Türkei: Stichwahl im Griff der Nationalisten
In der Türkei finden am Sonntag die Präsidentenwahl statt. Bei den Stichwahlen sind die Nationalisten schon jetzt vorne und zählen als Gewinner.

Das Wichtigste in Kürze
- Nationalisten gewinnen an Einfluss bei der Stichwahl.
- DIe Präsidentschaftswahl in der Türkei hat persönliche Folgen für viele.
- Die Gezi-Proteste jähren sich zum zehnten Mal während der Stichwahl.
Um das Präsidentenamt ist Erdogan der Favorit bei der Stichwahl. Die Nationalisten sind schon jetzt Gewinner. Die Wahl ist für manche existenziell und ein Sieg Erdogans hätte ganz persönliche Folgen.
Für Cansu Yapici ist die Präsidentenwahl am Sonntag in der Türkei mehr als eine Abstimmung über Präsident Recep Tayyip Erdogan. Ob sie ihre 71-jährige Mutter noch einmal in Freiheit sehen kann oder nicht, wird dadurch entschieden.
Proteste in der Türkei gegen Erdogan vor zehn Jahren
Vor zehn Jahren war Cansus Mutter, Mücella Yapici, durch ihren Einsatz gegen die Bebauung des zentralen Gezi-Parks bekannt geworden. Damals weitete sich der Protest im Park zu landesweiten Demonstrationen gegen die Politik Erdogans, damals noch Ministerpräsident, aus. Die weitestgehenden friedlichen Proteste liess er dann brutal niederschlagen.
Heute sitzen zahlreiche Akteure von damals im Gefängnis, darunter Mücella Yapici. Sie wurde mit anderen zu 18 Jahren Haft in der Türkei verurteilt.

Am Sonntag tritt Erdogan gegen seinen Herausforderer Kemal Kilicdaroglu in der Stichwahl an. Und die Gezi-Proteste jähren sich zum zehnten Mal.
«Die Wahl ist für mich existenziell»
«Wenn wir in einem Land mit Rechtsstaatlichkeit leben würden, dann müssten wir gar nicht darüber reden, dass die Inhaftierung meiner Mutter etwas mit dem Wahlausgang zu tun hat.» Das sagt Cansu Yapici (35). Sie hoffe, dass bei einem Sieg Kilicdaroglus die Türkei wieder zu einem Rechtsstaat werde. «Die Wahl ist für mich existenziell.»
Allzu grosse Hoffnungen macht sich Yapici aber nicht mehr, denn Erdogan geht als Favorit ins Rennen. In der ersten Runde der Präsidentenwahl vor zwei Wochen verfehlte Erdogan die absolute Mehrheit nur knapp. Er erhielt rund 2,5 Millionen Stimmen mehr als sein Herausforderer Kilicdaroglu, trotz zahlreicher Probleme im Land wie etwa einer Währungskrise. Internationale Beobachter bewerten die Abstimmung als grundsätzlich frei, bemängelten aber einen unfairen Wahlkampf.
Die Opposition will den Unterschied nun aufholen – Beobachtern zufolge ein schwieriges Unterfangen. Der Drittplatzierte Rechtsaussenkandidat Sinan Ogan hat sich inzwischen hinter Erdogan gestellt. Inwieweit seine Wähler der Empfehlung folgen, ist unklar, Ogan hatte vor allem Protestwähler auf sich gezogen. Dass das Verhalten der nationalistischen Wähler den Wahlausgang bestimmt, gilt aber als ausgemacht.