphone-Nutzung führe dazu, dass uns am Nacken Hörner wachsen. Abgesehen davon, dass wir solche Hörner wohl schon bemerkt hätten, sollte man diese Nachricht nicht einfach so schlucken. Denn die Studie, auf die sie sich bezieht, hat im Internet bereits viel Kritik auf sich gezogen: die Methoden seien mangelhaft und die Aussagen nicht durch Daten gestützt. Aber der Reihe nach.

Worum geht es?

Die Studie aus dem Jahr 2018 wurde von zwei Wissenschaftlern von der University of the Sunshine Coast in Queensland in Australien durchgeführt und war nach einem Bericht von BBC und Washington Post zu verspätetem Ruhm gekommen. Die Wissenschaftler untersuchten Röntgenaufnahmen des Nackenbereiches von 1200 Menschen, die sich bei einem Chiropraktiker untersuchen liessen. Dabei entdeckten sie einen vergrösserten Knochensporn, der sich an der Schädelbasis am Übergang zur Wirbelsäule befindet.

Diese vergrösserten Knochensporne beobachteten die Forschenden vermehrt bei jungen Menschen. 40 Prozent der Probanden zwischen 18 und 29 Jahren hatten solche Vergrösserungen, aber nur 31 Prozent der gesamten Probanden. «Das ist ungewöhnlich, weil man die Vergrösserung eher bei Älteren erwartet hätte, die chronischen Belastungen ausgesetzt sind», sagt Andreas Raabe, Direktor der Universitätsklinik für Neurochirurgie am Inselspital Bern zur Studie der australischen Kollegen. Denn der Knochensporn ist Ansatzpunkt für einen wichtigen Nackenmuskel, der unseren Kopf beim Nachvornebeugen hält. Halten wir den Kopf dauerhaft gesenkt – zum Beispiel beim Blick auf Smartphone-Bildschirme – zieht der Muskel am Knochen, worauf sich die Vergrösserungen bilden können.

Und hier ist das Problem

Die australischen Wissenschaftler hingegen spekulieren, dass die Knochenspornvergrösserungen damit zu tun haben, dass Kinder und Jugendliche viel Zeit mit Smartphone, Tablet und ähnlichen Geräten verbringen und deswegen den Kopf ständig geneigt haben. Und hier kommt die Kritik, zum Beispiel des Wissenschaftsreporters Nsikan Akpan auf Twitter: Die Forschenden haben die Smartphone-Nutzung ihrer Probanden gar nicht gemessen. Sie können also nicht sagen, woher die vergrösserten Knochenvorsprünge kommen.

Die Hypothese der Australier, der Knochenwuchs habe etwas mit der Smartphone-Nutzung zu tun, sei nicht ganz unlogisch, sagt Raabe vom Inselspital. «Der Knochen ist während der Wachstumsphase im Kindesalter noch weich und kann bei verstärktem Zug durch den Nackenmuskel leicht herauswachsen.» Aber: «Die Kritik ist berechtigt». Denn auch beim Bücherlesen oder beim Schreiben in der Schule schauen die Kinder ständig nach unten.

Noch ein Problem

Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass die Studie keine Aussagen für die Gesamtbevölkerung treffen kann. Denn die vermehrten Knochenvorsprünge wurden ja nur bei denjenigen Jugendlichen gefunden, die wegen ihrer Beschwerden überhaupt einen Chiropraktiker aufgesucht hatten. Das stimme zwar, sagt Raabe. «Aber die Studie hat ja die Jugendlichen nicht mit der Gesamtbevölkerung verglichen, sondern mit Vergleichsgruppen wie älteren Menschen, die ebenfalls Beschwerden hatten».

Und nun?

Die Washington Post hat ihren Artikel mittlerweile mit einem Hinweis versehen, dass ein Autor der Studie möglicherweise einen Interessenskonflikt haben könnte, da er Kissen zur Verbesserung der Haltung vertreibt.

Und nachdem weltweit Kritik an der Studie laut wurde, ist man auch bei Herausgeber «Scientific Reports» hellhörig geworden. Ein Sprecher wird auf dem Portal «PBS News Hour» zitiert: «Wir prüfen Fragen zu dieser Studie und werden gegebenenfalls Massnahmen ergreifen». Also: Die Aussage, dass uns wegen Smartphone-Nutzung Hörner wachsen ist, aller journalistischer Zuspitzung zum Trotz, sicherlich falsch. Ob die Studie wirklich starke methodische Mängel hat, wird die Überprüfung ergeben. Wir bei higgs bleiben dran.

Initiated by Gebert Rüf Stiftung

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