Was war los in Natans? Erst war von einem Brand ohne grosse Folgen die Rede. Jetzt ist klar: Die Schäden sind beträchtlich. Doch was steckt dahinter? Oder wer? Bei schmaler Faktenbasis spriessen Spekulationen ins Kraut.
Atomanlage Natanz
Ein von einem Feuer stark beschädigtes Gebäude der iranischen Atomanlage Natanz. - dpa-infocom GmbH
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Das Wichtigste in Kürze

  • Der ungeklärte Zwischenfall in einem Zentrifugenwerk der iranischen Atomanlage Natans war schwerwiegender als zunächst berichtet.

Die iranische Atomorganisation (AEOI) sprach am Sonntag von «beachtlichen Schäden» bei einem Brand.

Es seien Geräte beschädigt oder zerstört worden, sagte AEOI-Sprecher Behrus Kamalwandi. Details zur Brandursache nannte er nicht. Atommaterial soll sich in dem Gebäude nicht befunden haben.

In der Atomanlage in Zentraliran wird Uran angereichert und es werden Zentrifugen zur Urananreicherung gebaut und getestet. Der Vorfall wird laut Kamalwandi die Herstellung und Tests der neueren Zentrifugen mittelfristig verlangsamen. Aber der Iran werde schon sehr bald eine grössere Werkstatt mit besseren und moderneren Geräten errichten. Der Iran arbeitet seit mehr als einem Jahr an schnelleren Zentrifugen zur Urananreicherung.

Israel sieht das iranische Atomprogramm als existenzielle Bedrohung an, auch die USA und Saudi-Arabien halten es für gefährlich. Daher wurde spekuliert, es könne in Natans erneut einen Cyberangriff gegeben haben wie 2010, als Israel und die USA mit dem Schadprogramm Stuxnet in Natans annähernd 1000 Zentrifugen zerstört haben sollen. Doch auch andere Brandursachen sind denkbar, etwa eine Explosion bei Zentrifugentests.

Die «New York Times» zitierte einen nahöstlichen Geheimdienstmitarbeiter, der Israel für den Vorfall in der Atomanlage verantwortlich macht. Dabei sei eine «mächtige Bombe» verwendet worden. Ein Mitglied der iranischen Revolutionsgarden habe bestätigt, es sei ein Sprengsatz eingesetzt worden.

Vor diesem Hintergrund startete die unerklärte Atommacht Israel in der Nacht zu Montag mit einer Schavit-Rakete den Spionagesatelliten «Ofek 16». Die Datenübertragung habe plangemäss begonnen, berichtete das israelische Verteidigungsministerium am Montag. Der ehemalige Chef des Militärgeheimdienstes, Amos Jadlin, twitterte, die mit «Ofek 16» verbundenen strategischen und geheimdienstlichen Fähigkeiten seien bedeutsam «in diesen Tagen, in denen sich eine mögliche Eskalation mit dem Iran abzeichnet».

Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte am Montag, der Start des Satelliten verbessere deutlich «unsere Fähigkeiten, gegen die Feinde Israels vorzugehen, nahe und ferne Feinde gleichzeitig». Netanjahu sagte zu «Ofek 16»: «Er vergrössert sehr unsere Einsatzfähigkeit - auf See, auf dem Festland, in der Luft und auch im Weltall.»

Zuvor hatte der Iran behauptet, am Persischen Golf unterirdische «On- und Offshore-Raketenstädte» errichtet zu haben. Dies solle die Feinde des Irans von militärischen Angriffen abhalten, sagte der Marinekommandeur der Revolutionsgarden, Aliresa Tangsiri, laut der Nachrichtenagentur Tasnim.

Israel sandte zu den Spekulationen, es stecke hinter dem Brand in Natans, zweideutige Signale. Aussenminister Gabi Aschkenasi sagte am Sonntag zur Bedrohung durch das iranische Atomprogramm: «Wir ergreifen Massnahmen, über die man besser nicht sprechen sollte.» Verteidigungsminister Benny Gantz erklärte: «Nicht jeder Vorfall im Iran steht mit uns in Verbindung.»

Im Mai hatte die «Washington Post» berichtet, Israel habe mit einem Cyberangriff Computer zur Steuerung des iranischen Hafens Schahid Radschaei von Bandar Abbas zum Absturz gebracht. Das sei vermutlich die Antwort auf einen iranischen Versuch gewesen, Computer der israelischen Wasserversorgung zu hacken.

Die «Jerusalem Post» spekulierte, wenn eine der jüngsten Explosionen im Iran auf Angriffe der USA, Israels oder der Saudis zurückginge, brächte dies nur einen Zeitgewinn, sei aber nicht genug, um Teheran auf Dauer die Fähigkeit zum Bau von Atomwaffen zu verwehren. Der Iran solle bereits genügend spaltbares Material für eine oder zwei Atombomben besitzen. «Es fehlt vor allem die Entscheidung, das niedrig angereicherte Material auf waffentaugliches Niveau anzureichern», meinte die «Jerusalem Post».

Dem Blatt zufolge hat der Iran «ein paar hundert modernere» Zentrifugen und fast 20.000 einfache Zentrifugen IR-1 und IR-2, von denen 75 Prozent stillgelegt seien. Die modernste Zentrifuge IR-9 soll 50 Mal so schnell arbeiten wie einfache Anlagen, aber es ist umstritten, ob sie einsatzfähig ist.

Im - von den USA einseitig aufgekündigten - internationalen Atomabkommen hatte sich der Iran 2015 verpflichtet, seine Urananreicherung auf Natans zu konzentrieren und 25 Jahre lang Kontrollen der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA zu unterwerfen. Die ersten 10 Jahre sollten gut zwei Drittel der Anreicherungskapazitäten stillgelegt werden und die Zahl installierter Zentrifugen von 19.000 auf rund 6100 sinken. Die Anreicherung sollte auf 3,67 Prozent (für Atomstrom) beschränkt werden, wobei für Atombomben eine Anreicherung auf 90 Prozent als nötig angenommen wird. Erreicht hatte Teheran da bereits 20 Prozent Anreicherung, was medizinischen Zwecken dienen kann.

Die dem Iran zugestandene Menge des auf 3,67 Prozent angereicherten Urans wurde im Atomabkommen für 15 Jahre von 10.000 auf 300 Kilogramm reduziert. An diese Beschränkungen fühlt sich der Iran nicht mehr gebunden, weil die USA seine Wirtschaft mit Sanktionen belasten und die anderen Partner des Atomabkommens nichts Wirksames dagegen tun.

© dpa-infocom, dpa:200706-99-686461/5

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