Seit fünf Nächten kommt es in Frankreich zu gewaltsamen Ausschreitungen. Jedoch gibt es Anzeichen, dass die Proteste langsam abnehmen.
Proteste in Frankreich: Demonstranten stossen in Lyon mit Polizisten zusammen.
Proteste in Frankreich: Demonstranten stossen in Lyon mit Polizisten zusammen. - Laurent Cipriani/AP/dpa

Das Wichtigste in Kürze

  • Dir Proteste in Frankreich könnten erneut eskalieren, warnt ein Regierungssprecher.
  • Präsident Macron steht unter Druck: Krawalle gefährden seine politische Agenda.
  • Seit fünf Tagen kommt es in dem Land zu gewaltsamen Ausschreitungen.
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Wie geht es nach der fünften Nacht mit Krawallen in Frankreich weiter? Vieles deutet darauf hin, dass die Gewalt langsam abnimmt. Der französische Innenminister Gérald Darmanin sprach am Sonntagmorgen von einer «ruhigeren Nacht» dank des entschlossenen Vorgehens der Polizei.

Bisher wurden in der Nacht von Samstag auf Sonntag 719 Festnahmen verzeichnet – deutlich weniger als in den Nächten zuvor. Ausserdem wurden 871 Brandherde auf öffentlichen Strassen registriert, in der Nacht zuvor waren es noch 2560. 577 Autos brannten aus – nach 1350 am Vortag.

Doch trotz des massiven Polizeiaufgebots und einer etwas ruhigeren Nacht ist eines klar: Ein friedliches Sommerwochenende in Frankreich sieht anders aus.

Frankreich
In der Nacht auf Sonntag wurde in Frankreich erneut gegen Polizeigewalt protestiert.
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Auch diesmal gab es dabei Ausschreitungen.
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Es wurden mehr als 700 Personen festgenommen.
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Auslöser für die Unruhen war der Tod eines Jugendlichen durch einen Polizisten.

Der Pariser Polizeichef mahnte auch zur Vorsicht. Man dürfe nicht den Schluss ziehen, dass die Gewalt endgültig vorbei sei, sagte Laurent Nunez dem Fernsehsender BFMTV. Die Unruhen von 2005 hätten gezeigt, dass der Grad der Gewalt von Tag zu Tag unterschiedlich sein könne.

Drei Wochen lang gab es damals nach dem Tod zweier von der Polizei verfolgten Jugendlichen heftige Unruhen. Diese stürzten das Land in eine Krise mit Notstandsrecht und Ausgangssperren. «Natürlich bleiben wir äusserst konzentriert, niemand schreit nach Sieg», sagte Nunez.

Macron zieht Bilanz

Präsident Emmanuel Macron wollte am Sonntagabend zusammen mit der Premierministerin und dem Justizminister Bilanz ziehen. Für Macron ist die Lage heikel: Kann er die Strassen befrieden und wieder Herr der Lage werden oder ist er ein Getriebener der Gewalt?

Macron musste wegen der Krawalle den ab Sonntag geplanten Staatsbesuch in Deutschland absagen, den ersten seit 23 Jahren. Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr durchkreuzt damit die innenpolitische Lage seine Pläne: Im Frühjahr wurde wegen der eskalierenden Proteste gegen Macrons Rentenreform schon der Besuch des britischen Königs Charles III. in Frankreich kurzfristig abgesagt.

Emmanuel Macron
Macron in Paris. (Archiovbild) - EPA/YOAN VALAT / POOL

Für den Staatschef steht nun einiges auf dem Spiel. Wie 2018 beim Start der Gelbwesten-Proteste und im Frühjahr bei den Renten-Krawallen ist er mit einer landesweiten Krise konfrontiert.

Einen Plan, wie man die zugrundeliegenden Probleme – Perspektivlosigkeit, Armut, Kriminalität und Polizeigewalt – lösen könnte, hat Macron nicht vorgelegt. Er scheint auf eine massive Polizeipräsenz und die Ermüdung der Demonstranten zu setzen. Drastischere Schritte wie die Verhängung des Notstands oder eine weitgehende Ausgangssperre scheint Macron vermeiden zu wollen.

Jugendlicher von Polizei getötet

Auslöser der Unruhen war der Tod eines Jugendlichen durch den Schuss eines Polizisten. Der 17-Jährige war am Dienstag in Nanterre am Steuer eines Autos von einer Motorradstreife gestoppt worden. Als der junge Mann plötzlich anfuhr, fiel der tödliche Schuss aus der Dienstwaffe eines Polizisten. Die Beamten hatten zunächst angegeben, der Jugendliche habe sie überfahren wollen.

Erst als sich von Medien verifizierte Videobilder des Vorfalls in den sozialen Netzwerken verbreiteten, rückten sie von dieser Darstellung ab. Der Polizist, der für seinen Tod verantwortlich gemacht wird, kam in Untersuchungshaft. Gegen ihn wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Totschlags eingeleitet. Seitdem wird Frankreich von einer Welle der Gewalt erschüttert, jede Nacht kam es bislang zu Plünderungen, Brandanschlägen und Festnahmen.

Frankreich Ausschreitungen
Polizisten stossen in Frankreich mit Protestierenden zusammen. - keystone

Brennpunkte waren in der vergangenen Nacht wie bereits zuvor die beiden grössten Städte des Landes, Paris und Marseille. Die weltberühmte Pariser Einkaufsmeile Champs Élysées wurde von einem grossen Polizeiaufgebot unter Einsatz von Tränengas geräumt, wie «Le Figaro» berichtete.

Das Wohnhaus des Bürgermeisters in einem Vorort von Paris wurde angegriffen, während dessen Familie zu Hause schlief. Dies schrieb der Bürgermeister von L'Haÿ-les-Roses, Vincent Jeanbrun, auf Twitter. Die Täter rammten mit einem Auto das Tor zu seinem Haus und zündeten das Auto der Familie und Mülltonnen an. Nach Angaben des Fernsehsenders BFMTV leitete die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung wegen versuchten Mordes ein.

Fast 400 Geschäfte in Marseille zerstört

Nachdem in Marseille eine Waffenkammer geplündert worden war, war die Polizei dort mit gepanzerten Fahrzeugen, Hubschraubern und Spezialtruppen im Einsatz. Hier wurden 65 Menschen festgenommen und zwei Polizisten verletzt.

Bislang wurden in der Stadt in Südfrankreich fast 400 Geschäfte zerstört. Dies sagte der Präsident der IHK Aix-Marseille-Provence, Jean-Luc Chauvin, dem Fernsehsender franceinfo. Er schätzte die Verluste für Händler auf mehr als Hundert Millionen Euro.

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