Abbas Galjamow war jahrelang als Redenschreiber von Wladimir Putin tätig. Heute lebt der Kreml-Insider im Exil – und plaudert aus dem Nähkästchen.
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«Vom Geschäftsleiter zum Extremisten?» – Kreml-Insider Abbas Galjamow erklärt, weshalb er glaubt, dass Wladimir Putin das Wasser bis zum Hals stehe. (Archivbild) - keystone

Das Wichtigste in Kürze

  • Ex-Putin-Vertrauter Abbas Galjamow kannte Wladimir Putin als umsichtigen Manager.
  • Jetzt ist ihm klar: So zeigt er sich nur, wenn er seine Autorität nicht in Gefahr sieht.
  • Die sei aber vor dem Ukraine-Krieg und anderen Militärkampagnen in Frage gestellt worden.
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Seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine wird viel über das Wesen von Wladimir Putin debattiert: Ist der Kremlführer geisteskrank, grössenwahnsinnig, oder einfach nur pragmatisch? Jetzt plaudert ein jahrelanger Begleiter des Kremlführers im Magazin «Newsweek» aus dem Nähkästchen – und zeichnet ein etwas anderes Bild.

Abbas Galjamow schrieb drei Jahre lang Reden für Putin. In dieser Zeit nahm er an zahlreichen Treffen teil – und lernte den Kremlführer kennen.

Der 51-Jährige ist der Ansicht, Putin wirkte stets rational, logisch und auf der Suche nach vernünftigen Entscheidungen. Er erinnerte Galjamow an einen «guten Manager, der die richtigen Fragen stellt und die richtigen Antworten erhält.»

«Vom Geschäftsleiter zum Extremisten?»

Nach Kriegsbeginn hatte er versucht, den scheinbaren Sinneswandel Putins zu verstehen: «Wie konnte es sein, dass jemand so normales sich in jemand so abnormales verwandeln konnte. Vom Geschäftsleiter zum Extremisten?»

Heute ist Galjamow überzeugt: Putin hat sich seither überhaupt nicht verändert. Er habe den Kremlführer nur nie in einer Situation erlebt, in der seine Autorität infrage stand.

Um seinen Punkt zu veranschaulichen, verweist er auf die militärischen Kampagnen Putins: 2008 in Georgien, 2014 die Besetzung der Krim und 2022 die Invasion der Ukraine. «Bevor er diese drei Operationen in Angriff nahm, sah er sich mit ernsthaften Anfechtungen seiner Autorität konfrontiert.»

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Ein Mann des Volkes? Galjamow glaubt dass Wladimir Putin den Krieg als Vorwand benutzte, um von innenpolitischen Problemen abzulenken – wie schon 2008 und 2014. (Symbolbild) - keystone

Wladimir Putin sei vom Naturell her weder expansionistisch noch abenteuerlustig. Doch er sei bereit, sämtliche Register zu ziehen, um das zu behalten, was seiner Meinung nach zu Recht ihm gehört: Seine Machtposition und die Liebe seines Volkes.

Wladimir Putin und die Heuchelei

Überdies glaube Wladimir Putin, alles sei erlaubt, wenn er es für notwendig hält. Doch dieser Ansatz beschränke sich auf den Kremlführer selbst und seine Entourage. Putin zeichne sich durch seine «herausragende Heuchelei» aus.

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Der Krieg in der Ukraine sei lediglich ein Mittel zum Zweck: Putin wolle damit von den innenpolitischen Problemen Russlands ablenken. (Archivbild)
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Denn Putin sei weder abenteuerlustig noch expansionistisch – aber bereit, alle Register zu ziehen um die Liebe seines Volkes zu gewinnen und die eigene Macht zu erhalten. (Symbolbild)
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Niemand innerhalb der Bürokratie hätte Putin darauf hinweisen können, dass die Ukraine seit der Annexion der Krim im Jahr 2014 zu einem ernstzunehmenden Gegner herangewachsen war. (Symbolbild)
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Deshalb werde Wladimir Putin bald kein anderer Ausweg mehr übrig bleiben, als zurückzutreten oder sein eigenes Leben zu riskieren, erklärt Galjamow. (Symbolbild)

Das Ergebnis: Weitverbreitete Korruption. «Das ganze System begann, seinen Gründer zu imitieren.»

Im Ukraine-Krieg sei Putin dann seiner eigenen Propaganda zum Opfer gefallen: «Er versuchte so sehr, die Ukraine als minderwertige Nation darzustellen. Dabei bemerkte er nicht: Er schuf einen Rahmen, in dem niemand in der herrschenden Bürokratie ihm die Wahrheit sagen konnte.»

Denn die Wahrheit wäre gewesen, dass die Ukraine einem Angriff standhalten kann. Hätte man das behauptet, hätte man aber Putins offizieller Version widersprochen.

Galjamow: Putin bleibt nur Rücktritt

Putin werde bald den einzigen Ausweg wählen, der ihm noch bleibe: «Die sorgfältige Auswahl eines Nachfolgers und sein eigener Rücktritt.»

Dies stelle die letzte Möglichkeit dar, wie er sich vor einer Revolution und einem anschliessenden Prozess retten könne. Denn: Wladimir Putins Herrschaft sei «archaisch» und basiere auf Angst vor Repressionen.

Glauben Sie, dass sich Putin noch lange an der Macht halten wird?

«In dieser archaischen Welt riskiert ein Herrscher weit mehr als nur seine Macht, wenn er seine Stärke nicht beweisen kann.»

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