Überschattet von den Auswirkungen des russischen Kriegs gegen die Ukraine hat Estland am Sonntag ein neues Parlament gewählt.
Menschen geben ihre Stimme in einem Tallinner Wahllokal im Rahmen der Parlamentswahlen ab. Foto: Sergei Grits/AP/dpa
Menschen geben ihre Stimme in einem Tallinner Wahllokal im Rahmen der Parlamentswahlen ab. Foto: Sergei Grits/AP/dpa - sda - Keystone/AP/Sergei Grits

Dabei zeichnete sich Umfragen vor der Wahl zufolge ein Sieg der wirtschaftsliberalen Reformpartei von Ministerpräsidentin Kaja Kallas ab. Die seit 2021 als erste Frau an der Regierungsspitze Estlands stehende Kallas gilt als eine der resolutesten Unterstützer der Ukraine in Europa. Die 45-Jährige führt gegenwärtig eine Dreierkoalition mit den Sozialdemokraten und der konservativen Partei Isamaa an.

Ob dieses Bündnis sich trotz hoher Zustimmungswerte für Kallas an der Macht halten kann, ist aber unklar. Insgesamt könnten bis zu sechs Parteien den Einzug ins Parlament des baltischen EU- und Nato-Lands schaffen. Erste offizielle Ergebnisse wurden in der Nacht zum Montag erwartet.

Mögliche Koalitionen nach der Wahl dürften besonders vom Abschneiden der beiden Oppositionskräfte – der rechtspopulistischen Partei EKRE und der linksgerichteten Zentrumspartei – bestimmt werden. Auch die liberale Gruppierung Eesti 200 hat aussichtsreiche Chancen, erstmals ins Parlament einzuziehen. Meinungsforscher und Experten erwarteten schon vor der Abstimmung eine schwierige Regierungsbildung.

Eines der beherrschenden Themen des Wahlkampfes war Russlands Krieg gegen die Ukraine, der in Estland als direkte Gefahr für die nationale Sicherheit gesehen wird. Der Baltenstaat teilt eine fast 300 Kilometer lange Grenze mit Russland. Neu aufgeworfen wurden durch den Krieg auch heikle Fragen im Umgang mit der eigenen Gesellschaft. Etwa ein Viertel der rund 1,2 Millionen Einwohner Estlands sind russischstämmig.

Seit Russlands Angriff hat sich Kallas als resolute Befürworterin von EU-Sanktionen gegen Moskau und Fürsprecherin von Waffenlieferungen an Kiew profiliert. Entschieden forderte sie auch eine Stärkung der Nato-Ostflanke. «Die Ukraine kämpft auch für Estland», betonte sie zum wiederholten Mal in der Fernsehdebatte der Spitzenkandidaten. Unter ihrer Führung hat das 1,2 Millionen-Einwohner-Land umgerechnet mehr als ein Prozent seiner Wirtschaftsleistung als Militärhilfe an die Ukraine geleistet und mehr als 60 000 Kriegsflüchtlinge aufgenommen.

EKRE-Chef Martin Helme warf der Regierung vor, durch ihr Engagement für die Ukraine die eigene Verteidigungsfähigkeit zu gefährden. Auch hält er Kallas eine gescheiterte Wirtschaftspolitik vor: Durch die rasant gestiegene Inflation haben sich die Lebenshaltungskosten stark erhöht – die Teuerungsrate lag zuletzt bei fast 18 Prozent. Dies bereitet vielen Bürgern grosse Sorgen

Eine Besonderheit der Wahl war die Möglichkeit zur Stimmabgabe über das Internet, die Estland als erstes Land in Europa eingeführt hatte. Bereits vor dem eigentlichen Wahltag setzten dieses Mal fast ein Drittel der gut 966 000 Wahlberechtigten ihr Kreuz online – ein neuer Rekord. Darunter waren auch Staatspräsident Alar Karis und Kallas. Die Wahlbeteiligung lag nach vorläufigen Angaben der Wahlkommission in Tallinn bei 63,7 Prozent.

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