Psychologe erklärt: Deswegen schliessen sich Männer der Hamas an
Einst fand er Selbstmordattentäter «cool». Heute ist Ahmad Mansour Experte für Deradikalisierung in Berlin. Nun gibt er Einblicke in seine Beweggründe.

Das Wichtigste in Kürze
- Ahmad Mansour war früher Mitglied der Hamas-nahen «Islamischen Bewegung».
- Heute arbeitet er als Experte für Deradikalisierung.
- Er erklärt, dass junge Menschen vor allem «Orientierung, Halt und klare Worte» suchen.
Seit dem brutalen Angriff der Hamas auf Israel stehen erneut dringliche Fragen im Vordergrund: Warum radikalisieren sich Menschen? Was treibt vor allem junge Männer dazu, sich einer Terrorgruppe wie der Hamas anzuschliessen? Und wie kommen diese Menschen wieder los von einer Ideologie, die auf Hass und Terror fusst?
Ahmad Mansour (49) ist Psychologe und Experte für Deradikalisierung. Der Deutsch-Israeli hat palästinensischen Wurzeln. Im Alter von dreizehn bis zwanzig Jahren war er Mitglied der Hamas-nahen «Islamischen Bewegung» in seinem Heimatort Tira in Zentralisrael. Im Interview mit der «NZZ» gibt er Antworten und Einblicke.
«Ich wollte irgendwo dazugehören»
Er habe damals eine grosse Unsicherheit in seinem Leben gespürt. In der Schule sei er gemobbt worden.
«Ich hatte Zukunftsängste und massive Probleme mit meinem Selbstwertgefühl. Ich suchte damals keine Ideologie, sondern Entlastung. Ich wollte irgendwo dazugehören [...],» erklärt Mansour.
In Kontakt mit Hamas-Kreisen sei er über den örtlichen Imam gekommen. «Er zeigte Empathie und versuchte, mir zu helfen. Das werde ich nie vergessen: Der erste erwachsene Mensch, der ohne Wenn und Aber deutlich machte: Ich sehe dich. Er hat mich dann in der Überzeugung, mir etwas Gutes zu tun, in seinen Religionsunterricht in der Moschee eingeladen.»
Religiös sei Mansour zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht gewesen. Er habe aber durch den Religionsunterricht eine «wunderbare Welt» entdeckt: «[...] das Gefühl, auf dem richtigen Weg und besser als alle anderen zu sein, weil ich ja den Islam praktizierte. Aber auch, weil ich zu einer Gruppe gehörte, die irgendwann einmal die Welt beherrschen würde.»
Vor allem junge Menschen in einer Krise sind anfällig
Wenn Menschen sich radikalisieren – egal ob zum Islamismus oder zum Rechtsradikalismus – suchten sie «Orientierung, Halt und klare Worte». Eine komplizierte Welt werde den Menschen «dualistisch sehr einfach in Schwarz-Weiss-Bildern erklärt.»
Mansour beschreibt das so: «Junge Leute, die auf der Suche sind, die eine Krise durchmachen, erfahren dadurch häufig eine psychische Entlastung.» Er selbst habe durch die Radikalisierung ein «Gefühl von Stärke und Kontrolle» bekommen.

Und wie kam seine Abwendung von der «Islamischen Bewegung»? Mit 20 Jahren habe er angefangen, in Tel Aviv Psychologie zu studieren.
Dort sei er täglich denjenigen Menschen begegnet, die er als Feinde betrachtet hatte. Sie wurden zu Freunden. Diese Erfahrungen hätten seine Zweifel ins Rollen gebracht. «Der Ausstieg war ein längerer Prozess, der mich in meinem Heimatdorf sozial völlig isolierte – und das war das Allerschwierigste.»