Nach dem Rücktritt des österreichischen Vizekanzlers Strache und allen FPÖ-Ministern, fordert Ibiza-Gate wohl das nächste Opfer. Kanzler Kurz wird abgesetzt.
Regierungskrise Sebastian Kurz Österreich
Sebastian Kurz, Bundeskanzler von Österreich, hält eine Pressekonferenz nach einem Treffen mit den Spitzen der Parlamentsparteien. Nach der Video-Affäre um den zurückgetretenen Vizekanzler Strache (FPÖ) steht Österreich vor Neuwahlen. - dpa
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Das Wichtigste in Kürze

  • Das österreichische Parlament hat den Kanzler Sebastian Kurz abgesetzt.
  • Damit ist die Zeit der ÖVP-FPÖ-Koalitionsregierung beendet.
  • Auslöser für die Regierungskrise war das Ibiza-Video von Ex-Vizekanzler HC Strache.

Die Amtszeit von Österreichs Kanzler Sebastian Kurz ist – man muss es so sagen – kurz gewesen. Nach anderthalb Jahren muss der 32-Jährige seinen Posten bereits räumen. Der ÖVP-Shootingstar musste sich im Parlament heute zwei Misstrauensvoten stellen.

Kurz ist damit der kürzestdienende Bundeskanzler der Zweiten Republik. 525 Tage sind seit Kurz’ Amtsantritt am 18. Dezember 2017 vergangen. Es ist das erste Mal in der Geschichte der zweiten Republik in Österreich, dass ein Misstrauensvotum Erfolg hat.

Kurz: «Im September entscheidet das Volk»

Am Abend zeigte sich Kurz dann vor den Kameras – und zeigte sich kämpferisch. «Heute hat das Parlament entschieden. Aber im September entscheidet das Volk», sagt der abgesägte Kanzler im Hinblick auf die Wahlen.

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Sebastian Kurz tritt am Abend nach seinem Sturz vor seine Anhänger. - Screenshot/ORF

Dann dankt er seinen zahlreich anwesenden Anhängern und verspricht, dass der von ihm eingeschlagene Weg damit nicht vorbei seien. «Die Veränderungen in unserem Land werden mit dem heutigen Tag nicht enden.»

Nach dem Entscheid muss Bundespräsident Alexander Van der Bellen entscheiden. Er kann eine Übergangsregierung einsetzen oder eine Expertenregierung zusammenstellen, die aber vom Parlament bestätigt werden muss.

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Kurz ab. Der Bundeskanzler muss seinen Posten räumen, nachdem ihm das Parlament das Vertrauen entzogen hat. - dpa

Ticker: Heftige Kritik von allen Seiten

16.24: Schon morgen müsste der Bundeskanzler nach Brüssel reisen für ein informelles Treffen der Staatschefs. Das zeigt: Bundespräsident Van der Bellen muss jetzt sehr schnell handeln. Er wird nun über das weitere Vorgehen in der Wiener Hofburg entscheiden.

16.17: Die Regierungsvertreter verlassen sogleich den Plenarsaal. Sebastian Kurz wirkt gefasst. Bereits bei seiner Rede ging er davon aus, dass er heute abgesetzt werden würde. Für ihn ist es unverständlich, gleich die ganze Regierung aufzulösen, statt nur den Kanzler.

16.15: Das Resultat der Abstimmung im Hohen Haus ist eindeutig. Eine Mehrheit der Abgeordneten erhebt sich und nimmt damit das Misstrauensvotum an. Damit wird über den zweiten Antrag – ein Misstrauensvotum nur gegen Kanzler Kurz – nicht mehr abgestimmt.

15.40: Das Resultat der Abstimmung wird bereits 15.50 Uhr erwartet.

14.49: Nachfolgende Redner sind unter anderem Martin Engelberg (ÖVP), Daniela Holzinger-Vogtenhuber (JETZT), Irmgard Griss (NEOS), Norbert Hofer (FPÖ), SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim, Alfred Noll (JETZT), Peter Pilz (JETZT).

Der Tenor bei den Kritikern: Die Regierung muss die Verantwortung übernehmen für die Krise. Die 13 Millionen aus dem Wahlkampf seien inakzeptabel, wobei in Zukunft die Höhe der Unterstützung gedeckelt oder zumindest transparent gemacht werden soll. Und: Sebastian Kurz verfolge persönliche Machtspiele, wollte ein Wahlkampf-Kabinett aufbauen und er übernehme keine Verantwortung für die Wohlfahrt des Staates Österreichs.

Hingegen verteidigen die Unterstützer den Bundeskanzler Kurz. Sie streichen primär die Erfolge der Regierung Kurz heraus.

14.18: Dass die FPÖ Sebastian Kurz nun verurteilt, findet die NEOS-Politikerin unglaubwürdig. An Neuwahlen führe kein Weg vorbei. Nun brauche es eine Verwaltungsregierung.

«Es gibt eher zu viel Partei-Taktiererei», so Meinl-Reisinger. Es brauche ein enges Korsett für die künftige Regierung.

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Beate Meinl-Reisinger von den NEOS. - ORF

14.13: Beate Meinl-Reisinger von den NEOS will nun mehr Sachlichkeit. Politiker sollen freiwillig transparent sein und ihre Macht beschränken wollen. Die Äusserungen Straches seien nicht die ersten dieser Art in Österreich.

14.12: «Dieser Griff nach der Macht ist widerlich.» Auch Krickl wirft Kurz Machtgelüste vor. Kurz habe das Vertrauen der FPÖ gebrochen, indem er das Innenministerium wieder unter die Kontrolle der ÖVP bringen wollte – kurz hatte Krickl letzte Woche des Amtes enthoben.

14.09: «Sie sind getrieben worden von der alten ÖVP, die Sie eigentlich haben überwinden wollen. Und treiben kann man nur jemanden, der sich treiben lässt», sagt Kickl und erfährt aus dem Publikum grossen akustischen Widerspruch.

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Kickl sucht eine harsche Rhetorik, um aufzuzeigen, warum Sebastian Kurz ein schlechter Bundeskanzler sei. - ORF

14.02: Herbert Kickl von der FPÖ tritt ans Pult. Er will Stabilität und Sauberkeit. Kurz würde bedauern, dass er seien Macht nicht erhalten könne und die Krise sei ihm egal, unterstellt der abgesetzte Innenminister Herbert Kickl dem Kanzler.

13.56: Österreich brauche jetzt Stabilität, so Wöginger. Was SPÖ und FPÖ heute tun würden, entspreche genau dem Gegenteil.

Das verstehen auch die Wähler nicht, denn am Wochenende hätten die Österreicher den Kurs der ÖVP bei den EU-Wahlen gestärkt. 73 Prozent würden die Bundesregierung befürworten, drei Viertel seien gegen ein Misstrauensvotum. «Man findet niemanden in der Bevölkerung, der die Absetzung der Regierung goutiert.»

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Klubobmann August Wöginger. Kurz könnte ihn als ÖVP-Obmann ersetzen, wenn er nicht mehr Kanzler ist. - ORF

13.54: Es sei gegen das Volk, was hier geschieht, sagt der ÖVP-Abgeordnete August Wöginger. Kurz habe umsichtig und verantwortungsvoll gehandelt. «Dass wir im September Neuwahlen haben war kein Wunsch, sondern eine Notwendigkeit. Wer diese Bilder gesehen hat weiss, dass man nicht zur Tagesordnung übergehen kann.»

13.49: Der Bundeskanzler habe die Aufgabe in Krisenzeiten die Stabilität zu fördern. «Wer Vertrauen will, muss Verantwortung leben», wirft die SPÖ-Politikerin Kurz an den Kopf. Sie kritisiert, dass Kurz den Alleingang gesucht und den Dialog mit anderen Parteien vermieden zu haben.

Schliesslich reicht Rendi-Wagner den Misstrauensantrag gegen Bundeskanzler Kurz und die gesamte Regierung ein.

13.45: «Ihr Vorgehen ist ein zügelloser, verantwortungsloser Griff nach Macht. Aber die Macht geht vom Volk aus», sagt Rendi-Wagner, worauf tosendes Gelächter und Applaus losbricht.

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Rendi-Wagner tritt ans Pult. - ORF

13.42: Pamela Rendi-Wagner, Vorsitzende der SPÖ, ergreift das Wort. «Sie haben bisher viel gesagt, aber Sie haben noch nicht gesagt, dass Ihre Regierung gescheitert ist. Die Verantwortung tragen Sie», beginnt sie gleich.

13.39: «Was wichtig ist, ist eine handlungsfähige Regierung, Aufklärung aller Vorfälle und eine parteiübergreifende Zusammenarbeit. Sollte das Votum so ausgehen wie ich erwarte, so werden wir der zukünftigen Regierung keine Steine in den Weg legen.» Kurz wirkt gefasst und rechnet offenbar mit seiner Absetzung.

13.36: «Vor wenigen Tagen war das Ziel lediglich, mich als Bundeskanzler abzuwählen. Aber jetzt die ganze Regierung auflösen zu wollen, das ist etwas, das kann glaube ich niemand verstehen», sagt Sebastian Kurz. Was jetzt passiere sei reine Parteitaktik.

13.33: Die NEOS seien die einzigen gewesen, die sich der ÖVP gegenüber konstruktiv gegeben hätten, so Kurz.

13.30: Er wolle deshalb nicht auf alle Unterstellungen eingehen, sondern nochmals seine Sicht der Dinge schildern. Er bedankt sich bei den Leuten, die alles stehen und liegen liessen, um diese Krise im Sinne des Landes zu meistern.

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Sebastian Kurz spricht im Parlament. - ORF

13.28: Nun hat Sebastian Kurz Gelegenheit auf die Anschuldigungen des SPÖ-Chefs einzugehen. «Ich habe mir schon viel anhören und aushalten müssen, aber hier ist es mir schwergefallen. Ich habe aber entschieden, mich nicht provozieren zu lassen», beginnt Kurz sein Statement.

13.26: «Herr Kurz hat in zwei Jahren zwei Regierungen zerstört und den Ruf Österreichs im Ausland geschwächt. Heute müssen Sie Herr Kurz das erste Mal Fragen beantworten. Ich hoffe Sie tun das und halten nicht wieder eine Wahlkampfrede.»

13.21: Leichtfried fährt mit seinem Angriff auf Kurz fort. «Kurz war bei jeder zweiten Sitzung nicht da. Die Opposition wird bestenfalls über Beschlüsse informiert, von Einbindung ist keine Rede. Stattdessen wurde alle Energie in den Alleingang investiert.»

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Sebastian Kurz hört sich die Kritik an seiner Amtsführung stoisch an. - ORF

13.16: «Die Regierung ist gescheitert. Herr Kurz, Sie tragen die volle Verantwortung», sagt Leichtfried.

13.11: Woher hat die ÖVP die 13 Millionen Euro her, für die Finanzierung des Wahlkampfes, fragt Leichtfried den Kanzler Kurz. Auch die FPÖ habe grosse Beträge im Wahlkampf erhalten. Die SPÖ will deshalb eine Deckelung der Wahlkampffinanzierung einbringen, denn schon der Verdacht auf Korruption sei Gift für die Demokratie.

13.06: Debatte im Parlament wird eröffnet. Als erster tritt SPÖ-Vizeklubchef Jörg Leichtfried ans Rednerpult. Und er legt gleich deftig los.

Zwei Misstrauensvoten – ein Ziel

Gegen Kurz waren zwei unterschiedliche Misstrauensvoten eingebracht worden. Die kleine JETZT-Fraktion wollte lediglich ein Votum gegen Kanzler Kurz. Die oppositionellen Sozialdemokraten der SPÖ hingegen wollten die gesamte Regierung zur Diskussion stellen. Gemeinsam hätten SPÖ und FPÖ eine deutliche Mehrheit im Parlament.

Bereits am morgen wurde klar, dass Kurz' Zeit abgelaufen ist. Denn nach der SPÖ beschloss auch die FPÖ der ÖVP das Vertrauen zu entziehen. Statt der Regierungsmannschaft soll nun ein Expertenkabinett die Arbeit übernehmen.

Nach Veröffentlichung des skandalösen «Ibiza-Videos», aufgrund dessen Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache zurücktrat, ist die rechtskonservative ÖVP-FPÖ-Regierung zerbrochen.

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