Im Kiewer Vorort Hostomel werden rund 400 Bewohner vermisst. Die USA kündigt neue Sanktionen an, Butscha nur «die Spitze des Eisbergs»? Die Nacht im Überblick.
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Im Kiewer Vorort Hostomel ist der Verbleib von rund 400 Personen unklar. Die Behörden befürchten das Schlimmste. - Keystone
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Das Wichtigste in Kürze

  • Im Kiewer Vorort werden nach dem Rückzug der Russen rund 400 Bewohner vermisst.
  • Die USA hat wegen des Butscha-Massakers neue Sanktionen gegen Russland angekündigt.
  • In der Nacht gab es Explosionen in Lwiw im Westen und Dnipropetrowsk im Südosten.

Nach den 35 Tagen russischer Besatzung in dem Kiewer Vorort Hostomel werden nach ukrainischen Angaben rund 400 Bewohner vermisst. Das sagte der Chef der lokalen Militärverwaltung, Taras Dumenko, einem lokalen Radiosender, wie die Internetzeitung «Ukrajinska Prawda» in der Nacht zu Mittwoch berichtete. Behörden seien nun dabei, die Keller in dem Ort zu inspizieren. Es fehle etwa jede Spur von dem Ehemann und dem Sohn einer Ärztin aus dem Ort, die vor zwölf Tagen mitgenommen worden seien.

Es fehle etwa jede Spur von dem Ehemann und dem Sohn einer Ärztin aus dem Ort, die vor zwölf Tagen mitgenommen worden seien. Man könne etwa auch Leichen von Personen nicht finden, von denen man wisse, dass sie getötet worden seien, heisst es weiter. In Hostomel selbst seien nicht so viele Leichen gefunden wurden, aber etwas weiter entfernt von dem Ort, sagte Dumenko. Mehrere Bewohner von Hostomel seien auch in Butscha gefunden worden. Aufnahmen von Leichen aus Butscha, dem Nachbarort von Hostomel, hatten am Wochenende international für Entsetzen gesorgt.

Das nordwestlich der Hauptstadt Kiew gelegene Hostomel mit dem nahen Flugplatz war seit Beginn des Kriegs schwer umkämpft. Der Grossteil der ursprünglich 16 000 Einwohner floh. Vor wenigen Tagen haben ukrainische Truppen wieder die Kontrolle in Hostomel, wie auch in den Kiewer Vorstädten Butscha und Irpin übernommen.

Ukrainer fordern wegen Butscha neue Sanktionen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert wegen der Kriegsgräuel von Butscha noch härtere Sanktionen des Westens gegen Russland. Diese müssten der Schwere der «Kriegsverbrechen» angemessen sein, sagte Selenskyj in der Nacht zum Mittwoch.

Aus Sicht der US-Regierung sind die Gräueltaten von Butscha womöglich nur «die Spitze des Eisbergs». In Gebieten in der Ukraine, zu denen es noch keinen Zugang gebe, hätten russische Truppen «wahrscheinlich auch Gräueltaten begangen», sagte Regierungssprecherin Jen Psaki.

Weisses Haus Joe Biden
Jen Psaki ist die Sprecherin des Weissen Hauses. - dpa-infocom GmbH

Der französische Präsident Emmanuel Macron sagte nach einem Gespräch mit dem ukrainischen Staatsoberhaupt Selenskyj Unterstützung für die Aufklärung der Gräueltaten zu, unter anderem in Form einer Sonderzahlung an den Internationalen Strafgerichtshof.

Wieder Explosionen in Lwiw

Selenskyj sagte einer in der Nacht verbreiteten Videobotschaft, die ukrainischen Streitkräfte hielten die meisten Gebiete, in die Russland versucht habe vorzudringen. Am schwierigsten sei die Lage im Donbass und im Gebiet Charkiw im Osten des Landes.

Russland sei zudem dabei, mehr Truppen für eine neue Offensive in die Ukraine zu schicken. Ukrainische Medien berichteten in der Nacht über Explosionen in den Gebieten Lwiw (Lemberg) im Westen und Dnipropetrowsk im Südosten des Landes. Informationen über Opfer oder Schäden gab es aber vorerst nicht.

3800 Menschen aus umkämpften Gebieten gerettet

Am Dienstag war es nach Angaben aus Kiew gelungen, 3800 Menschen aus umkämpften Gebieten zu retten, darunter rund 2200 Menschen aus der grösstenteils zerstörten Stadt Mariupol und dem nahen Berdjansk. Das russische Verteidigungsministerium meldete laut Agentur Tass, binnen 24 Stunden seien mehr als 18'600 Menschen aus «gefährlichen Bezirken» der Ukraine, der Region Luhansk und Donezk gerettet worden. Zugleich kündigte das Verteidigungsministerium weitere Gefechte um Mariupol an, da die Ukraine Aufforderungen zum Abzug ignoriere.

Lawrow warnt vor Sabotage der Verhandlungen mit Russland

Russlands Aussenminister Sergej Lawrow warnte die Ukraine vor einer Sabotage der Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew für eine Ende der Kämpfe. Russland werde sich nicht auf ein «Katz-und-Maus-Spiel» einlassen wie in den vergangenen Jahren bei dem Friedensplan für die Ostukraine, sagte Lawrow in einem von seinem Ministerium verbreiteten Video. Er meinte zudem, die Lage in Butscha werde benutzt, um von den Verhandlungen abzulenken.

Ukraine-Krieg
Russlands Aussenminister Sergej Lawrow hat die Ukraine bei den Friedensverhandlungen vor einem «Katz und Maus»-Spiel gewarnt. - POOL/AFP/Archiv

USA: Werden alle Investitionen in Russland verbieten

Der Westen bereitet wegen der Kriegsgräuel neue Strafmassnahmen gegen Moskau vor. US-Regierungssprecherin Psaki sprach nicht nur von einem Verbot aller neuen Investitionen in Russland. Zudem sollen bestehende Sanktionen gegen russische Banken und staatliche Unternehmen verschärft und weitere Personen aus der russischen Führung und deren Familienmitglieder mit Strafmassnahmen belegt werden.

Die Sanktionen würden in enger Abstimmung mit den Partnern in Europa und den übrigen Staaten der G7-Gruppe eingeführt. Die EU-Kommission hatte am Mittwoch erstmals auch einen Importstopp für russische Kohle vorgeschlagen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck signalisierte Zustimmung, obwohl sich Deutschland bisher aus Furcht vor wirtschaftlichen Turbulenzen gegen ein sofortiges Embargo gegen russische Energieimporte gewandt hatte.

Das wird heute wichtig

In Deutschland debattiert der Bundestag über die Gräueltaten von Butscha. Davor wird Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) vom Parlament befragt. Abends kommen die Aussenminister der 30 Nato-Staaten in Brüssel zusammen. Es geht unter anderem um eine Verstärkung der Nato-Ostflanke. Dafür warb bereits der US-Generalstabschef Mark Milley im US-Kongress. Russland lehnt dies kategorisch ab.

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