Der Ingeborg-Bachmann-Preis geht an Autorin Nava Ebrahimi. Ihr Werk «Der Cousin» konnte die Jury überzeugen.
Nava Ebrahimi
Nava Ebrahimi (Bildschirm), die im Iran geborene, in Deutschland aufgewachsene und in Österreich lebende Autorin, ist bei der virtuell gehaltenen Preisverleihung mit dem 45. Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet worden. Foto: Johannes Puch/ORF/dpa - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Autorin Nava Ebrahimi hat den Hauptpreis des Bachmannpreises erhalten.
  • Mit ihrem Werk «Der Cousin» konnte sie die Jury schlussendlich überzeugen.
  • Die Schweizer Autoren konnten keinen der Preise abstauben.

Transparenz wird grossgeschrieben in Klagenfurt. Die öffentliche Diskussion einer Jury über die Güte von Texten ist das Markenzeichen des Bachmannpreises. Dieses Mal ist das Votum knapp. Die Autorin und der Autor aus der Schweiz gehen indes leer aus.

Auf der Flucht aus dem Iran in Richtung Kanada werden Mutter und Sohn in Thailand festgenommen und landen im Gefängnis. «Diese sechs Monate wurden zum Sperrgebiet, zum Tschernobyl der Familiengeschichte, die ohnehin an Boden verlor», schreibt Nava Ebrahimi.

Bei einer Begegnung mit seiner Cousine tanzt der schwule Kian auf einer Bühne in New York endlich bisher Ungesagtes. Mit ihrem Text «Der Cousin» hat die 1978 in Teheran geborene Schriftstellerin die Jury des Bachmannpreises überzeugt. Nava Ebrahimi ist in Köln aufgewachsen und lebt seit vielen Jahren in Graz.

Nava Ebrahimi : Spannendste Stimme der deutschen Gegenwartsliteratur

Die mit 25'000 Euro dotierte Auszeichnung ging damit an eine von vorneherein hochgehandelte und bereits etablierte Autorin. Nava Ebrahimi sei eine der spannendsten Stimmen der deutschen Gegenwartsliteratur, so die Jury. Diese Auszeichnung ist einer der wichtigsten Preise der deutschsprachigen Literaturszene.

Es war ein enges Rennen um den Hauptpreis: Mit vier zu drei Stimmen bevorzugte die siebenköpfige Jury Nava Ebrahimi vor der Berliner Autorin Dana Vowinckel. Vowinckel hat in «Gewässer im Ziplock» einen Blick auf die orthodoxe jüdische Szene geworfen. Juror Philipp Tingler war begeistert von den geschilderten Sinneseindrücken wie dem «Krachen der Zähne der Grossmutter auf dem Joghurtlöffel».

Nava Ebrahimi
Helga Schubert, Autorin aus Deutschland, spricht in dem Studio, in dem letztes Jahr der Ingeborg-Bachmann-Preis verliehen wurde. - dpa

Ohnehin bewege sich Vowinckel mit ihrem Thema in einem Feld, das aktuell mehr denn je auf Neugierde stosse, befand Kastberger. Die 1996 geborene Schriftstellerin erhielt mit dem Deutschlandfunk-Preis den am zweithöchsten dotierten Preis (12'500 Euro).

Necati Öziri aus Berlin gehört ebenfalls zu den grossen Gewinnern. Er schreibt unter anderem für das Schauspielhaus Zürich und das Maxim Gorki Theater. Zudem das Residenztheater München und das Nationaltheater Mannheim.

Für die 45. Tage der deutschsprachigen Literatur las er einen Brief eines todkranken Sohnes an seinen Vater vor.

«Morgen wache ich auf und dann beginnt das Leben» ist eine Anklage, eine Abrechnung, eine verzweifelte Verfluchung. So laut dem Juror Michael Wiederstein. Der Lohn für Öziri: Der Kelag-Preis (10'000 Euro) und der BKS-Bank-Publikumspreis (7500 Euro).

Ingeborg-Bachmann-Preis: Jury war zweigespalten

Ein stiller See, ein Boot und abgründige Gedanken. Das sind die Grundelemente der Geschichte von Timon Karl Kaleyta. Der in Bochum geborene Musiker und Sachbuchautor schrieb «Mein Freund am See». Darin beschreibt er, wie während einer Bootsfahrt ein Mitfahrer plötzlich daran denkt, seinen Freund Julian am Ruder zu ermorden.

Das Urteil der Jury war in der Diskussion höchst zwiespältig. Die einfache Sprache erinnerte Kastberger im positiven Sinne an die «Sendung mit der Maus». Die Jurorin Vea Kaiser fand den Text und dessen Beschreibungen handwerklich «wahnsinnig, wahnsinnig arm». Nichtsdestotrotz: Am Ende bekam Kaleyta den mit 7500 Euro dotierten 3sat-Preis.

Bachmannpreis
Dana Vowinckel, Berliner Autorin, gehört zu den 14 Autoren und Autorinnen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz beim Bachmannpreis 2021 (undatierte Aufnahme). Foto: Catharina Tews/LST Kärnten/ORF/dpa - dpa-infocom GmbH

Wie immer bezog der Bachmannpreis seinen Reiz aus der öffentlichen Diskussion der sieben Literaturexperten. Diese waren diesmal nicht online zusammengeschaltet, sondern diskutierten wieder live im Studio. Extrem selten sind sie sich einig.

Dieses Mal sei es aber gelungen, trotz der teils völlig unterschiedlichen Zugänge «gegenseitig Respekt und Wertschätzung» zu entwickeln. Und die Perspektive des anderen zu verstehen, sagte die Jury-Vorsitzende Insa Wilke.

Schweizer Autorin Julia Weber in Kritik

Kontrovers diskutiert und ohne Preise bedacht wurden denn auch die Beiträge zum Wettlesen von Julia Weber und Lukas Maisel. Die in Zürich lebende Weber hatte den Reigen der 14 um die Wette Lesenden am Donnerstag eröffnet. Ihr Text mit dem Titel «Ruth» handelt von einer feengleichen jungen Frau, die Menschen anspricht: «Komm doch mit!» Eine Frau folgt ihr und hat mit ihr in der Folge ein erfüllendes Liebeserlebnis.

Die Jurydiskussion reichte von den Voten, die Sexszenen seien sehr gelungen über die Beschreibung des Textes als«Engelsgeschichte». Bis hinzu «Bekehrungsgeschichte» oder Geschichte einer Befreiung. Radikal dagegen war die Meinung, der Text sei «unglaublich verstaubt» und «zutiefst durchschnittlich».

Der zweite Beitrag aus der Schweiz kam von Lukas Maisel. Der gebürtige Zürcher lebt derzeit in Niederösterreich und trat mit dem Text «Anfang und Ende» an. Über ein junges Paar, das sich nach einem Streit über ihr Kennenlernen auf einer Dating-App trennt.

Julia Weber
Für Menschen auf der Flucht: Die Autorinnen Gianna Molinari, rechts, und Julia Weber, links, führen ihr Projekt «Literatur für das, was passiert» auch in Quarantäne weiter. - sda - Keystone/ENNIO LEANZA

Auch dazu gingen die Voten der Jury weit auseinander. Endlich traue sich jemand, «zu beschreiben, was so alltäglich geworden ist», hiess es etwa mit Verweis auf die Online-Dating-Kultur. Gelobt wurde auch die «Verwobenheit von Zeitbezogenheit und Zeitlosigkeit» des Beitrags. Kritisiert wurde der Text als «zu überkonstruiert» und «zu dick aufgetragen»; und schlichtweg ablehnend hiess es über «diesen telenovelaartigen Text», er stecke voller «Männer-» als auch «Frauenklischees».

An den diesjährigen Tagen der deutschsprachigen Literatur waren die Lesungen der neun Autorinnen und fünf Autoren coronabedingt aufgezeichnet worden. Den Diskussionen waren sie aus Deutschland, Österreich und der Schweiz online zugeschaltet. Die Jury mit vier Jurorinnen und drei Juroren diskutierte vor Ort in Klagenfurt. Für 2022 hoffen die Veranstalter wieder auf echte Live-Bedingungen.

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