Gericht erklärt Gesetz zur «Aufweichung» der Stickoxid-Grenzwerte für unwirksam

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Deutschland,

Die erst im März beschlossene Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes kann einem Gerichtsurteil zufolge Fahrverbote für Dieselautos nicht verhindern.

Autos fahren durch Innenstadt von Reutlingen
Autos fahren durch Innenstadt von Reutlingen - dpa/AFP/Archiv

Das Wichtigste in Kürze

  • Neues Immissionsschutzrecht wird vor Bundesverwaltungsgericht landen.

Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) veröffentlichte am Mittwoch die volle Urteilsbegründung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg in Mannheim zu Fahrverboten in Reutlingen. Demnach dürfe die Bundesregierung «nicht unter Berufung auf den Verhältnismässigkeitsgrundsatz unionsrechtlich geltende, dem Gesundheitsschutz verpflichtete Grenzwerte de facto aufweichen oder aushöhlen».

Wenn Dieselfahrverbote bei einer Stickoxid-Belastung von bis zu 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft durch die Gesetzesänderung ausgeschlossen würden, sei das ein «klarer Verstoss gegen den Vorrang des Unionsrechts». Um den gültigen EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm schnellstmöglich einzuhalten, sei die Aussperrung älterer Diesel ein angemessenes Mittel.

Die Landesregierung kündigte an, gegen das Urteil Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht einzulegen. Der Amtschef des Verkehrsministeriums Baden-Württembergs, Uwe Lahl, erklärte: «Wir wollen rechtliche Klarheit». Das neue Immissionsschutzrecht des Bundes «muss höchstrichterlich geprüft werden.» Der Sprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, sagte zuvor, die Urteilsbegründung sei «sorgfältig zu prüfen».

Die DUH hatte in Reutlingen - wie in zahlreichen anderen Städten - auf Fahrverbote geklagt, weil der Grenzwert seit Jahren deutlich überschritten wird. In Reutlingen wurden im vergangenen Jahr an einer Messstation im Jahresmittel 53 Mikrogramm Stickoxid je Kubikmeter Luft gemessen. Die Landesregierung hatte gehofft, unter Verweis auf die erst kurz vor der Gerichtsverhandlung im März beschlossene «Aufweichung» des Grenzwerts Fahrverbote vermeiden zu können.

DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch erklärte: «Die Urteilsbegründung ist eine Ohrfeige für die Bundesregierung, die mit der Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes im März den Eindruck erwecken wollte, dass damit Einfahrbeschränkungen für schmutzige Diesel-Fahrzeuge nicht mehr notwendig seien.» Er erklärte weiter: «Unter den giftigen Dieselabgasen leidende Kinder, Asthmatiker, ältere Menschen und Lungenvorgeschädigte profitieren von dem klaren Urteil und können hoffentlich bald in Reutlingen eine 'Saubere Luft' einatmen.»

Die gerichtliche Anordnung der Fahrverbote war auch deshalb ein Rückschlag für die Bundesregierung, weil die Kreisstadt zu den fünf Modellstädten für saubere Luft gehört, die das Bundesverkehrsministerium für spezielle Massnahmen zur Vermeidung von Fahrverboten ausgewählt hatte. Die Reutlinger erhalten gut 19 Millionen Euro Förderung vom Bund, die sie unter anderem in den Ausbau des Busnetzes und ein Jahresticket für 365 Euro investiert haben.

Die Bundesregierung hatte das Immissionsschutzrecht geändert, um den grössten Teil der von Grenzwertüberschreitungen betroffenen Städte davor zu bewahren, Dieselfahrer aussperren zu müssen. Die EU-Kommission in Brüssel hatte im Februar grünes Licht für die Gesetzesänderung gegeben.

Laut vorläufigen Zahlen des Umweltbundesamts wurde vergangenes Jahr in mindestens 35 Städten der EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm für gesundheitsschädliches Stickstoffdioxid überschritten. In mindestens zehn Städten überschritten die gemessenen Werte die 50-Mikrogramm-Schwelle, so auch in Stuttgart und Hamburg, wo es bereits Fahrverbote gibt. Andere grosse Städte wie Berlin könnten dank des Gesetzes hingegen knapp daran vorbeischrammen.

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