Heute vor einem Jahr begannen in Chemnitz die Ausschreitungen. Zwei Rechtsextremismusexperten sagen, was sich seither verändert hat.
Chemnitz
Nach der Gewalttat war es in Chemnitz (D) zu rechten Demonstrationen mit zahlreichen Straftaten gekommen. - DPA
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Das Wichtigste in Kürze

  • Vor einem Jahr wurde in Chemnitz ein Mann ermordet.
  • In der Stadt versammelten sich darauf Rechtsextreme.
  • Zwei Extremismus-Forscher sagen, was sich seither geändert hat.

Vor einem Jahr begannen in Chemnitz die Ausschreitungen, die um die Welt gingen. Am Anfang stand ein Mord, der zur Eskalation führte. Während Tagen wurde die Stadt im deutschen Bundesland Sachsen zum Symbol für den sichtbaren deutschen Rechtsextremismus, aber auch für den Protest dagegen.

Was hat sich seit Chemnitz in Deutschland verändert? Nau hat bei zwei deutschen Rechtsextremismusforschern nachgefragt. Reiner Becker vom «Beratungsnetzwerk Hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus» ist wenig zuversichtlich.

Rechtsextreme in Deutschland werden selbstbewusster

«Ein Jahr nach Chemnitz zeigt sich, dass die Positionen zementiert sind», sagt Becker. Zwar haben sich Stadt, Vereine und Verbände stark gegen Rechtsextremismus positioniert, gleichzeitig wurde die rechtsextreme Szene in Deutschland selbstbewusster. Becker: «Die Polarisierung, die 2015 begann, hat sich weiterentwickelt.»

Rechtsextremismus Chemnitz
Janine Patz forscht zu Rechtsextremismus. - zVg
Rechtsextremismus Lübcke
Reiner Becker ist auch Leiter des Demokratiezentrums Hessen im Beratungsnetzwerk Hessen – gemeinsam für Demokratie und gegen Rechtsextremismus. - blog.reiner-becker.eu

Die rechtsextremen Vorfälle um den Chemnitzer FC, der Mordfall Lübcke oder den Angriff auf einen Eritreer zeigten dies – «die Gewalt hört nicht auf». Gleichzeitig herrsche bei vielen Menschen eine enorme Gleichgültigkeit gegenüber den rechtsextremen Umtrieben. «Im Kontext der sich abzeichnenden Rezession und der bisherigen Entwicklung bin ich nicht optimistisch – ein Jahr nach Chemnitz sind die Probleme nicht gelöst», sagt Becker.

Fragmentierte Szene

Denn: Die Szene sei nicht isoliert. «Im Gegenteil, sie ist ein Abbild der Gesellschaft», so Becker. Die rechtsextreme Szene habe sich fragmentiert und finde sich bei Kampfsportlern, Esoterikern oder eben Fussballfans. Dass der sächsische CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer an einer Veranstaltung in Dresden gegen Rassismus nicht teilnahm, bewertet Becker als kritisch.

Chemnitz
In Chemnitz kommt es zu Protesten und Krawallen. - Keystone

Zwar grenze sich die sächsische CDU zu einem grossen Teil stark von der teilweise rechtsextremen AfD ab, gleichzeitig lasse Kretschmer die Zivilgesellschaft gegen Rechtsextremismus dadurch alleine. Ähnliche Töne sind auch von Janine Patz zu vernehmen.

Patz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Rechtsextremismusforschung Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, rund eine Stunde von Chemnitz entfernt.

Missverhältnis in der Debatte

Auch Patz beobachtet bei beiden Seiten ein erhöhtes Engagement. Doch Patz verortet ein Missverhältnis in der Debatte: «Da wird «Links» gegen «Rechts» konstruiert, anstatt Menschenrechte gegen Menschenverachtung». Zudem würde Engagement gegen Rassismus öfters kriminalisiert.

Die Forscherin verweist zudem auf die längere Geschichte des Rechtsterrorismus, die sich etwa in Form des NSU zeigt. Am kommenden Sonntag finden in Sachsen Landtagswahlen statt. Dann wird sich zeigen, in welche Richtung sich das deutsche Bundesland entwickeln möchte.

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