Queere Avantgarde – Kunstsammlung zeigt Vielfalt der Moderne
Die K20 in Düsseldorf zeigt einen besonderen Blick auf eine vergessene und marginalisierte Kunst der Avantgarde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen (K20) in Düsseldorf zeigt mit «Queere Moderne. 1900 bis 1950» die nach ihren Angaben erste umfassende Ausstellung in Europa zum Beitrag von Künstlern: die sich nicht mit dem traditionellen Rollenbild von Mann und Frau oder anderen gesellschaftlichen Normen rund um Geschlecht und Sexualität identifizierten.
Zu sehen sind mehr als 130 Werke. Dazu zählen Gemälde, Zeichnungen, Fotografien, Skulpturen und Filme sowie Literatur und Archivmaterial von 34 internationalen Kunstschaffenden. «Das, was wir als klassische Moderne bezeichnen, entsprach lange Zeit einem bestimmten westlich und männlich dominierten Narrativ», sagte Kunstsammlungschefin Susanne Gaensheimer bei der Vorstellung der Schau.
Ziel der Ausstellung
Nach dem Zweiten Weltkrieg sei Abstraktion das Kriterium für Relevanz und Qualität der Avantgarde geworden. Die Kunstsammlung wolle diese Perspektive erweitern. Sie will Kunst, Strömungen und Positionen vorstellen, die «am Rande oder gar nicht» gezeigt wurden.
Damit solle ein «frischer Blick auf die Avantgarde» ermöglicht werden. Gaensheimer unterstrich auch die Aktualität der Schau: «Angesichts zunehmender Diskriminierung queeren Lebens in vielen Teilen der Welt und auch bei uns, ist es umso wichtiger, die Geschichte queerer Kultur sichtbar zu machen.»
Was die Besucher erwartet
Schon beim Eintreten in den Ausstellungssaal des K20 stellt sich ein «Wow»-Effekt ein angesichts der vielfältigen und oft unbekannten Werke. Zu sehen ist ein wandfüllendes Gemälde der Schottin Dame Ethel Walker. Dieses stammt von 1920 mit einer Szene nackter Frauen aus Homers «Odyssee», in der Odysseus allerdings völlig bedeutungslos an den Rand gedrängt wird.
Gezeigt wird auch «Die Quelle» von Ludwig von Hofmann aus dem Jahr 1913. Das antikisierende Aktbild von drei schönen Jünglingen hatte der Schriftsteller Thomas Mann erworben. Dieser fühlte sich zu Männern hingezogen und schrieb in vielen Werken über homoerotisches Begehren.
Das Aktbild begleitete Mann bis ins Exil und hing in seinem Arbeitszimmer.
Subtile Codes auf Homosexualität
Viele Namen der Künstler sind heute einer breiten Öffentlichkeit nicht oder kaum bekannt. Grossformatig in symbolistischem Stil porträtierte etwa die Amerikanerin Romaine Brooks (1874-1970) Frauen avantgardistischer Kreise. Lotte Laserstein (1898-1993), die vor den Nazis nach Schweden flüchtete, porträtierte sich zusammen mit ihrer Geliebten Traute Rose. Diese legt zärtlich ihre Hand auf Lasersteins Schulter.
Oft weisen subtile Codes auf Homosexualität hin, etwa in dem Gemälde «Der sterbende Dandy» (1918) von Nils Dardel (1888-1943), in dem nur ein Mann um den von Frauen gehaltenen Sterbenden weint. Der schwedische Künstler Dardel pflegte auch eine Beziehung zu dem berühmten Galeristen Alfred Flechtheim: doch nach Gerüchten über seine Homosexualität heiratete er.
Ausstellung hat langen Weg hinter sich
Die Idee zu der Ausstellung über queere Kunst hatte die Kunsthistorikerin Anke Kempkes, die zusammen mit Isabelle Malz die Präsentation kuratiert hat. Vor einigen Jahren stiess Kempkes nach eigenen Angaben mit ihrem Projekt in den grossen Museen noch auf Zurückhaltung. Als zu abseits und gewagt sei das queere Projekt mit seiner Vielfalt von undogmatischen, exzentrischen und neoromantischen Stilen angesehen worden.
Auch die Recherche zu den Kunstwerken erwies sich als kompliziert: viele unkonventionell lebende Künstler hatten keine direkten Erben, wurden verfolgt oder ihre Werke waren in den Wirren des Krieges zerstört worden.
Queere Netzwerke habe es bereits in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gegeben, sagt Kuratorin Malz. Im Zentrum standen von lesbischen Frauen geführte Salons in Paris. Die einflussreichsten Literatur- und Kunstsalons wurden von den Dichterinnen Natalie Barney und Gertrude Stein sowie den Buchhändlerinnen Adrienne Monnier und Sylvia Beach geführt.
Lebensweisen sichtbar machen
Dorthin kamen auch Pablo Picasso oder James Joyce. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als insbesondere Homosexualität unter Männern weithin kriminalisiert und Homosexualität unter Frauen tabuisiert wurde, lebten viele Künstler nach aussen hin dennoch ein gesellschaftlich angepasstes Leben.
Es gehe aber weniger darum, die sexuellen Orientierungen einzelner Künstler zu zeigen, sagte Kempkes. Vielmehr sollten nicht konforme Identitäten, Begehrensformen und Lebensweisen sichtbar gemacht werden. Queere Kunst sei keine einheitliche Bewegung, sondern eine Vielfalt von Stilen, Themen und Haltungen, «die unser bisheriges Verständnis von moderner Kunst erweitern und interessant verkomplizieren».
Die Ausstellung findet im K20 in Düsseldorf vom 27. September bist zum 15. Februar 2026 statt.